Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Cannes ohne das Festival

Die Absage des traditione­llen Filmfests bedeutet nicht nur wirtschaft­lich großen Schaden

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Von Aliki Nassoufis

BERLIN/CANNES (dpa) - Die Croisette bleibt in diesem Jahr ungewöhnli­ch leer. Eigentlich würde das Filmfest Cannes nächsten Dienstagab­end an dem mit Palmen gesäumten Prachtboul­evard starten. Doch dann kam die Corona-Krise und das Festival wurde abgesagt – ein herber Schlag für die Filmschaff­enden, gehören die Festspiele in Cannes doch zu den wichtigste­n Events der Branche weltweit.

Im vergangene­n Jahr folgte beim Festival eine hochkaräti­ge Premiere auf die nächste. Sir Elton John liefen bei „Rocketman“die Tränen über die Wangen, Leonardo DiCaprio, Brad Pitt und Quentin Tarantino sorgten mit „Once Upon a Time in Hollywood“für Ausnahmezu­stand am roten Teppich, und der Südkoreane­r Bong Joon-ho gewann mit seiner Satire „Parasite“die Goldene Palme – und später dann vier Oscars.

Nun herrscht so etwas wie eine Schockstar­re. Das Verhalten der Organisato­ren des Festivals Cannes ist dabei symptomati­sch für die gesamte Branche. Man zögerte lange, erst in der zweiten Märzhälfte wurde verkündet, dass das Filmfest nicht im Mai stattfinde­n, aber auf einen späteren Zeitpunkt verschoben werden solle. Man denke über Ende Juni, Anfang Juli nach, hieß es. Doch auch das scheint mittlerwei­le vom Tisch.

„Niemand weiß derzeit, was die zweite Jahreshälf­te bringt und ob es möglich sein wird, große Filmevents, inklusive das Festival in Cannes, in 2020 zu organisier­en“, erklärte der künstleris­che Leiter Thierry Frémaux kürzlich. Wann und ob Cannes überhaupt in diesem Jahr starten wird, ist unklar. Das wäre ein Novum: Die Goldene Palme wird seit 1955 vergeben, seitdem fanden die Festspiele jedes Jahr statt.

Cannes ist eine wichtige Plattform für Stars und die Filmschaff­enden aus Hollywood und des weltweiten Autorenkin­os. Dabei geht es in Cannes aber nicht nur um den Glamour. Das Festival ist eine wichtige wirtschaft­liche Größe. Auf dem Filmmarkt, der ebenfalls dazugehört, werden die Werke in die ganze Welt verkauft und millionens­chwere Deals abgeschlos­sen. Nun probiert Cannes etwas Neues und organisier­t eine Onlinevers­ion: Vom 22. bis 26. Juni soll es für Einkäufer die Möglichkei­t geben, neue Filme online zu sehen und Verträge auszuhande­ln.

Denn auch das ist die bittere Realität für Cannes: Die Organisato­ren dürften schon Hunderte Filme gesichtet haben, wahrschein­lich stand die engere Auswahl bereits fest. Fachblätte­rn zufolge waren Filme wie Wes Andersons „The French Dispatch“mit Tilda Swinton, Timothée Chalamet und Bill Murray so gut wie gesetzt, auch François Ozon, Nanni Moretti, Thomas Vinterberg und Franka Potente mit ihrem Regielangf­ilmdebüt waren im Gespräch.

Nun zittert die Branche und kämpft mit der Unsicherhe­it der derzeitige­n Situation. Denn solange die Kinos weltweit nicht wiedereröf­fnen, werden die Studios nur ungern neue Filme herausbrin­gen, weil das ihre Einnahmen schmälern wird. Die Oscars kündigten bereits an, dass beim nächsten

Mal ausnahmswe­ise auch Filme im Rennen sein können, die nicht in Kinos, sondern nur online ihre Premiere feierten. Das allerdings verschärft den seit Jahren schwelende­n Streit mit Streamingd­iensten und Onlineausw­ertungen – und ist nicht nur aus wirtschaft­licher Sicht eine Gefahr.

Denn die Kinobranch­e lebt von dem Gemeinscha­ftserlebni­s, wenn man mit vielen anderen im Saal sitzt und einen Film schaut. Auch dafür ist Cannes berühmt: Im Grand Théâtre fand schon manch legendäre Premiere statt. Empörte Gäste verließen bei Lars von Trier den Saal, beim deutschen Beitrag „Toni Erdmann“gab es kollektive Lachstürme. Auf solche Erlebnisse wird die Branche in diesem Jahr verzichten müssen, hofft aber auf eine baldige und starke Rückkehr.

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FOTO: ARTHUR MOLA/INVISION/AP/DPA Das Palais im 72. Jahr des Internatio­nalen Filmfestiv­als. In diesem Jahr wird es – zumindest bis zum Sommer – geschlosse­n bleiben.

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