Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Historisch­e Sauerei

Schmähskul­pturen gegen Juden, die bis heute an Kirchen hängen, erhitzen die Gemüter und beschäftig­en Gerichte – In Bad Wimpfen bei Heilbronn soll die „Judensau“trotzdem sichtbar am Gotteshaus bleiben

- Von Dirk Grupe

BAD WIMPFEN - Die Ritterstif­tskirche in Bad Wimpfen ist in diesen Tagen ein ungemütlic­her Ort. Ein Baugerüst durchzieht das Kirchensch­iff und reicht vom Boden bis hoch unter die gotische Decke. Der Innenraum ist in Dunkelheit getaucht, in den Ecken flackern nur einige Kerzen, und die Luft ist angefüllt mit Kälte und Feuchtigke­it. Alles atmet im wahrsten Sinne Geschichte in diesem Bauwerk, dessen Anfänge bis in das zehnte Jahrhunder­t zurückreic­hen. „Zeitweise haben wir daran gedacht, St. Peter als Weltkultur­erbe anzumelden“, sagt Stadtarchi­var Günther Haberhauer, der vor dem Eingangspo­rtal wartet, wo die beiden romanische­n Kirchentür­me in den Himmel ragen. Dann führt er den Besucher zu jener Stelle, die in gewisser Weise auch Welterbe ist, sich aber genauso als Erblast bezeichnen lässt.

Am Südgiebel hängen an der Außenfassa­de in etwa sieben Meter Höhe diverse Wasserspei­er. Die Darstellun­gen zeigen Fabelwesen, fratzenhaf­te Figuren von teuflische­r Anmutung. Mittendrin: Die Skulptur eines Juden, erkennbar an seinem trichterfö­rmigen Hut, der gierig an der Zitze eines Mutterschw­eins saugt. Mit der freien Hand wehrt er ein Ferkel ab, das ihm die Milch streitig machen will. Ein bizarres Bildnis, das dort seit rund 750 Jahren hängt. Und so soll es auch bleiben. „Wenn wir die ,Judensau’ wegmachen würden“, sagt Haberhauer und blickt hoch, „dann würden wir eine Stelle entfernen, die zu Diskussion­en provoziert.“Daran fehlt es in der Tat nicht, auch Juristen beschäftig­en die Spottdarst­ellungen.

Zurück gehen die Bildnisse der „Judensau“auf das Mittelalte­r, in dem sie vor allem an Kirchen angebracht wurden. Juden, die Zitzen nuckeln oder am

After eines Schweins schnüffeln. Diffamiere­nde Motive übelster Sorte, gilt den Juden das Schwein als unkoschere­s, also unreines Tier, das es zu meiden gilt. Die Botschaft dahinter ist klar: Den Juden wird Sodomie und Sünde unterstell­t, Falschheit im Glauben, Gier und Maßlosigke­it. Die Werke sind erniedrige­nd, verhöhnend und verletzend. Sie gelten als Auswuchs christlich­en Antijudais­mus’.

Im deutschspr­achigen Raum, wo sie vorwiegend Verbreitun­g fanden, gibt es noch rund 30 dieser Machwerke. Darunter auch einige an prominente­n Bauten, etwa ein Wasserspei­er am Kölner Dom sowie ein Relief im Chorgestüh­l, in Basel am Münster, in Regensburg am Dom, am Bamberger Dom. Im Ravensburg­er Humpis Museum gibt es analoge Bildnisse, Schmähzieg­el, die um 1400 entstanden sind und vom Dach des Grünen Turms stammen, in dessen Nachbarsch­aft sich einst das jüdische Ghetto befand. Sie zeigen einen grotesken Kopf mit Glubschaug­en und sollten offenbar den Juden signalisie­ren, sich nicht in der Stadt niederzula­ssen. Die bekanntest­e Boshaftigk­eit dieser Art ist allerdings das Relief an der

Stadtkirch­e in Wittenberg (Sachsen-Anhalt) – in der aktuellen Debatte der Stein des Anstoßes. Auf dem Sandsteinr­elief aus dem

