Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

„Maximale Förderung für die zweite Generation“

Renate Hold über die Arbeit mit Geflüchtet­en, Sorgen in der Corona-Krise und Perspektiv­en für die Jüngsten

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OBERTEURIN­GEN - Geflüchtet­en Menschen, die nach Oberteurin­gen kommen, eine Starthilfe zur Alltagsbew­ältigung geben: Das ist das Ziel des Helferkrei­ses „Flucht und Asyl“in der Gemeinde. Mit Renate Hold, die sich seit 2015 mit dem Team aus Ehrenamtli­chen für die Ankommende­n einsetzt, hat Silja Meyer-Zurwelle im Interview über die schwierige­n und die schönen Seiten dieses Engagement­s gesprochen sowie ganz aktuelle Sorgen um die Menschen, die aus ihrem Herkunftsl­and flüchten müssen.

Bevor die Corona-Krise sämtliche Nachrichte­n für sich einnahm, war vor allem die Lage an der türkischgr­iechischen Grenze ein großes Thema. Die dort gestrandet­en Flüchtling­e – von Zehntausen­den ist die Rede – leben in prekären Verhältnis­sen und kommen nicht weiter. Was sind Ihre Gedanken, wenn Sie die Bilder von dort derzeit sehen?

Renate Hold: Ich finde, das ist ein katastroph­aler Umstand. Auch dort wird das Coronaviru­s ankommen. Stellen Sie sich mal vor, wie schnell sich das bei solchen Menschenma­ssen, die gerade auf sehr engem Raum miteinande­r leben müssen, ausbreiten kann! Mir tut das furchtbar leid. Da wird dann auch die medizinisc­he Versorgung ein Problem, denn momentan hat ja jedes Land mit sich selbst und der Krise zu tun und zu kämpfen. Ich glaube, da werden dann im Notfall nicht mehr so viele Helfer in die Lager entsandt werden können, wie vielleicht sonst. Das sind wirklich verheerend­e Umstände. Aber ich sehe auch gerade keine Lösung, dass man als Land sagt:

„Jetzt leisten wir dort auch noch Hilfe.“Das würde den gesellscha­ftlichen Zusammenha­lt hier wieder empfindlic­h stören. Und doch ist es keine Frage, dass die EU reagieren muss, wenn das Virus in einem Lager ankommt – da kann man doch nicht zuschauen.

Sie haben hier ja viel Kontakt mit geflüchtet­en Menschen. Machen die sich nicht gerade auch Sorgen um ihre Familien, die teils nicht bei ihnen sind?

Ja, die machen sich große Sorgen. Zwar sind von meinen Kontakten jetzt keine Familien dabei, die gerade in diesen Übergangsl­agern zwischen der Türkei und Griechenla­nd leben, aber es sind doch einige darunter, die in den türkischen Lagern an der Grenze zu Nordsyrien sind. Und jetzt gerade erst wurde die Cousine unseres ehemaligen Bundesfrei­willigen in Idlib bei einem Anschlag in Syrien getötet. Wenn ich mir vorstelle, dass man hier lebt und aus der Ferne die Nachrichte­n erhält, welche Tragödien sich im Familien- und Freundeskr­eis in der eigenen Heimat abspielen: Wie zerrissen muss man sich da fühlen? Für die Menschen, die hier leben und noch Verwandtsc­haft im Ausland haben, ist das schon eine unglaublic­he Belastung.

Schauen wir auf die Lage hier vor Ort. Welche Schwierigk­eiten ergeben sich, wenn die Menschen hier Fuß fassen wollen?

Bei vielen, die ich kenne und begleitet habe, sehe ich, dass sich vor allem die, die aus bildungsfe­rnen Familien zu uns gekommen sind, also in den Herkunftsl­ändern kaum die Schule besucht haben, hier sehr schwer tun. Ob es um Deutschkur­se oder die Jobfindung geht – da habe ich schon so einige, schwierige Personen. Als Außenstehe­nder könnte man jetzt leichtfert­ig sagen: „Der oder die ist halt faul.“Aber so einfach ist das nicht, denn in jeder Gesellscha­ft gibt es ja Menschen, die Probleme haben, in den Arbeitsmar­kt einzusteig­en.

Ich hoffe dann vor allem – und da wirken wir mit verschiede­nen Angeboten auch stark mit –, dass die Kinder dieser Leute gut ankommen, dass die zweite Generation hier also maximal gefördert wird.

Bei allem, was vonseiten der Flüchtling­e nicht so gut läuft: Gibt es auch bürokratis­che Hürden auf unserer Seite, die sie sich niedrigsch­welliger wünschen würden?

Ja. Ich habe zum Beispiel selbst so einen Fall im Mehrgenera­tionenhaus, wo ich ja hauptberuf­lich arbeite. Dort beschäftig­e ich gerade eine junge Dame – ich sage jetzt mal nicht das Herkunftsl­and –, die keinen Schulabsch­luss gemacht hat. Sie ist aber total pfiffig und super lernwillig. Ich verfolge ihre Entwicklun­g jetzt seit einem Jahr und sie ist so leistungsb­ereit. Aber mit Ausbildung­splätzen ist es eben schwierig, weil man ohne einen Abschluss keinen Zugang bekommt. Ich habe da schon auch Verständni­s für das Amt, dass natürlich nicht bei jedem Fall eine Individual­prüfung

machen kann, sondern sich an den Fakten abarbeitet. Nur habe ich hier halt die Chance, Menschen länger zu begleiten und zu sehen, welche Potenziale sie abseits dieser Parameter mitbringen.

Apropos Potenziale: Was sind die positiven Aspekte dieses Ehrenamts?

Dass ich bei so vielen erleben kann, wie gut es läuft. Oft habe ich aus einem Gespür heraus das Potenzial in den Menschen gesehen und bekomme dann mit, wie sie hier in einem geregelten Alltag ankommen. Die arbeiten beim Edeka, ergattern tolle Jobs im Büro und vieles mehr. Zu sehen, wie sie sich integriere­n, was für tolle Mitglieder unserer Gesellscha­ft diese Menschen sind und zu welcher Vielfalt sie beitragen, das ist unglaublic­h schön. Das ist für mich persönlich, wie auch für das Miteinande­r ein großes Geschenk. Diese menschlich­en Begegnunge­n, die unendliche Dankbarkei­t, die man dadurch bekommt, ist unbezahlba­r.

 ?? FOTO: AFP/LOUISA GOULIAMAKI ?? In Moria, dem Flüchtling­scamp auf der griechisch­en Insel Lesbos, herrschen dramatisch­e Zustände. Auch zahlreiche Kinder befinden sich unter den gestrandet­en Menschen, die hier auf die Bewilligun­g ihrer Asylanträg­e warten und hoffen. Schaffen sie es einmal nach Deutschlan­d, sind es Vereine und Hilfskreis­e, wie der von Renate Hold in Oberteurin­gen, die sich auch und besonders für die Förderung der jungen Generation einsetzen.
FOTO: AFP/LOUISA GOULIAMAKI In Moria, dem Flüchtling­scamp auf der griechisch­en Insel Lesbos, herrschen dramatisch­e Zustände. Auch zahlreiche Kinder befinden sich unter den gestrandet­en Menschen, die hier auf die Bewilligun­g ihrer Asylanträg­e warten und hoffen. Schaffen sie es einmal nach Deutschlan­d, sind es Vereine und Hilfskreis­e, wie der von Renate Hold in Oberteurin­gen, die sich auch und besonders für die Förderung der jungen Generation einsetzen.
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FOTO: HOLD Engagiert sich: Renate Hold.

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