Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
2000 Coronatests blieben in Ravensburger Labor liegen
Mindestens 350 Tests stammen aus dem Bodenseekreis – Was betroffene Patienten jetzt wissen müssen
Von Annette Vincenz und Jens Lindenmüller
FRIEDRICHSHAFEN/RAVENSBURG Etwa 2000 Coronatests sind vergangene Woche im MVZ-Labor Dr. Gärtner in Ravensburg liegen geblieben, weil eine Chemikalie fehlte, um die Nasen- oder Rachenabstriche zu analysieren. Erst am Sonntag sollen die Gesundheitsämter der betroffenen Landkreise darüber informiert worden sein. Das geht aus einer Pressemitteilung des Landesgesundheitsministeriums hervor. Dieser Darstellung widerspricht das Ravensburger Labor jedoch in einer Presseerklärung. „Die Einschränkungen der Testkapazitäten aufgrund von Lieferengpässen der Zulieferer wurden bereits frühzeitig sowie wiederholt in der vergangenen Woche an unsere Einsender und die Gesundheitsämter kommuniziert, insbesondere auch bei einer Telefonkonferenz am 16. März an das Landesgesundheitsamt und Sozialministerium.“Die SZ hat einige Fragen und Antworten zusammengefasst.
Woher kamen die Tests?
Das Labor Dr. Gärtner bedient einen Raum, der vom Schwarzwald bis zum Allgäu und vom Bodensee bis Aalen/Ellwangen reicht. Allein 1000 nicht bearbeitete Tests sollen laut Ministerium aus dem Landkreis Tübingen kommen, im Kreis Ravensburg sind es nach SZ-Informationen 200, im Bodenseekreis laut Auskunft des Landratsamtes mindestens 350. Von so vielen Menschen war in der Zeit zwischen 15. und 18. März im Corona-Testzentrum Oberteuringen ein Abstrich gemacht worden. Wie viele Tests noch dazuzurechnen sind, weil der Abstrich woanders, zum Beispiel in einer Hausarztpraxis gemacht worden ist, dazu lagen dem Landratsamt am Montag noch keine abschließenden Erkenntnisse vor.
Um welchen Zeitraum geht es? Laut Gesundheitsministerium um Abstriche, die von Samstag, 14. März, bis Mittwoch, 18. März, in Hausarztpraxen oder zentralen Anlaufstellen der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) entnommen wurden. Dem widerspricht das Labor Dr. Gärtner: „Lediglich Proben von den Tagen 16. März und 17. März, die von den Corona-Entnahmestellen oder ambulanten Einrichtungen eingesendet wurden und keine Kennzeichnung auf Risikopatienten trugen, konnten bislang noch nicht zeitnah abgearbeitet werden.“Ende vergangener Woche habe man an der Kapazitätsgrenze des Labors Coronavirus-Tests durchgeführt. „Dennoch konnten nicht sämtliche bei uns eingetroffenen Proben zeitnah untersucht werden, da unsere Kapazität zeitweise durch Lieferengpässe der Industrie massiv reduziert wurde. Der Lieferant der für die CoronavirusTests erforderlichen Reagenzien kann der aktuellen Nachfrage nur eingeschränkt gerecht werden, sodass wir über die ohnehin zurzeit bestehende Rationierung der Reagenzien hinaus von einem zweitägigen Lieferausfall betroffen waren.“Das Labor meint weiter: „Alle Proben von stationär behandelten Patienten sowie alle gekennzeichneten Proben von Risikopatienten wurden und werden weiterhin täglich aussortiert und zeitnah bearbeitet.“
Landratsamt Bodenseekreis
Wann wurde das ruchbar?
