Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Kein Play-off-Puck mehr für die Sammlung
Für Marcel Goc endete die Eishockey-Karriere coronahalber jäh – Künftig arbeitet der bisherige Kapitän im Trainerstab der Adler Mannheim
NVon Joachim Lindinger
ein, um Marcel Goc ging es Marcel Goc kein bisschen, als er erfahren hat: vorbei! Zwei freie Tage lagen hinter den Eishockeyprofis der Adler Mannheim, vor ihnen lagen die Play-offs. Für Marcel Goc, den Kapitän, sollten es die letzten der Karriere sein – 36 ist er, die Familie würde endlich vermehrt zu ihrem Recht kommen. Und: „Nachdem ich in zwei verschieden Jahrtausenden, zwei verschiedenen Jahrhunderten und vier verschiedenen Jahrzehnten gespielt habe, sagt mein Körper: ,Ich habe fertig.‘“Abschied also, einer allerdings mit ambitioniertem Ziel: „Ich möchte noch einmal eine Play-offRunde spielen, die es in sich hat.“
Dann kam Corona. Und mit dem Virus die rasche, radikale und, weiß man längst, richtige Entscheidung der Deutschen Eishockey Liga: Saisonabbruch. „Als ob man in einem falschen Film ist“, sagt Marcel Goc, habe er sich da gefühlt, als „absurd“die Situation empfunden. Aber: „Ich kann gar nicht sauer oder traurig sein, weil anderes jetzt viel wichtiger als Eishockey ist.“
Marcel Goc ist kein Selbstdarsteller, keiner für den Mittel-, sehr wohl einer für den Bullypunkt. Anspiele zu gewinnen gehört im Eishockey zu jenen oft zitierten „Kleinigkeiten“, die enge Partien entscheiden. Unspektakulär und doch den Unterschied ausmachend. Der Unterschied Goc – dass da einer mehr kann, begabter ist, wussten sie bei den Schwenninger
Wild Wings spätestens, als das Bürschchen aus Calw am 10. September 1999 mit 16 Jahren, 17 Tagen und Gittermaske in der DEL debütierte. Hinter der Bande beim 9:0 über die Revierlöwen Oberhausen: Rich Chernomaz. Der lobte den schmächtigen Center als „Instinktspieler“, eine Saison später trug Marcel Goc das Nationaltrikot. Am 8. November 2000, bei einem 1:4 gegen Kanada in Landshut, stand er erstmals in der Auswahl von Bundestrainer Hans Zach.
Die Talentspäher der National Hockey League hatten Marcel Goc da durchweg im Blick, die Transferrechte sicherten sich beim Draft 2001 die San Jose Sharks. Mit zwei weiteren Spielzeiten DEL-Erfahrung, zuletzt in Mannheim, wagte der jetzt 20-Jährige den Schritt nach Übersee. Erst in den Play-offs allerdings durfte er sich bei den Sharks beweisen; das 2:0 beim entscheidenden Auswärts-3:1 im Conference-Halbfinale gegen die Colorado Avalanche erzielte er. Auf 699 Einsätze, verteilt auf elf Spielzeiten und die Stationen San Jose, Nashville, Florida, Pittsburgh und St. Louis, sollte Marcel Goc in der NHL kommen. 80 Treffer und 123 Vorlagen weisen die Statistiken für den Linksschützen aus, dessen Aufgabe nie die gewesen ist, Torproduzent allein zu sein. Franz Reindl, Präsident des Deutschen Eishockey-Bundes, ist Fan der Goc’schen Fertig- und Vielseitigkeit. Vor Olympia 2018 in Pyeongchang hat er sie so beschrieben: „Marcel ist ein Zwei-Wege-Spieler, der nach vorne gut ist, seine Nebenleute besser macht und auch defensiv seine Arbeit verrichtet.“
So einer ist begehrt, wenn er die beste Liga der Welt verlässt und sich gen Heimat orientiert. Im Spätsommer 2015 setzte Marcel Goc seine Unterschrift unter einen Vertrag mit den Adlern Mannheim – einen Fünfjahresvertrag. „Der Verein“, sagte er, „kennt mich gut, und ich kenne den Verein gut.“Eine Win-Win-Situation. Eigentlich. Uneigentlich hat Marcel Goc von den 294 Punktspielen, die sein Club in den vergangenen fünf Jahren gespielt hat, 141 verpasst. Verletzt.
Eine fast unendliche Leidensgeschichte, unterbrochen von einigen – wenigen – um so glücklicheren Fügungen.
Der etwa, dass Marcel Goc sich bester Gesundheit erfreute, als Marco Sturm sein Südkorea-Winterspiele-Ensemble zusammenpuzzelte. Was der deutschen Auswahl und deren Kapitän dann widerfuhr: Sportgeschichte! Länderspiel Nr. 112 Marcel Gocs, sein letztes, war eines für die Eishockey-Ewigkeit: 3:4 nach Verlängerung gegen die Olympischen Athleten aus Russland, Silbermedaille!
Alle Konzentration danach galt den Adlern! Die hatten wenig Fortune gehabt zuvor. Jetzt, 2018/19, hatte Pavel Gross das Sagen, ein Coach, der sich in Aufgabenstellungen verbeißen kann, der Arbeitsethos vorlebt. Auch Marcel Goc wollte diese Meisterschaft.
Unbedingt. Da hatten sich zwei gesucht. Das mit dem Finden jedoch dauerte: Brustmuskelverletzung erst; Spiel zwei des Comeback-Wochenendes beendete ein Schuss, der die Kniescheibe traf – Patellafraktur. Spielpraxis für die Play-offs holte sich Marcel Goc in den sieben letzten Hauptrundenpartien, beim Titel bringenden 5:4 über den EHC RB München in Finalspiel fünf gingen das 1:0, die Vorarbeit zum 2:0 und die zu Thomas Larkins 5:4 – ein No-Look-Pass – a conto Marcel Goc. Pavel Gross war eines noch Besseren belehrt worden an diesem 26. April 2019 – Pavel Gross, der gesagt hatte: „Für vieles, was Marcel macht, gibt es keine Statistiken.“Nun aber waren zu gewohnt enger Scheibenführung, zu noch immer verblüffender Schnelligkeit, zu hoher Spielintelligenz gleich drei Scorerpunkte hinzugekommen. Und der Meisterpokal.
Scorerpunkte sind es eine unvollendete Saison später 168 (49 Tore, 119 Assists), aus 388 DEL-Begegnungen. Die – unverhofft – letzte brachte ein 4:2 über die Schwenninger Wild Wings; der Kreis schloss sich. „Ich habe den Puck eingesteckt.“Zwei Tage später war klar: Coronahalber würde die Sammlung spezieller Hartgummischeiben nicht weiter wachsen. Doch sein Sport war noch einmal fair zu Marcel Goc: Künftig wird er als „Skills and Development Coach“ins Trainerteam der Adler Mannheim eingebunden, feilt er an den individuellen Stärken jedes Spielers. Die nächsten Playoffs sollen es schließlich in sich haben.