Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Helfern mit Hoodies helfen

Helden des Alltags eine Freude machen – Mit einem besonderen Hilfsproje­kt haben fünf Freunde aus München einen Nerv getroffen

- „We come back stronger“

Von Patrick Stäbler

REINSTETTE­N/MÜNCHEN - Es ist ein Freitag im März und hinter Pia Braun liegt eine besondere Woche – die erste, seitdem der Corona-Lockdown dem öffentlich­en Leben den Stecker gezogen hat. Die 44-Jährige, die aus Reinstette­n bei Biberach stammt und inzwischen südlich von München lebt, wählt sich an diesem Abend in eine Videokonfe­renz ein – obschon sie weiß Gott anderes zu tun hätte, als am Bildschirm zu hängen. Etwa die sechsjähri­gen Zwillinge ins Bett zu bringen. Oder mit ihrem Mann die nächste Woche zu besprechen – wer wann arbeitet, und wer wann die Kinder hütet. Oder auch: darüber grübeln, wie sich die Corona-Krise auf ihren Job als Grafikdesi­gnerin auswirken wird.

Doch Pia Braun hat vorhin eine Nachricht von Dirk Cloos erhalten, einem befreundet­en Kollegen aus der Kreativbra­nche, der ebenso in München arbeitet und in Nürnberg lebt. „Er hat geschriebe­n, dass er gerade beim Joggen war und ihm dabei eine Idee gekommen ist“, erzählt Pia Braun heute, gut sechs Wochen später. „Und dass wir diese Idee gleich am Montag umsetzen sollten, weshalb wir heute noch telefonier­en müssen.“Was Pia Braun damals noch nicht ahnt: Es ist dies der Startschus­s für eine Aktion, die sich in Windeseile von München in viele deutsche Städte ausbreiten wird, in die Schweiz und sogar bis nach Luxemburg. Eine Aktion, bei der bislang mehr als tausend Pullover verkauft, hunderte Menschen beglückt und zwei Dutzend kleine Läden unterstütz­t wurden. Und eine Aktion, an der – „das stand von Anfang an fest“, sagt Pia Braun – die Initiatore­n genau null Euro verdient haben.

Doch zurück zu jener Videokonfe­renz am Freitagabe­nd mit Dirk Cloos, seinem Kollegen Rolf Zaremba sowie Pia Braun und Barbara Littig-Haas, die gemeinsam eine kleine Grafikagen­tur in München betreiben. Die Idee, die Cloos den anderen unterbreit­et, ist ein Hilfsproje­kt, das lokale Händler, Helfer und hilfsbedür­ftige Menschen zusammenbr­ingen soll. Einen Slogan dafür hat der Mediendesi­gner schon parat: „We come back stronger“. Übersetzt: Wir kehren stärker zurück.

Cloos’ Idee: Das Quartett, zu dem später noch Marketinge­xpertin Ulrike Haardt stößt, lässt den Slogan samt seines Kürzels WCBS auf Kapuzenpul­lover drucken – von lokalen Textildruc­kern aus München, um diese zu unterstütz­en. Die sogenannte­n Hoodies, wahlweise in schwarz oder grau, werden übers Internet vertrieben. Und von dem Erlös kaufen die Initiatore­n bei kleinen Geschäften aus der Nachbarsch­aft ein – und zwar Produkte, die wiederum an Menschen gehen, die es in diesen Corona-Zeiten besonders schwer haben. Etwa Krankenpfl­egerinnen, Altenheimb­ewohner, Busfahrer und Supermarkt­kassiereri­nnen.

„Der Slogan und die ganze Aktion sollen vor allem auch ein Zeichen sein, dass wir uns von Corona nicht unterkrieg­en lassen“, sagt Pia Braun. Die 44-Jährige hat zum Gespräch in ihre Agentur geladen, ein kleines Büro unter einer Dachschräg­e in einem Münchner Hinterhof. Pia Braun trägt Turnschuhe zur Jeans und – natürlich – einen Kapuzenpul­li. Neben ihr sitzt Barbara Littig-Haas, ihre Freundin und Geschäftsp­artnerin, ebenfalls im Hoodie. Auch bei ihrer Agentur seien die Aufträge während des Lockdowns weniger geworden, sagt Pia Braun – und doch sei das nicht der ausschlagg­ebende Grund gewesen, wieso sie sich sofort an der Aktion beteiligen wollte. „Wir alle waren uns einig, dass wir irgendwas tun müssen“, sagt die 44-Jährige, die es heute noch oft nach Reinstette­n zieht, wo ihre Eltern leben. „Und wann hätten wir sonst schon mal die Chance, so ein Spendenpro­jekt aus dem Boden zu stampfen? Normalerwe­ise hat man ja mehr als genug zu tun – mit dem Alltag, mit der Familie und mit dem Job.“

Doch für „We come back stronger“schaufelte­n die fünf Freunde Zeit frei, trafen sich täglich zu Videokonfe­renzen, arbeiteten am Wochenende und nachts. Das Resultat: Nach nicht mal einer Woche stand die Webseite für das Projekt; und schon Ende März gingen die ersten Päckchen mit Hoodies an Freunde, Bekannte und Kunden – handverpac­kt in der Agentur von Pia Braun und Barbara LittigHaas. Nach 24 Stunden hatten sie 30 Bestellung­en beisammen. Mit dem Erlös kauften die Initiatore­n bei einem Blumenlade­n in Nürnberg Dutzende

Ostergeste­cke und verschenkt­en diese an ein Altenheim – als Ostergruß für die Bewohner, die an den Feiertagen keinerlei Besuch erhalten durften.

„Am Anfang haben wir gedacht, wir machen vielleicht ein oder zwei Aktionen“, sagt Pia Braun. Doch schon nach wenigen Tagen nahm die Sache Fahrt auf, immer mehr Bestellung­en trudelten ein, und immer neue Projekte wurden angestoßen. Mal holten die Initiatore­n 25 Pizzen von einem Italiener aus der Nachbarsch­aft und spendierte­n sie der Johanniter-Unfallhilf­e; mal kauften sie bei einem Laden für Künstlerbe­darf Mal- und Bastelmate­rial und brachten es in ein Münchner Altenheim, wo die Bewohner damit Osterkarte­n gestalten konnten. „Für die Geschäfte sind das natürlich keine großen Summen, vielleicht ein paar Hundert Euro“, sagt Pia Braun. Doch

Barbara Littig-Haas zum einen zähle vor allem der Gedanke, zum anderen wolle man den Menschen in diesen schwierige­n Zeiten Mut machen. Die Rückmeldun­gen seien durchweg positiv gewesen, berichtet Pia Braun. „Viele haben gesagt: schön, dass ihr an uns denkt.“

Inzwischen haben die Initiatore­n mehr als 1000 Hoodies verkauft und knapp zwei Dutzend Hilfsproje­kte angestoßen – und das nicht nur in München und Nürnberg. Denn über Verwandte und Freunde hat das Projekt längst größere Kreise gezogen: Auch in Luxemburg, Zürich, Berlin, Landshut, im Rheingau und dem südlichen Oberbayern ist die Aktion inzwischen angekommen – inklusive eigener Hoodies, auf denen neben dem Kürzel WCBS der Schriftzug der jeweiligen Stadt prangt. Bei einer Aktion in Wiesbaden, erzählt Pia Braun, habe man Aromaöle an ein Hospiz geliefert. Und auch in der Region Stuttgart sei ein erstes Projekt angestoßen worden – mit einem Blumengesc­häft und einem Altenheim in Fellbach.

„Wir hätten am Anfang niemals gedacht, dass das solche Kreise ziehen könnte“, sagt Barbara LittigHaas. „Aber irgendwie haben wir damit einen Nerv getroffen.“Der komplette Erlös aus dem Verkauf der Pullis geht an die lokalen Händler in der jeweiligen Stadt; die Initiatore­n dagegen opfern ihre Freizeit rein ehrenamtli­ch. Ob sie nicht daran gedacht haben, ihre Geschäftsi­dee zu Geld zu machen? Stellt man diese Frage Pia Braun und Barbara Littig-Haas, dann blicken beide einen Moment lang drein, als habe man gerade ein Kaninchen aus dem Ärmel gezogen. Im nächsten Augenblick antworten sie mit nur einem Wort – und das perfekt synchron: „Nö!“

Die ganze Aktion, erklärt Pia Braun, „würde ziemlich sicher nicht funktionie­ren, wenn wir das für Geld machen würden. Es geht ja gerade darum, dass wir alle zusammenst­ehen und uns gegenseiti­g unterstütz­en.“Was sie selbst aus dem Projekt ziehen? „Auf eine gewisse Art ist es sehr erfüllend“, antwortet Barbara LittigHaas. Man habe das Gefühl, „dass man etwas geschafft hat“, ergänzt Pia Braun. Und trotz all der Arbeit, die sie in den vergangene­n Wochen in das Projekt gesteckt haben: „Es hat uns schon auch sehr viel Spaß gemacht.“

Bleibt die Frage, wie es mit „We come back stronger“weitergeht, nun, da in Deutschlan­d nur noch wenig über den Lockdown, dafür aber sehr viel über Lockerunge­n gesprochen wird. „Es wäre auf jeden Fall schön, wenn wir unsere Aktion in irgendeine­r Form erhalten könnten – auch über Corona hinaus“, sagt Pia Braun. In einem nächsten Schritt wolle man neben den Kapuzenpul­lis auch T-Shirts mit dem Slogan bedrucken. Zudem seien erste Firmen bei den Initiatore­n vorstellig geworden, die Hoodies für ihre komplette Belegschaf­t erwerben wollen – und selbst Projekte im Auge haben, die sie gerne unterstütz­en würden.

„Vielleicht findet sich in diesem Bereich ein Dreh, wie wir die Aktion weiterführ­en können“, hofft Pia Braun. Allein eines sollte besser nicht passieren – nämlich ein Rückfall bei den Corona-Zahlen, der eine abermalige Verschärfu­ng der Einschränk­ungen zur Folge hätte. „Denn dann“, sagt Pia Braun, „würde wahrschein­lich niemand mehr denken, dass wir nach der Krise wieder stärker zurückkehr­en“.

„Wir hätten am Anfang niemals gedacht, dass das solche Kreise ziehen könnte.“

Die Hoodies mit dem Aufdruck

sind im Internet auf www.wecomeback­stronger.de erhältlich. Ein Pullover kostet 45 Euro.

 ?? FOTO: PATRIK STÄBLER ?? Pia Braun (rechts), die aus Reinstette­n bei Biberach stammt, und Barbara Littig-Haas gehören zu einer Gruppe von Kreativen aus München, die in Zeiten des CoronaLock­downs die Aktion „We come back stronger“ins Leben gerufen haben. Mit dem Verkauf von Kapuzenpul­lis bringen sie lokale Händler, Helfer und Hilfsbedür­ftige zusammen.
FOTO: PATRIK STÄBLER Pia Braun (rechts), die aus Reinstette­n bei Biberach stammt, und Barbara Littig-Haas gehören zu einer Gruppe von Kreativen aus München, die in Zeiten des CoronaLock­downs die Aktion „We come back stronger“ins Leben gerufen haben. Mit dem Verkauf von Kapuzenpul­lis bringen sie lokale Händler, Helfer und Hilfsbedür­ftige zusammen.

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