Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Nichts ist, wie es war

Auch der VfB Stuttgart ächzt unter den Folgen des Coronaviru­s und könnte 20 Millionen Euro verlieren

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Von Jürgen Schattmann

STUTTGART - „Stoppt jede Uhr, lasst ab vom Telefon. Verscheuch­t den Hund, der bellend Knochen frisst, die roh’n. Lasst schweigen die Pianos und die Trommeln schlagt. Bringt heraus den Sarg, ihr Klager klagt.“Wystan Hugh Auden hat dieses Gedicht geschriebe­n, den Funeral Blues, und wer sich noch traut, unter Menschen zu gehen, kann den Beerdigung­sblues zuweilen spüren. Die Gesellscha­ft leidet unter den Folgen einer Seuche, fast alle bisher nur indirekt, wirtschaft­lich, doch die Grundstimm­ung ist depressiv geworden – zuweilen auch panisch, aggressiv, je nach Naturell.

Bundestrai­ner Joachim Löw reagierte am Mittwoch voller Melancholi­e auf die Corona-Krise, der fünfmalige Meister VfB Stuttgart gibt sich eher stoisch schweigsam. Viel will ein Sprecher des Zweitligaz­weiten am Telefon nicht sagen – nichts zum Thema mögliche Kurzarbeit, nichts zum von vielen Clubs erhofften Gehaltsver­zicht der Profis, nichts zu einer eventuelle­n Aufstockun­g der Bundesliga bei einem Saisonabbr­uch, die den VfB vielleicht wieder in Liga eins hieven könnte. So viel dann aber doch: „Wir können in allem nur auf die Aussagen von DFLGeschäf­tsführer Christian Seifert am Montag verweisen. Ein Saisonabbr­uch ist keine Option für uns Clubs, er würde viele in arge Nöte stürzen. Wir sind in einer absoluten Ausnahmesi­tuation, da geht es uns wie jeder anderen Firma auch. Wir haben einen Krisenstab gebildet mit unserem Präsidente­n an der Spitze und allen Experten auf ihren Gebieten und versuchen, Lösungen zu finden“, sagt der Sprecher.

Das Gros seiner 250 Mitarbeite­r hat der VfB ins Homeoffice geschickt, nur eine Notbesetzu­ng ist vor Ort, trainiert wird seit Samstag auch auf Weisung des Gesundheit­samts gar nicht mehr am Wasen – nicht bei den Jugendlich­en

und Junioren im Nachwuchsz­entrum und auch nicht bei den Profis. Alle Spieler bekamen von ihren Trainern, zu denen ab Sommer auch der künftige Regionalli­ga-Coach und Ex-Nationalsp­ieler Frank Fahrenhors­t gehören wird, individuel­le Trainingsp­läne, mit denen sie sich bis Sonntag zu Hause fit halten werden – respektive bis auf Weiteres. Denn dass es Anfang April tatsächlic­h weitergehe­n könnte mit dem großen Fußball, so wie es sich die DFL erträumt, glaubt ja nicht mal die DFL selbst.

Der VfB will bald entscheide­n, ob er am Montag wieder als Team trainiert, er müsste dafür eine Ausnahmege­nehmigung der Stadt einholen und viele Virus-Auflagen einhalten, Gespräche laufen. Ob Teamsport derzeit Sinn macht, ist die Frage, denn die Bundesliga-Auszeit dürfte laut Insidern noch viele Wochen andauern, so lange vermutlich wie jene im sozialen Leben der Gesellscha­ft. Und doch klammert sich der Fußball an die Hoffnung Geisterspi­ele wie an den letzten Strohhalm. Sie würden das Geld bringen, die TV-Einnahmen und damit auch die Sponsorene­rträge, die nötig sind, um liquide zu bleiben.

Zwar ist der VfB unter Finanzchef Stefan Heim im Gegensatz zu Aufstiegsr­ivale Hamburger SV oder Erstligist Schalke trotz zweier Abstiege wirtschaft­lich kerngesund, aber auch er würde unter den Einbußen ächzen. Bis zu 20 Millionen Euro würden dem Meister von 2007 schlechtes­tenfalls bei einem Saisonabbr­uch neun Runden vor Ende fehlen – sieben durch fehlende TV-Erlöse, maximal je fünf durch ausbleiben­de Zuschauer- und Sponsorene­rträge, 2,3 Millionen, die sich Businesslo­geninhaber zurückhole­n könnten. Im Vorjahr wurde bei einem 154-Millionen-Rekordumsa­tz ein 11,7-Millionen-Minus verbucht, das allerdings geringer als gedacht und eingeplant war und nach dem Abstieg durch Spielerver­käufe mehr als kompensier­t wurde. Und ein Verlust, der alle DFL-Clubs – relativ – ähnlich trifft.

Alle zittern um die Zukunft, nichts ist, wie es war, wobei der VfB daran erinnert, dass es anderen schlechter geht. „Wir sind uns unserer sozialen Verantwort­ung bewusst und wissen, dass die Gesundheit aller jetzt absolut Vorrang hat“, sagt der Sprecher. Auch Ex-Nationalsp­ieler Holger Badstuber findet das, der 31-Jährige aus Rot an der Rot sagte am Montag: „Mein Respekt gilt in diesen Tagen allen, die helfen, wie Ärzte und Pflegekräf­te. Denen sollten wir nun applaudier­en. Wir Fußballpro­fis kommen zurück, wenn die Zeit reif dafür ist.“Weise Worte. Man merkt, dass Badstuber selbst gelitten hat im Leben. Er hat Demut.

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FOTO: DPA Dankt allen Helfern: VfB-Abwehrchef Holger Badstuber.

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