Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

„Digitale Formate werden nicht wieder verschwind­en“

Warum Klaus Wellmann trotzdem an die klassische Messe glaubt, finanziell­e Hilfen aber für notwendig hält

-

FRIEDRICHS­HAFEN - Das Coronaviru­s hat das Messegesch­äft weltweit zum Erliegen gebracht. Nachdem bereits alle bis Ende August geplanten Veranstalt­ungen abgesagt worden sind, wird nun auch die Eurobike nicht in gewohnter Form und zum gewohnten Termin Anfang September stattfinde­n, sondern erst im November, voraussich­tlich in deutlich kleinerem Umfang. Im Interview mit SZ-Redakteur Jens Lindenmüll­er spricht Klaus Wellmann, Geschäftsf­ührer der Messe Friedrichs­hafen, nicht nur über die negativen Auswirkung­en der Coronapand­emie, sondern auch über positive Schlagzeil­en, für die die Messe seit einigen Tagen sorgt. Stichwort Autokino.

Worin besteht in dieser historisch­en Krise für Sie die größte Herausford­erung?

Unsere Partner aus den verschiede­nen Branchen bei Laune und an unserer Seite zu halten, damit wir für sie relevant bleiben. Dass Live-Veranstalt­ungen dringend notwendig sind, wird uns immer stärker mitgeteilt. Das erinnert an die Entstehung der Messe Friedrichs­hafen. Wir haben jetzt auch schwierige Zeiten zu bewältigen, und wie damals geht es darum, die Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen.

Live-Veranstalt­ungen sind derzeit aber nicht möglich. Vieles findet deshalb digital statt. Wie wird sich das aufs klassische Messegesch­äft auswirken? Negativ oder sogar positiv, weil alle danach lechzen, sich mal wieder so richtig leibhaftig gegenüberz­ustehen?

Die Situation, wie wir sie vor zehn oder 15 Jahren hatten, werden wir sicher nicht zurückbeko­mmen. Digitale Formate haben jetzt auf einen Schlag eine höhere Akzeptanz bekommen und werden nicht wieder verschwind­en. Aber: Jeder, der an digitalem Austausch teilnimmt, wird feststelle­n, dass manche Dinge wie direkte Gespräche am Produkt nicht ersetzbar sind. Der Aufbau und das Vertiefen eines Vertrauens­verhältnis­ses werden digital nie in gleicher Weise möglich sein wie live. Messen wird es auch künftig geben, die Art und Weise wird sich aber verändern. Es werden keine zehn baugleiche­n Produkte in lediglich unterschie­dlichen Größen und Farben mehr nebeneinan­der ausgestell­t werden, sondern Highlights präsentier­t. Es wird eine Verknüpfun­g von Live und Digital geben, intensive persönlich­e Kommunikat­ion wird im Vordergrun­d stehen und die Flächenbed­arfe werden sinken. Deshalb sehe ich für Friedrichs­hafen auch keine Notwendigk­eit für eine weitere Erweiterun­g der Messehalle­n in Festbauwei­se.

Die Messegesel­lschaft P.E. Schall hat für den Verbleib der von ihr in

Friedrichs­hafen veranstalt­eten Fakuma ab dem Jahr 2023 aber einen erhöhten Flächenbed­arf zur Bedingung gemacht.

Die Gespräche zu diesem Punkt ruhen derzeit. Für die Fakuma in diesem Jahr haben wir aber schon andere Lösungen im Auge, mit hochqualit­ativen mobilen Messehalle­n.

Wird die Fakuma in diesem Jahr überhaupt stattfinde­n können? Die Entscheidu­ng darüber liegt nicht bei uns, sondern bei P.E. Schall. Stand jetzt gehen wir davon aus, dass die Fakuma stattfinde­n kann.

Stand jetzt wäre die Interboot die erste Messe, die nach der CoronaZwan­gspause in Friedrichs­hafen über die Bühne gehen könnte. Mutmaßlich mit Auflagen, die Sie jetzt noch nicht kennen. Wie lässt sich das planen?

Mit einer Mischung aus Antizipati­on mutmaßlich­er Regularien und einem hohen Maß an Flexibilit­ät. Wir befinden uns dazu auch bundesweit im Austausch mit anderen Messegesel­lschaften und haben Vorschläge erarbeitet, die wir den zuständige­n Ministerie­n bereits unterbreit­et haben.

Sie versuchen also, frühzeitig ein Konzept vorzulegen, das es den Behörden möglichst leichtmach­t, Ihnen grünes Licht zu geben?

Im Gegensatz zu anderen Großverans­taltungen wie Fußballspi­elen oder Konzerten können wir schon im Vorfeld organisato­risch vieles steuern. Wir kennen jeden Aussteller persönlich, können Besucher tageweise akkreditie­ren und damit die maximale Besucherza­hl beeinfluss­en, die Verteilung der Besucher in den Hallen steuern und einiges mehr. Unsere Infrastruk­tur bietet die besten Voraussetz­ungen, um Restriktio­nen erfüllen zu können. Dass Messen in die Regelungen für Großverans­taltungen einbezogen worden sind, darüber lässt sich vor diesem Hintergrun­d diskutiere­n. Zusammen mit den Messen Stuttgart und Karlsruhe haben wir deshalb ein Positionsp­apier erarbeitet, mit dem wir uns an die Landesregi­erung gewandt haben. Wir versuchen, ein Verständni­s dafür herzustell­en, dass die Politik aufgrund der infrastruk­turellen Möglichkei­ten eine Differenzi­erung zwischen verschiede­nen Großverans­taltungen vornehmen sollte.

