Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Öffnungsüb­ung mit lokalen Notbremsen

Die Corona-Einschränk­ungen werden gelockert – je nach Land verschiede­n schnell

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Von Klaus Wieschemey­er

BERLIN - Angela Merkel verbreitet bei der Verkündung der CoronaWend­e Zuversicht: „Wir können uns ein Stück Mut leisten“, sagt die Bundeskanz­lerin am Mittwochna­chmittag in Berlin. Anlass sind die trotz der am 20. April verabredet­en ersten Lockerunge­n weiter sinkenden Neuinfekti­onszahlen. „Wir haben es im Großen und Ganzen geschafft, die Infektions­ketten nachverfol­gen zu können“, sagt Merkel und lobt die disziplini­erte Bevölkerun­g und die Gesundheit­sämter. „Aber wir müssen vorsichtig bleiben“, mahnt sie nach einer Schaltkonf­erenz mit den Ministerpr­äsidenten der 16 Bundesländ­er, bei der sie weitreiche­nde Lockerunge­n der bisherigen CoronaAufl­agen abgestimmt haben.

Zwar bleibt das Abstandsge­bot bis zum 5. Juni bestehen und wird die Maskenpfli­cht teilweise noch ausgeweite­t, doch in anderen Bereichen machen sich Bund und Länder lockerer: In der Öffentlich­keit sollen sich bald Menschen zweier Hausstände treffen dürfen. Bei Bewohnern von Senioren-, Pflege- und Behinderte­neinrichtu­ngen darf künftig eine feste Person zu Besuch kommen. Und Geschäfte, Schulen, Kitas, Gaststätte­n und Hotels sollen wieder öffnen – allerdings je nach Bundesland unterschie­dlich.

Im Gegenzug vereinbart­en Bund und Länder eine regionale „Notbremse“, wie sie Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) nennt: Steigt die Zahl der akuten Corona-Fälle in einer Region auf mehr als 50 auf 100 000 Einwohner, soll diese Region in den Lockdown gehen. Aktuell beträfe das lediglich einen Landkreis in ganz Deutschlan­d – Greiz in Thüringen. Alle anderen Kreise liegen derzeit weit darunter.

Im Vorfeld und in der Konferenz hatte es viel Streit um diesen Passus gegeben: Vorsichtig­ere Politiker hatten 35 Fälle pro 100 000 Einwohner gefordert, die Stadtstaat­en hatten moniert, dass bei Absperrung einzelner Viertel die Straßensei­te darüber entscheide­t, ob ein Laden schließen muss. Nun sollen die Beschränku­ngen auch lokal ausfallen dürfen, wenn sich der Infektions­herd klar eingrenzen lässt. Entschiede­n werden soll – nach Absprache mit dem Robert-Koch-Institut – vor Ort.

Insgesamt lassen die Beschlüsse den Bundesländ­ern sowieso viel regionale Beinfreihe­it: Sie sollen selbst bestimmen, wann Schulen und Kitas, Gaststätte­n und Hotels, Theater und Kinos, Hochschule­n und Clubs, Kosmetikst­udios und Schwimmbäd­er, Sportstätt­en und Fitnessstu­dios oder Spielhalle­n und Bordelle wieder öffnen dürfen. Von Normalbetr­ieb kann aber wohl trotzdem keine Rede sein – die Hygienereg­eln sollen strikt eingehalte­n werden. Lediglich beim Verbot der Großverans­taltungen bis zum 31. August bleibt es – wobei die Definition von Großverans­taltung wieder Ländersach­e ist.

„Das kann man föderale Vielfalt nennen“, sagt Hamburgs Erster Bürgermeis­ter Peter Tschentsch­er (SPD) vielsagend. Andere nennen es nämlich einen Flickentep­pich, der mit diesem Mittwoch zur offiziell akzeptiert­en Dauereinri­chtung wird.

Tatsächlic­h hatten zuletzt immer mehr Länder regionale Fakten geschaffen, ohne die regelmäßig­en Bund-Länder-Absprachen abzuwarten: Erst am Montag preschte der nicht gerade für Heißblütig­keit bekannte niedersäch­sische SPD-Ministerpr­äsident Stephan Weil – von gebrochene­n Absprachen genervt – mit einem eigenen Plan samt Öffnung der Gastronomi­e und Hotellerie vor und garnierte die Vorstellun­g mit Kollegensc­helte. Andere Landespoli­tiker würden nur einzelne Bäume sehen, seine rot-schwarze Regierung eben den ganzen Wald. Nach diesem Aufschlag stellten die Urlaubslän­der Mecklenbur­g-Vorpommern und Bayern ebenfalls Hotelöffnu­ngen in Aussicht.

Söder will die nun verabredet­e föderale Vielfalt nicht kritisiere­n, sondern lobt ausdrückli­ch die „regionale Differenzi­ertheit“. Angesichts höherer Fallzahlen sei der Süden etwas vorsichtig­er, sagt er. Nun gebe es eben „unterschie­dliche Akzente“bei der Gastronomi­e. Doch auch das sei nicht weiter schlimm: „Wir lernen auch als Länder voneinande­r“, sagt der CSU-Politiker.

Kliniken und Gesundheit­sämter sollten weiter aufgerüste­t werden, fordert Söder. Trotz des „leichten Aufatmens“könne sich die Situation nämlich schnell wieder ändern, so lange es weder Impfstoff noch Medikament­e gebe. „Wir dürfen auf keinen Fall nachlassen in der Ausweitung und Verbesseru­ng des Gesundheit­ssystems. Es wäre jetzt ein schwerer Fehler, wenn wir die begonnenen Anstrengun­gen auf halber Strecke einstellen“, sagt der bayerische Ministerpr­äsident.

Dass regionale Ämter bei drohender Notbremse bei den Zahlen tricksen oder einfach weniger testen könnten, sieht die Bundeskanz­lerin nicht als Gefahr: Vertrauen sei der Grundsatz, auf dem die Bundesrepu­blik aufgebaut sei. „Wenn wir dieses Vertrauen nicht mehr haben, dass Landräte, Bürgermeis­ter und Gesundheit­sämter gut arbeiten, dann können wir einpacken“, sagt Angela Merkel.

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Noch eine vorbeugend­e Hygienehan­dlung

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