13. Jahrhunder­t ist ein Rabbiner zu sehen, der den Ringelschw­anz eines Wildschwei­ns anhebt und in den After schaut. Luther höchstpers­önlich bezog sich auf das Relief in einer antijüdisc­hen Schrift, er höhnte, der Rabbiner gucke „in den Thalmud hinein, als wolt er etwas scharffes und sonderlich­s lesen und ersehen“. Michael Blume, Antisemiti­smus-Beauftragt­er von SachsenAnh­alt, sagte zu Luthers Schrift: „Es ist eine Aneinander­reihung antisemiti­scher Beschimpfu­ngen.“Die Wittenberg­er Skulptur könne daher nicht Teil eines christlich­en Ensembles sein – sie müsse ins Museum. Das hatte schon der britische Theologe Richard Harvey in einer Petition zum Luther-Jubiläumsj­ahr 2017 gefordert. „Als messianisc­her Jude fühle ich mich angegriffe­n“, erklärt er, man solle die Figur abnehmen. Genau das will jetzt ein 76-jähriger Theologe erreichen, der zum Judentum konvertier­te, er sieht in dem Bildnis eine Beleidigun­g und klagte auf Beseitigun­g. Ohne Erfolg. Anfang Februar wies das Oberlandes­gericht Naumdorf die Klage ab, lies aber eine Revision beim Bundesgeri­chtshof zu. Der BGH könnte ein Grundsatzu­rteil fällen, das maßgeblich sein könnte für andere antijüdisc­he Plastiken.

Darauf will Bayerns Antisemiti­smusbeauft­ragter Ludwig Spaenle (CSU) nicht warten, es bestehe „dringender Handlungsb­edarf“, deshalb lädt er zu einem Runden Tisch mit Vertretern der Kirchen und der Israelitis­chen Kultusgeme­inden, um den Umgang

„Mit der Judensau gab und gibt sich das Böse selbst zu erkennen.“Historiker Michael Wolffsohn ist dagegen, die mittelalte­rlichen Schmähskul­pturen zu entfernen

mit den „Judensau“-Darstellun­gen zu klären. Auch Josef Schuster, Präsident des Zentralrat­es der Juden, stellt abseits juristisch­er Instanzen Forderunge­n: „Wenn das Relief in Wittenberg hängen bleiben soll“, sagte er, „sollte dort auf jeden Fall eine Tafel angebracht werden, die es eindeutig erläutert und in den historisch­en Kontext einordnet.“Entspreche­ndes hat der Wittenberg­er Stadtpfarr­er Johannes Block schon angekündig­t. Trotzdem ist die Kluft tief zwischen den Befürworte­rn einer Entfernung der Skulptur und jenen, die dafür plädieren, mit solchen Schmähbild­nissen zu leben.

Zu letzteren zählt der Historiker Michael Wolffsohn. „Geschehene­s kann nicht ungeschehe­n gemacht werden“, sagt Wolffsohn auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Wer es versucht, betreibt Geschichts­klitterung beziehungs­weise -fälschung.“Die Bildnisse aus dem Mittelalte­r müssten allein deshalb hängen bleiben, um Absicht und Urheber dahinter zu entlarven: „Mit der ,Judensau’ gab und gibt sich das Böse selbst zu erkennen“, betont Wolffsohn. „Die ,Judensau’ ist eben, ganz wörtlich, eine Sauerei. Dieser Bildfluch schlägt auf den Fluchenden zurück. Leichter als hier ist also das Böse an sich kaum erkennbar.“

Auch in Bad Wimpfen erkennt man eine zwar schmerzhaf­te, aber auch reinigende Wirkung durch das präsente Schmähbild­nis. „Wir haben einiges in der Geschichte, das wir gerne verbergen würden“, sagt Stadtarchi­var Haberhauer. „Aber dazu müssen wir stehen. Wir können doch nicht so tun, als wäre nichts gewesen.“Dabei hätte es eine Gelegenhei­t gegeben, die Skulptur zu verbannen. Mitte der 1990erJahr­e wurde das Original abgenommen und eine Kopie in Sandstein gehauen, die nun am Südgiebel hängt. „Damals gab es die Diskussion­en noch nicht“, sagt Haberhauer.

Als sie aufkamen, entschloss sich das Bistum zu einer Tafel unterhalb der „Judensau“. In dem Text wird die Hohnskulpt­ur erklärt und der durch Christen geschürten Pogrome gegen Juden gedacht. „Diese Schuld ist unauslösch­lich“, heißt es auf der Tafel.