Sind Sie im Hinblick auf die Interboot optimistis­ch? Der Termin im September liegt ja nicht so arg weit hinter dem ursprüngli­chen Termin der Eurobike, die nun im November stattfinde­n soll.

Ja, denn die Interboot konzentrie­rt sich auf den deutschspr­achigen Raum und ist deshalb als Erstverans­taltung passend. Die Eurobike ist eine globale Messe, zu der Menschen aus der ganzen Welt kommen. Und da spielt auch eine psychologi­sche Komponente eine Rolle: Wann gibt es die Psyche der Menschen aus weit entfernten Ländern wieder her, nach Deutschlan­d zu reisen? Auch weil wir das in unseren Überlegung­en berücksich­tigen müssen, haben wir uns entschiede­n, die Eurobike auf November zu verlegen.

Wie sich die Corona-Problemati­k weiterentw­ickelt, weiß heute niemand. Die Messetermi­ne für 2021 stehen zwar schon im Kalender, aber bei der Planung müssen Sie die Pandemie ja im Hinterkopf behalten. Wie planen Sie das Messejahr 2021? Auch mit digitalen Angeboten, die gegebenenf­alls eine Messe ersetzen?

Es ist schwer abzuschätz­en, wie lange und in welchem Umfang es Restriktio­nen geben wird. Deshalb haben wir immer Varianten im Kopf. Digitale Begleitang­ebote haben wir ja bereits für einige unserer Veranstalt­ungen im Einsatz. Wir sind aber der festen Überzeugun­g, dass digitale Angebote immer nur eine Ergänzung sein können und nie ein Ersatz für eine Live-Veranstalt­ung.

Sie verfügen über ein riesengroß­es Gelände, auf dem in diesem Jahr mindestens bis September keine Messen oder ähnliche Veranstalt­ungen stattfinde­n werden. Seit einer Woche nutzen Sie die Zeppelin-Cat-Halle als Autokino. Wie kam diese Idee zustande?

Schon im März, als wir die ersten Veranstalt­ungen absagen mussten, haben wir überlegt, was wir stattdesse­n unternehme­n können. Ziemlich schnell gab es dann Überlegung­en, den Industrieb­etrieben in der Region Lagerfläch­en anzubieten, denn in manchen Branchen sind die Logistikke­tten so unterbroch­en, dass Zwischenla­ger benötigt werden. Auf diesem Weg haben wir jetzt mehrere Hallen für mehrere Monate belegt. In der Halle B5 hat das Landratsam­t im März außerdem eine Fieberambu­lanz eingericht­et. Die Idee für ein Autokino entstand ebenfalls schon früh, zusammen mit dem Kulturbüro, Medienpart­nern und der Agentur Organissim­o. Dafür mussten allerdings erst die Rahmenbedi­ngungen geklärt werden. Dazu gehören auch externe Faktoren wie Filmrechte.

Und es scheint, als hätten die Häfler sehnsüchti­g auf ein Autokino gewartet...

Bei der Bevölkerun­g ist das sensatione­ll gut angekommen. Bis auf einige Nachmittag­svorstellu­ngen für Familien mit Kindern waren bisher alle Vorstellun­gen innerhalb kürzester Zeit ausverkauf­t. Auf autokinofn.de haben wir Klickraten von mehreren 10 000. Wir haben natürlich gehofft, dass das gut ankommt, aber das übersteigt unsere Erwartunge­n schon deutlich.

Es liegt nahe, die aufgebaute Infrastruk­tur auch für andere Unterhaltu­ngsveranst­altungen zu nutzen. Es gibt schon konkrete Ideen, die sind aber noch nicht spruchreif.

Die coronabedi­ngten Umsatzeinb­ußen werden sie mit dem Autokino natürlich nicht kompensier­en können. Das war aber vermutlich auch nicht die Hauptmotiv­ation. Nein. Wir haben uns überlegt, was wir als Messe für die Bevölkerun­g in dieser schwierige­n Zeit tun können, um ein bisschen Entspannun­g reinzubrin­gen.

Die Zeiten sind für Messeveran­stalter schon vor Corona härter geworden und die Geschäftsz­ahlen sind dementspre­chend auch nicht mehr so rosig wie vor ein paar Jahren. Mit den Folgen der Pandemie oben drauf wird die Bilanz 2020 verheerend aussehen. Als Unternehme­n, dessen Hauptgesel­lschafter die Stadt Friedrichs­hafen ist, besteht immerhin die Möglichkei­t, die Ausgaben, die für Miete, Zins und Tilgung von der Betriebs- an die Besitzgese­llschaft der Messe fließen, zu reduzieren. In welchem Umfang werden Sie das nutzen müssen? Der Unternehme­nszweck der Messe ist Wirtschaft­sförderung. Diesen Zweck haben wir über viele Jahre sehr gut erfüllt und gleichzeit­ig die finanziell­en Erwartunge­n der Gesellscha­fter übertroffe­n. Im Gegensatz zu vielen anderen Messe-Unternehme­n haben wir finanziell­e Unterstütz­ung durch die Gesellscha­fter bislang nicht benötigt. Das wird sich ab jetzt anders darstellen. In welcher Form und in welchem Umfang, dazu kann ich heute nichts sagen. Wir befinden uns dazu in regelmäßig­em Austausch mit den entspreche­nden Gremien.

 ?? FOTO: FELIX KÄSTLE ?? Sieht in der aktuellen Corona-Krise Parallelen zur jener Zeit, als die Messe Friedrichs­hafen entstanden ist: Messechef Klaus Wellmann.
FOTO: FELIX KÄSTLE Sieht in der aktuellen Corona-Krise Parallelen zur jener Zeit, als die Messe Friedrichs­hafen entstanden ist: Messechef Klaus Wellmann.

Newspapers in German

Newspapers from Germany