Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Karrieresprung von der Ulmer Wilhelmsburg in den Berliner Bendlerblock
Mit seiner Aufbauarbeit in Ulm hat sich Generalmajor Kai Rohrschneider für neue Aufgaben im Verteidigungsministerium empfohlen
Von Ludger Möllers
ULM - Mit einem goldenen Stern auf den Schulterstücken, als Brigadegeneral, kam Kai Rohrschneider im September 2018 nach Ulm, nun hat er die Donaustadt schon wieder verlassen. Bald dürfte Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) dem 56-Jährigen den dritten goldenen Stern verleihen und ihn zum Generalleutnant ernennen: eine Bilderbuch- und Blitzkarriere, die Rohrschneider bis in die Spitze des Verteidigungsministeriums geführt hat. „Eigentlich sollte und wollte ich noch wenigstens bis Herbst 2021 in Ulm bleiben, hier das neue NatoKommando weiter aufbauen und einsatzbereit melden“, sagt Rohrschneider, „doch offensichtlich hat das Vorstellungsgespräch die Ministerin überzeugt, sodass sie mich zum Abteilungsleiter Führung Streitkräfte ernannt hat.“In einer der wichtigsten Abteilungen im Berliner Bendlerblock sieht Rohrschneider für sich vor allem eine Aufgabe: „Wir müssen die Einsatzbereitschaft erhöhen.“
Mit der Beförderung Rohrschneiders rückt ein Offizier in der militärischen Führung weiter auf, der für seine offenen und klaren, oft für die politische Führung unbequemen Worte bekannt ist. Ein Beispiel: Als Bundeswehr-Kommandeur im afghanischen Kundus sprach sich der damalige Oberst Rohrschneider im
Jahr 2010 für eine deutliche Verstärkung der Kampftruppen in der Unruheregion aus. Er hatte das Kommando kurz nach dem von der Bundeswehr angeordneten Luftangriff auf einen Tanklaster und etwa 100 getöteten Zivilisten übernommen.
Rohrschneider ging medial in die Offensive und forderte im Gespräch mit der Presse 150 weitere Soldaten. Ein nicht abgestimmter Presseauftritt mit Forderungen: normalerweise ein zuverlässiger Karrierekiller für jeden Offizier. Die Begründung aber überzeugte und erwies sich später als richtig: Mehr Soldaten würden ermöglichen, „mit weniger Gefechten, weniger Kampf und weniger Gewalt auszukommen, weil die Aufständischen dann vor dieser militärischen Präsenz ausweichen und wir in Räume hineinkommen, in denen wir afghanische Sicherheitsstrukturen einrichten können“. Rohrschneider bekam die Verstärkung, die Zahl der gefallenen und verletzten deutschen Soldaten sank ab 2011.
Seither fällt sein Name daher immer wieder, wenn von der „Afghanistan Connection“in der BundeswehrFührung die Rede ist. Hohe Offiziere wie General Markus Kneip, bis vor einigen Tagen Chef des Stabes im NatoHauptquartier (Supreme Headquarters Allied Powers Europe SHAPE) gehört ebenso dazu wie Brigadegeneral Peter Mirow, Kommandeur der Deutsch-Französischen Brigade, oder
Brigadegeneral Heico Hübner, Büroleiter des Generalinspekteurs der Bundeswehr. Generalmajor JürgenJoachim von Sandrart, Divisionskommandeur der 1. Panzerdivision in Oldenburg, ist ebenso dabei wie Brigadegeneral Jared Stefan Sembritzki, Kommandeur der Gebirgsjägerbrigade 23 und bald Nach-Nachfolger von Rohrschneider als Chef des Stabes der US Army in Europa. Sie alle eint die Einsatzerfahrung am Hindukusch und die Überzeugung, dass die hohe Einsatzbereitschaft der Truppe entscheidend für den Erfolg ist. Nach dem letzten Bericht lag die materielle Einsatzbereitschaft bei etwa 70 Prozent. Die Offiziere bestimmen heute Ausrichtung, Struktur und Selbstverständnis der Truppe. Und sie wissen die Verteidigungsministerin hinter sich: Annegret Kramp-Karrenbauer will die schweren Probleme der Bundeswehr mit Material und Ausrüstung mit einem Sofortprogramm angehen.