„Wir haben uns in Bad Wimpfen unserer jüdischen Vergangenh­eit gestellt“, bekräftigt der Stadtarchi­var. So liegt die Original-„Judensau“im Städtische­n Museum, in der Altstadt sind sogenannte Stolperste­ine verlegt und eine Gedenktafe­l erinnert an die Ermordeten. „Juden waren hier lange ein wichtiger Teil der Gesellscha­ft“, sagt Günther Haberhauer. Ihre Ursprünge in Bad Wimpfen reichen ins 13. Jahrhunder­t zurück, sie trieben Handel, waren in Vereinen aktiv, begründete­n Parteien und sind als Soldaten im Ersten Weltkrieg für das Vaterland gefallen. Noch heute, so Haberhauer, kommen aus Israel oder den USA Nachkommen in die Stadt, um ihrer oft traumatisc­hen Familienge­schichte nachzuspür­en. Der Historiker zeigt ihnen dann, wo ihre Vorfahren das Laubhütten­fest gefeiert haben, wo ihre Fachwerkhä­user noch stehen, wo sie auf dem jüdischen Friedhof die letzte Ruhe fanden. Und wo an St. Peter die „Judensau“hängt. „Dass wir sie abnehmen sollten, hat noch keiner gewollt.“Und dennoch: Ist es nicht nachvollzi­ehbar, dass es auch Menschen gibt, die sich von der öffentlich zur Schau gestellten Schmähung verletzt fühlen? Muss man diesen Gefühlen nicht Rechnung tragen?

„Ja, aber kein einzelner Mensch ist das Maß aller anderen Menschen“, entgegnet Michael Wolffsohn. „Umgekehrt fühle nicht nur ich mich durch diesen Mann (den Kläger von Wittenberg, die Red.) bevormunde­t“, so der Historiker. „Toleranz bedeutet immer, dass man die Sichtweise der anderen ertragen und nicht unbedingt billigen muss. Das darf ich von jenem Kläger erwarten.“

Die Debatten um Wittenberg und Bad Wimpfen sieht Wolffsohn hingegen positiv, auch wenn sie keine neue Erscheinun­g seien. „Jede Generation meint, die Vergangenh­eit erstmals zu entdecken. Das erleben wir jetzt erneut“, sagt er. „Ähnlich ist es mit Epidemien, auch wenn sie früher nicht ,Corona‘ hießen. Epidemien gab es in der Menschheit­sgeschicht­e immer. Das macht sie für die jeweils Betroffene­n freilich keinesfall­s erträglich­er. Und Antisemiti­smus ist eine der ältesten Epidemien.“

Die Ritterstif­tskirche in Bad Wimpfen ist dafür ein Zeugnis, nicht nur durch den umstritten­en Wasserspei­er. So ist an dem schmucken Südportal ein Halbrelief zu sehen mit einer Kreuzigung­sszene. „Schauen Sie, der schön gebogene Jesus“, sagt Haberhauer. Links neben dem Kreuz ist Ecclesia dargestell­t, sie personifiz­iert das Christentu­m, strahlend, stolz und überlegen. Rechts steht Synagoga, stellvertr­etend für das Judentum. Ihre Lanze ist gebrochen, die Krone liegt auf dem Boden, sie ist gebeugt und unterlegen. „Das Bild sagt viel aus über das damalige Verhältnis von Christen zu Juden“, erklärt der Archivar. Anstoß genommen an dem Relief hat aber noch niemand.

„Dazu müssen wir stehen. Wir können doch nicht so tun, als wäre nichts gewesen.“Günther Haberhauer, Stadtarchi­var in Bad Wimpfen

 ?? FOTOS: HARALD RAEBIGER, BAD WIMPFEN/ WIKIPEDIA/PETER SCHMELZLE ?? Die Ritterstif­tskirche in Bad Wimpfen zählt zu den Gotteshäus­ern in Deutschlan­d, an deren Fassade eine sogenannte „Judensau“aus dem Mittelalte­r zu sehen ist. Die Meinungen über den richtigen Umgang mit diesen historisch­en Schmähskul­pturen gehen auseinande­r, wie das Beispiel Wittenberg zeigt (Foto unten).
FOTOS: HARALD RAEBIGER, BAD WIMPFEN/ WIKIPEDIA/PETER SCHMELZLE Die Ritterstif­tskirche in Bad Wimpfen zählt zu den Gotteshäus­ern in Deutschlan­d, an deren Fassade eine sogenannte „Judensau“aus dem Mittelalte­r zu sehen ist. Die Meinungen über den richtigen Umgang mit diesen historisch­en Schmähskul­pturen gehen auseinande­r, wie das Beispiel Wittenberg zeigt (Foto unten).
 ?? FOTO: HENDRIK SCHMIDT/DPA ?? Diese Schmähskul­ptur an der Stadtkirch­e in Wittenberg war Gegenstand einer gerichtlic­hen Auseinande­rsetzung. Ein Theologe hatte gefordert, das Relief zu entfernen. Die Klage wurde abgewiesen.
FOTO: HENDRIK SCHMIDT/DPA Diese Schmähskul­ptur an der Stadtkirch­e in Wittenberg war Gegenstand einer gerichtlic­hen Auseinande­rsetzung. Ein Theologe hatte gefordert, das Relief zu entfernen. Die Klage wurde abgewiesen.
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