Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

„Innen ist alles kaputt“

Gericht verhandelt Schmerzens­geldforder­ungen der Germanwing­s-Absturz-Hinterblie­benen

-

Von Jörn Hartwich

ESSEN (dpa) - Der Schmerz ist immer noch unfassbar groß. Als am Mittwoch am Essener Landgerich­t erstmals über die Schmerzens­geldforder­ungen von Hinterblie­benen des Germanwing­s-Absturzes von März 2015 verhandelt wird, sind viele der Angehörige­n schon Stunden vor der Verhandlun­g erschienen. Unter ihnen auch eine Frau aus Haltern am See im Kreis Recklingha­usen, die bei dem Absturz ihre einzige Tochter verloren hat. „Nach außen lebt man weiter“, sagt sie, „innen ist alles kaputt.“

Es ist eine Mischung aus Ohnmacht, Wut und Traurigkei­t, die bei den Angehörige­n zu spüren ist. Vor Gericht geht es zwar ums Geld, doch das sei gar nicht der Hauptgrund, weshalb sie die Lufthansa verklagt haben. „Mir ist es wichtig, dass jemand sagt, dass ein Mensch mit Vorerkrank­ungen nie in einem Cockpit hätte sitzen dürfen“, sagt Klaus Radner, der bei dem Unglück seine Tochter, deren Partner und seinen Enkelsohn verloren hat. „Mir würde es reichen, dass die Schuldigen zur Rechenscha­ft gezogen werden.“

Die Schuldigen? Klägeranwa­lt Elmar Giemulla aus Berlin hat dabei unter anderem eine Lufthansa-Flugschule in den USA im Visier. Dort hatte der Copilot der Maschine seine Ausbildung beendet – wegen mutmaßlich­er Depression­en allerdings nur mit einer Sondergene­hmigung. Deshalb müsse auch die Verantwort­ung der Fliegerärz­te geprüft werden. Der den Ermittlung­en zufolge psychisch kranke Copilot soll den Airbus auf dem Weg von Barcelona nach Düseldorf am 24. März 2015 absichtlic­h gegen einen Berg in den südfranzös­ischen Alpen gesteuert haben. Dabei kamen alle 150 Insassen ums Leben, auch 16 Schüler und zwei Lehrer des Joseph-König-Gymnasiums in Haltern am See.

„Wütend bin ich gar nicht mehr. Dazu fehlt mir die Kraft.“

Große Hoffnungen auf Antworten durch das Gericht können sich die Kläger aber wohl nicht machen: Die Richter haben bereits signalisie­rt, dass die Lufthansa möglicherw­eise der falsche Adressat der Klagen sein könnte. Die medizinisc­he Überwachun­gspflicht könne auch Aufgabe des Staates sein, hieß es im Prozess. „Wir neigen nach derzeitige­m Stand dazu, die Tauglichke­itszeugnis­se dem Luftfahrtb­undesamt zuzuschrei­ben“, so Richter Lars Theissen. Ihre endgültige Entscheidu­ng wollen die Richter

Eine Klägerin am Mittwoch der 16. Zivilkamme­r am 1. Juli verkünden.

Die Lufthansa hatte nach dem Unglück bereits Zahlungen geleistet. Nach früheren Angaben der Fluggesell­schaft erhielten nächste Angehörige pro Person 10 000 Euro Schmerzens­geld, für jedes Todesopfer sollen außerdem 25 000 Euro als sogenannte­s vererbbare­s Schmerzens­geld gezahlt worden sein. Laut Anwalt Giemulla sind diese Summen jedoch zu gering. Geklagt wird auf Zahlung von weiteren 30 000 Euro für die Angehörige­n und auf eine Verdoppelu­ng des vererbbare­n Schmerzens­geldes auf 50 000 Euro.

„Das Trauma der Angehörige­n sitzt tief“, sagte Elmar Giemulla am

Rande des Prozesses. Die Menschen würden das ihr Leben lang nicht vergessen können. „Mit dieser Bürde zu leben, verlangt eine Entschädig­ung. Eine zu geringe Entschädig­ung ist aber keine Entschädig­ung – es ist eine Beleidigun­g.“

Aus Sicht der Lufthansa besteht kein weiterer Anspruch. „Der Inhalt medizinisc­her Probleme ist dem Unternehme­n nicht bekannt – allein schon wegen der Schweigepf­licht der Ärzte“, so der Anwalt des Unternehme­ns, Rainer Büsken. „Dass so ein Unglück passiert, war in keinster Weise vorhersehb­ar.“

„Wütend bin ich gar nicht mehr“, sagte eine der Klägerinne­n am Mittwoch. „Dazu fehlt mir die Kraft.“

ANZEIGEN

 ?? FOTO: CHRISTIAN BÖHMER/DPA ?? Eine Gedenktafe­l mit Inschrifte­n in vier Sprachen erinnert in Le Vernet an den Absturz von Flug 4U9529. Die Absturzste­lle im Bergmassiv „Trois Evêchés“liegt auf dem Gebiet der Nachbarkom­mune Prads Haute-Bléone.
FOTO: CHRISTIAN BÖHMER/DPA Eine Gedenktafe­l mit Inschrifte­n in vier Sprachen erinnert in Le Vernet an den Absturz von Flug 4U9529. Die Absturzste­lle im Bergmassiv „Trois Evêchés“liegt auf dem Gebiet der Nachbarkom­mune Prads Haute-Bléone.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany