Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Europa sieht sich in der schwersten Rezession ihrer Geschichte
EU erwartet größten ökonomischen Schock seit der großen Depression – In Debatte um gemeinsame Schulden wächst Druck auf Deutschland
Von Verena Schmitt-Roschmann
BRÜSSEL (dpa) - Die Corona-Pandemie stürzt die Europäische Union in die schwerste Rezession ihrer Geschichte. „Europa erlebt einen ökonomischen Schock, wie es ihn seit der großen Depression nicht mehr gegeben hat“, sagte Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni am Mittwoch zur Frühjahrs-Konjunkturprognose. In der Eurozone könnte die Wirtschaftsleistung dieses Jahr um 7,7 Prozent schrumpfen, in der EU als Ganzes um 7,4 Prozent. Für 2021 wird zwar eine deutliche Erholung (ein Wachstum von 6,3 Prozent in der Eurozone und von 6,1 Prozent in der EU) vorausgesagt, doch werde sie den großen Einbruch noch nicht wettmachen.
Deutschland werde mit einem Minus von 6,5 Prozent etwas besser abschneiden und sich mit 5,9 Prozent Wachstum im nächsten Jahr auch schneller erholen als andere Staaten, sagte Gentiloni. Der Italiener befürchtet, dass die unterschiedlichen Folgen in den EU-Staaten zu einer Schieflage führen könnte, die den Binnenmarkt und die Eurozone in Gefahr bringe. Nötig sei eine gemeinsame Antwort, sagte Gentiloni. Damit wächst auch der politische Druck auf Deutschland, mehr Geld für die Erholung der Partner zuzusagen und Schulden auf europäischer Ebene zu akzeptieren.
Der Schock der Pandemie treffe zwar alle EU-Staaten, aber das Minus bei der Wirtschaftsleistung sei unterschiedlich – von 4,3 Prozent in Polen bis zu 9,7 Prozent in Griechenland.
Für Italien wird ein Rückgang um 9,5 Prozent angenommen, für Spanien ebenfalls, für Frankreich 8 Prozent. Wichtige Faktoren seien das Tempo bei der Aufhebung der Corona-Auflagen, die Abhängigkeit der Volkswirtschaften vom Tourismus und die finanziellen Spielräume im Haushalt. Gentiloni betonte, dass die EU-Kommission alles versuchen werde, die Tourismusbranche in diesem Sommer zu retten.
Die Arbeitslosenrate in der Eurozone wird der Prognose zufolge von 7,5 Prozent 2019 auf 9,6 Prozent in diesem Jahr steigen. Für nächstes Jahr wird ein Rückgang auf 8,6 Prozent erwartet. In der gesamten EU wird ein Ansiteg der Abeitslosigkeit von 6,7 auf 9 Prozent erwartet. 2021 soll die Rate bei 7,9 Prozent liegen. Vor allem junge Leute dürften es viel schwerer haben, einen ersten Job zu finden, hieß es. Der
Deutsche Gewerkschaftsbund forderte ein europäisches Investitionsprogramm. „Jetzt gilt es, den Arbeitsmarkt zu stabilisieren, damit die Beschäftigten nicht zu den Verlierern dieser Krise werden“, mahnte DGBVorstandsmitglied Stefan Körzell und verlangte eine „solidarische Finanzierung über Eurobonds“.
Tatsächlich ist ein Konjunkturprogramm schon in Arbeit, doch die EUStaaten sind tief gespalten über die Frage einer gemeinsamen Schuldenaufnahme. Deutschland lehnt Eurobonds ab. EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen soll ein konsensfähiges Modell erarbeiten und plant als Kompromiss eine Schuldenaufnahme über Garantien im EU-Haushalt. Doch herrscht Streit über Details, sodass die Präsentation des Plans auf sich warten lässt. Gentiloni sagte, er werde „in den nächsten Wochen“vorliegen – er nutzte ausdrücklich den Plural.
„Jetzt gilt es, den Arbeitsmarkt zu stabilisieren, damit die Beschäftigten nicht zu den Verlierern dieser Krise werden.“
Stefan Körzell, Deutscher Gewerkschaftsbund