Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Johnson spricht von tiefem Bedauern
Weiterhin täglich Hunderte Corona-Tote in britischen Altenheimen – Lockerungen frühestens nächste Woche
Von Sebastian Borger
LONDON - Boris Johnson will den Briten erst in einer Fernsehansprache am Sonntag seinen Weg aus dem Corona-Lockdown vorstellen. Tags darauf vollendet das Vereinigte Königreich die siebte Woche der Ausgangsbeschränkungen.
Offiziell begründete der konservative Premierminister am Mittwoch im Unterhaus sein Zögern damit, dass er auf die Ergebnisse neuer Studien warte. Eine Rolle dürfte freilich auch die Angst vor Lockerungsdebatten spielen: Am Freitag begeht das Land den 75. Jahrestag des Kriegsendes in Europa mit einem Feiertag, für das Wochenende ist Sonnenschein angesagt. Dann könnte die Versuchung für manche Bürger, die strengen Auflagen zu ignorieren, allzu groß werden.
Allerdings äußern sich die Briten bei Umfragen sehr vorsichtig und bestätigen damit mehrheitlich den Kurs des Regierungschefs. Dem Marktforscher Opinium zufolge wollen zwei Drittel die Schulen auch weiterhin geschlossen halten, die Öffnung von Restaurants, Pubs oder gar Konzerthallen hielten mehr als drei Viertel für falsch.
Das Vereinigte Königreich meldet weiterhin täglich Hunderte von Covid-19-Toten. Zuletzt stieg die Gesamtzahl um 693 auf offiziell 29 427 Verstorbene und damit den höchsten Stand Europas. Seriöse Schätzungen aufgrund detaillierter Angaben des Statistikamtes ONS sprechen sogar von 32 313 Toten. Auf die Bevölkerungszahl bezogen stehen europaweit nur Belgien, Spanien und Italien schlechter da.
Die Insel war auf eine Pandemie nicht gut vorbereitet. Die Reaktion der komplett auf den Brexit fixierten Regierung fiel zögerlich aus. Es fehlte an ausreichender Schutzkleidung fürs medizinische Personal sowie an Tests, die eine rasche Isolierung von Sars-CoV-2-Infizierten ermöglicht hätten. Bis Anfang März schwänzte Johnson die Sitzungen des Nationalen Krisenstabes; später ignorierte er die Warnungen von Wissenschaftlern und gab noch am 9. März anderen Menschen die Hand. Von insgesamt 18,1 Millionen Reisenden, die im ersten Quartal ins Land kamen, wurden 273 in Quarantäne genommen.
Während das notorisch überlastete Nationale Gesundheitssystem NHS alle Aufmerksamkeit auf sich zog, hielt die Pandemie in Alten- und Pflegeheime praktisch ungehindert Einzug. Er bedauere die dortige Situation „zutiefst“, beteuerte Johnson am Mittwoch. Noch immer aber werden nicht alle Bewohner und Mitarbeiter der mehr als 58 000 Heime im Land auf das Coronavirus getestet.