Zurück nach Ulm: Als in der dortigen Wilhelmsburg-Kaserne 2018 das neue Nato-Kommando für Truppenund Materialtransporte, den Schutz des rückwärtigen Raums und die Ausbildung (JSEC) aufgestellt werden sollte, war schnell klar: Brigadegeneral Kai Rohrschneider ist der richtige Mann. Mit dem Aufbau des JSEC und eines weiteren Kommandos in Norfolk (US-Bundesstaat Virginia) reagierte die Nato vor allem auf Druck der USA auf die als aggressiv wahrgenommene Politik Russlands, etwa die Unterstützung prorussischer Separatisten in der Ukraine und die Annexion der Schwarzmeerhalbinsel Krim. Rohrschneider, der als einer der ganz wenigen deutschen Generäle mit der „Einsatzmedaille Gefecht“ausgezeichnet ist, war damals Chef des Stabes der USTruppen in Europa – als zweiter deutscher Offizier überhaupt auf diesem Posten. Er genoss das Vertrauen der transatlantischen Partner und brachte deren Vorstellungen für den Aufbau des JSEC mit.
„Als ich nach Ulm kam, war klar: Die Nato braucht ein Hauptquartier, um neue Aufgaben, die es zuvor gar nicht gegeben hatte, bewältigen zu können“, erinnert sich Rohrschneider im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“, „eine dieser Aufgaben besteht darin, dass Truppen innerhalb Europas verlegt werden können, um an den Außengrenzen auf mögliche Konflikte reagieren zu können.“Die Situation rund um Europa habe sich geändert: „Sie ist geprägt durch Instabilität, Unsicherheit und Bedrohung.“Die Nato müsse in der Lage sein, „in Europa militärisch zu reagieren“. Die damalige Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) hatte die Bundeswehr wieder stärker auf die Landesund Bündnisverteidigung ausgerichtet. „Dazu muss man Truppen verlegen können, sie schützen, ausbilden und ihre Einsatzbereitschaft erhöhen“, sagt
Rohrschneider, „das war vor 2014 kein Thema, folglich hatte der Nato-Oberbefehlshaber in Europa auch keinen General, den er mit diesen Aufgaben hätte beauftragen können.“
Das sollte Rohrschneider ändern. In Ulm begann die Aufbauarbeit: „Wir mussten ja zunächst herausbekommen, welche Vorstellungen und Wünsche die Nato eigentlich hatte“, erinnert sich der General: „Wie sollten Auftrag, demnach Struktur und Personalaufbau aussehen?“Dem JSEC sollen künftig 300 bis 400 Offiziere und Soldaten angehören, im Krisenfall bis zu 600 – dann jeweils zur Hälfte Personal aus Deutschland und den anderen NatoStaaten insgesamt. Nach einem Jahr, im Herbst 2019, hatte das JSEC offiziell die erste Stufe seiner Einsatzbefähigung erreicht. In diesem Frühjahr wollten die JSEC-Soldaten von der Übung „Defender 2020“profitieren: 20 000 Amerikaner sollten mit Material erst über den Atlantik und dann in Europa weiter in Richtung Osten verlegt werden. Amerikaner, Deutsche, nicht nur Bundeswehrsoldaten, sondern auch Akteure der zivil-militärischen Zusammenarbeit, beispielsweise in Straßenverkehrsämtern und Polizeibeamte, sollten beteiligt werden. Rohrschneider wollte wissen, ob „aus operativer Sicht unsere geplanten Verfahren geeignet sind, Belastungen auch in dieser Größenordnung zu bestehen.“
Doch dann kam die Corona-Krise, „Defender 2020“wurde abgeblasen. Doch Rohrschneiders Aufbauleistung an der JSEC-Spitze wurde erkannt, der General wurde nach Berlin berufen.
Die JSEC-Offiziere müssen nun mit einem neuen Chef, Brigadegeneral Andreas Renk, Rohrschneiders Nachfolger als Chef des Stabes der US Army in Europa und nun auch in Ulm, weiterarbeiten. „Die Nato will den Zeitplan für das JSEC einhalten, in der Übung Steadfast Defender 21 soll das JSEC zertifiziert werden und im Herbst 2021 die volle Einsatzbereitschaft melden“, blickt Rohrschneider voraus, „das JSEC ist ein Leuchtturmprojekt.“
Er selber wird in seinem Aufgabenportfolio die Arbeit der Ulmer Kameraden zwar begleiten, sein Hauptaugenmerk aber darauf legen, die materielle Einsatzbereitschaft der Hauptwaffensysteme deutlich zu verbessern. Um die Lücken bei der Bundeswehr zu schließen, hatte das Ministerium im Jahr 2018 einen Entwicklungsplan bis zum Jahr 2030 aufgelegt. Es ist nun an Rohrschneider, ihn umzusetzen.