Erste Gerüchte, dass beim Labor Dr. Gärtner Tests im Stau stecken, gab es am Donnerstagabend in Ärztekreisen, weil die Ergebnisse der Vortage einfach nicht kamen. Sonst hat es ungefähr einen bis anderthalb Tage gedauert (übers Wochenende auch schon mal länger), bis ein Ergebnis vorlag. Als sich der Verdacht am vergangenen Freitag erhärtete, wurden die Tests übers Wochenende stark zurückgefahren. An der Zentralen Anlaufstelle der KV in Ravensburg wurden laut Kreisärztechef Hans Bürger beispielsweise am Samstag und Sonntag nur noch je zehn Abstriche genommen. Durch die fehlenden Ergebnisse ist es auch zu erklären, dass die Zahl der bestätigten positiven Coronafälle im Kreis Ravensburg am Wochenende zu stagnieren schien: Freitagabend waren 102 Fälle gemeldet, am Sonntag 110, ein viel geringerer Anstieg als in den Tagen davor. Ähnlich war die Entwicklung im Bodenseekreis, wo das Landratsamt die Infiziertenzahl (am Montag 94) mittlerweile nur noch mit dem Hinweis veröffentlicht, dass diese Zahl allenfalls noch ein Indikator
für die Ausbreitung des Virus im Bodenseekreis sei. Unter anderem, weil es in den Laboren mittlerweile Wartezeiten von teilweise mehreren Tagen gebe. Laut Landesgesundheitsministerium hat das Labor die zuständigen Behörden erst am Sonntag über die Panne informiert. „Das Vorgehen des Labors hält alle betroffenen Bürgerinnen und Bürger weiter in Ungewissheit und ist nicht akzeptabel“, schreibt das Ministerium dazu in seiner Pressemitteilung.
Können die Tests nicht nachträglich ausgewertet werden?
Laut Gesundheitsministerium wird geprüft, welche noch zu retten sind. Ob Tests wiederholt werden, hängt vom Gesundheitszustand der Betroffenen ab. Ein pauschaler Wiederholungstest für alle, bei denen in der fraglichen Zeit ein Abstrich gemacht wurde, sei medizinisch nicht sinnvoll, teilt das Landratsamt des Bodenseekreises mit. „Nur wer jetzt noch Symptome hat, sollte sich noch mal in der hausärztlichen Praxis oder beim Gesundheitsamt melden“, heißt es in einer entsprechenden Mitteilung. Laut Labor Dr. Gärtner lasse das Probenmaterial aus medizinischer Sicht weiterhin die Durchführung des Tests zu, denn bei Patienten mit hoher Viruskonzentration im Probenmaterial sei auch nach der verlängerten Lagerung noch ein positives Testergebnis zu erwarten. „Alle bei uns eingelieferten Proben werden wir schnellstmöglich untersuchen. Für jede Probe wird ein Laborbefund erstellt. Patienten, die weiterhin Symptome zeigen, werden dennoch aufgefordert, eine neue Probe einzusenden, um eine adäquate Diagnostik bei Patienten mit niedriger Viruskonzentration zu gewährleisten.“
„Nur wer jetzt noch Symptome hat, sollte sich noch mal in der hausärztlichen Praxis oder beim Gesundheitsamt melden.“
Wie ist die Panne zu bewerten? Aus gesundheitlicher Sicht nicht ganz so schlimm. Da momentan noch eher jüngere, sportliche Urlaubsrückkehrer aus den Skigebieten getestet werden beziehungsweise deren Kollegen, Freunde und Partner, die sich bei ihnen angesteckt haben könnten, ist es keine „Katastrophe“, meint Stefan Schäfer von der Kassenärztlichen Vereinigung. Wenn sich demnächst aber mehr Senioren oder Menschen mit Vorerkrankungen infizieren sollten, für die Covid-19 weitaus gefährlicher ist als für junge Gesunde, dürfe sich so eine Panne auf keinen Fall wiederholen. Aus epidemiologischer Sicht sei das Ganze aber insofern schlecht, weil man durch die Tests ja auch einen Eindruck bekommen will, wie weit das neuartige Coronavirus in der Region schon verbreitet ist.