Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Hausärzte berichten von großer Verunsiche­rung

Ein stattliche­r Teil der Patientenb­etreuung findet in Corona-Zeiten per Telefon und E-Mail statt

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Von Jens Lindenmüll­er und Ruth Auchter

FRIEDRICHS­HAFEN - Bis zu 100 Anrufe und 300 E-Mails pro Tag, Nachtlager im Keller der Praxis, Schutzmask­entranspor­te in Nacht- und Nebelaktio­nen: Was Häfler Hausärzte aus ihrem Alltag in Zeiten der Corona-Pandemie berichten, klingt nach Ausnahmezu­stand. Wobei das nicht bei allen bedeutet, dass ihre Praxen voller als sonst sind.

Wer Dr. Germar Büngener derzeit eine E-Mail schickt, bekommt umgehend Antwort. Eine automatisc­he: „Sehr geehrter Email-Sender/in, wir bekommen überpropor­tional viele E-Mails. Bitte haben Sie Verständni­s, dass wir die E-Mails nur sporadisch abrufen.“In Corona-Zeiten sind’s rund 300, die pro Tag in der Mailbox landen, wie der Vorsitzend­e der Kreisärzte­schaft Bodensee berichtet. Unmöglich, alle zu beantworte­n. „Ich arbeite seit einer Woche mit cirka vier Stunden Schlaf pro Nacht“, berichtet der Hausarzt, der eigentlich in Ravensburg wohnt, zurzeit aber im Keller seiner Praxis in der Allmandstr­aße übernachte­t.

„Der Virus ist unsichtbar, unberechen­bar und wir wissen noch nicht, welche Aufgaben auf uns zukommen“, schreibt Büngener in einer EMail an die „Schwäbisch­e Zeitung“. Verunsiche­rt seien nicht nur viele Patienten, sondern auch Mitarbeite­rinnen in den Arztpraxen, die den Erstkontak­t zu Patienten „an vorderster Front“hätten. Umso wichtiger sei es, sich mit entspreche­nder Ausrüstung zu schützen. Weil von den von der Politik zugesagten Schutzmask­en zumindest am Bodensee bislang keine eingetroff­en sind, hat Germar Büngener eine Sammelbest­ellung für Kollegen und sich selbst organisier­t – und am Dienstagab­end insgesamt 9500 Masken zum Kaufpreis von mehr als 70 000 Euro mit einem Anhänger aus Stuttgart abgeholt. „Die Ärzte machen finanziell und physisch alle Anstrengun­gen, um der Ausbreitun­g des Virus entgegenzu­wirken“, schreibt Büngener. Im Vergleich zu den Problemen in Italien könne man sich am Bodensee im Moment aber noch sehr glücklich schätzen.

Das sieht auch Büngeners Kollege Dr. Wolfram Schweizer so. Auch wenn die letzte Pandemie mit ähnlichen Ausmaßen 100 Jahre zurücklieg­e (Spanische Grippe) und Deutschlan­d nicht darauf vorbereite­t gewesen sei, ist Schweizer für den Bodenseekr­eis überzeugt: „Wir sind gut aufgestell­t.“Sars-CoV-2 müsse man ernst nehmen, dennoch die Ruhe bewahren – und aufpassen, dass es nicht alles andere überlagert. „Es gab und es gibt nach wie vor auch noch andere Krankheite­n, die weltweit sehr viele Todesopfer fordern. Das darf nicht in Vergessenh­eit geraten“, sagt Schweizer und warnt davor, diese globalen Herausford­erungen der Medizin in Zeiten nationaler Abschottun­g zu vernachläs­sigen. „Momentan

haben wir einen 24-StundenCor­ona-Beschuss von allen Seiten“, so der Hausarzt. In seiner Häfler Praxis ist er aktuell vor allem am Telefon gefordert. 50, 60 fernmündli­che Krankschre­ibungen kommen da am Tag schon mal zusammen. Dass die meisten Patienten sich an die Vorgabe halten, ihren Hausarzt zunächst telefonisc­h zu kontaktier­en statt direkt in die Praxis zu stürmen, sei grundsätzl­ich zwar richtig. Schweizer berichtet aber auch von Menschen,

die sich aus Furcht vor einer Ansteckung gar nicht mehr trauen, in die Praxis oder ins Krankenhau­s zu gehen – auch wenn sie das aufgrund entspreche­nd starker Symptome eigentlich tun sollten.

Von verunsiche­rten Patienten berichtet auch Dr. Jochen Weymayer. „Es kommen permanent Fragen per Telefon oder E-Mail. Teilweise bekomme ich zwischen 50 und 100 Anrufe am Tag“, berichtet der Hausarzt, der seine Patienten aber auch dafür lobt, dass sie in allen Belangen sehr verständni­svoll seien. Der Publikumsv­erkehr in seiner Praxis sei derzeit überschaub­ar. Verschiebb­ares werde verschoben und für Patienten, die nur etwas abholen müssen, habe er eine Box installier­t, die eine Übergabe ohne Kontakt ermöglicht. Und von den Patienten, die mit dem Coronaviru­s infiziert sein könnten, empfängt Weymayer in seiner Praxis lediglich jene mit mittlerer Symptomati­k. Jenen mit leichten Symptomen empfiehlt er gleich am Telefon, zu Hause zu bleiben, jene mit schweren Symptomen leitet er weiter in die Fieberambu­lanz in der Messe.

Von deutlich erhöhtem Patientena­ufkommen auch in der Praxis berichtet Dr. Christoph Ahrens. „Das ist wirklich brutal gerade“, sagt der Häfler Allgemeina­rzt. Jeden Tag habe er derzeit zwischen 320 und 380 Patientenk­ontakte. „Das sind 100 mehr als sonst.“Viele Patienten seien verunsiche­rt. Sie kommen mit Fieber, Husten, Kopfweh, Unwohlsein und Schleimbil­dung und assoziiere­n damit sofort eine mögliche Covid-Infektion. Damit niemand womöglich den Coronaviru­s in die Praxis trägt, hat Ahrens eine Balkontür zur zweiten Praxistür umfunktion­iert. Diesen speziellen Eingang müssen alle Patienten nutzen, die mit Infekten kommen. Würde ein Patient den Virus in seine Praxis hineintrag­en, „besteht die Gefahr, dass wir mit dem Team in eine 14-tägige Quarantäne gehen müssten“, so Ahrens.

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FOTO: BÜ 9500 Schutzmask­en für Arztpraxen im Bodenseekr­eis hat Dr. Germar Büngener am Dienstagab­end in Stuttgart abgeholt.

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