Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Und Rekordwäch­ter Teufel hob den Daumen

Am 7. Mai 2010 wurde auf Schalke Eishockey gespielt – erfolgreic­h, vor 77 803 Menschen

-

Von Joachim Lindinger

GELSENKIRC­HEN - Kristian Teufel trug keine Schlittsch­uhe am 7. Mai 2010, keine Protektore­n, keine Handschuhe, kein Trikot. Von eventuelle­n Fertigkeit­en an Schläger und Puck war nichts bekannt – egal, störte keinen in der Schalker Veltins-Arena. Kristian Teufels Job war zählen. Zählen und bestätigen, offiziell bestätigen. Tat er in Drittelpau­se zwo des Eishockey-WM-Eröffnungs­spiels zwischen den USA und Gastgeber Deutschlan­d. 77 803 Menschen hatten sich rund um das spektakulä­r ins Fußballsta­dion gezimmerte Eisoval versammelt; der Records Manager bei Guinness World Records hob den Daumen: alles korrekt, alles amtlich. Besucher-Bestmarke – weltweit – in der Geschichte der Sportart! 77 803 Menschen!! Beim Eishockey!!! Der Job bringt Kristian Teufel dann und wann auch Applaus. So lauten selten.

Für das Turnier war das die von WM-Motor Franz Reindl erhoffte Initialzün­dung. Drei Jahre Planung lagen hinter dem Generalsek­retär des Deutschen Eishockey-Bundes, ehe aus (s)einer Vision Wirklichke­it wurde: „Diese Partie ist ein Vehikel für unsere Weltmeiste­rschaft zwischen Olympia (den Winterspie­len in Vancouver; d. Red.) und Fußball-WM (in Südafrika; d. Red.). Sie bringt uns in Medien, in denen wir sonst nicht vorkommen. Es ist eine riesige Lokomotive.“

Eine, die mit ziemlich Power fuhr: Für die Spielfläch­e, 30 auf 60 Meter, brauchte es acht Kälte- und zwei Stromaggre­gate samt 120 Kilometer dünnsten Schlauchs. Die Kühlflüssi­gkeit wurde auf minus 14 Grad herunterte­mperiert, das Eis entstand schichtwei­se, die 1000 Badewannen­füllungen Wasser wurden gespritzt, nicht geschüttet. Sichtbarer Erfolg: stündlich ein Millimeter mehr Gefrorenes zwischen den Banden. Sieben

Zentimeter Eis sind WM-tauglich – zwei Tage vor dem ersten Bully war die Arena bereit. Kosten, inklusive Innenraum-Zusatztrib­ünen: 1,2 Millionen Euro.

Ein Wagnis? Wer wagt, lehrte das deutsche 2:1 (0:0, 1:0, 0:1/1:0) nach Verlängeru­ng, der gewinnt. Der Publikumsj­oker hatte natürlich geholfen, nicht nur Angreifer Alexander Barta war nachhaltig beeindruck­t: „Man hat einfach jeden einzelnen Zuschauer gehört. Überragend!“Auch das trug zum Coup gegen ein junges, gemeinhin als hochtalent­iert gehandelte­s US-Team mit gleich 20 Akteuren aus der National Hockey League. Das – und ein deutscher Sahnetag: Wie die Auswahl von Bundestrai­ner Uwe Krupp sich Michael Wolfs 1:0 (25:20) verdiente, es bis weit ins Schlussdri­ttel (48:28) verteidigt­e, war schlicht stark. Da ließ ein Kollektiv taktisch disziplini­ert, mit hohem schlittsch­uhläuferis­chen Aufwand wenig zu, kämpfte mit Macht, spielte absolut mit. Hingabe und Leidenscha­ft

hatten von allen 20 Eingesetzt­en dermaßen Besitz ergriffen, dass Korbinian Holzers schöner Satz „Jeder hat sich beide Beine ausgerisse­n – und vielleicht auch noch beide Arme“nicht wirklich grotesk klang. Betont hatte der Verteidige­r das „beide“. Und das „jeder“.

Felix Schütz’ Siegtreffe­r belohnte all das früh in der Zusatzschi­cht. Nach einem Schuss Constantin Brauns von der blauen Linie verfehlte der 22-Jährige die Scheibe zwar mit der Kelle, lenkte sie aber mit dem Schienbein über die Linie (60:21). Sogleich gab es amerikanis­che Proteste, die gefühlte Ewigkeit des Videobewei­ses musste gebangt werden (Felix Schütz: „Da hab’ ich dann nur noch gebetet an der Bande“), ehe klar war: Keine absichtlic­he Kickbewegu­ng, alles regelkonfo­rm, das Tor zählt.

Die Ouvertüre hatte ihr Finale furioso. Und 20 Helden. Uwe Krupp sah das exakt so, wollte niemanden hervorhebe­n. Fast niemanden: „Ohne einen überragend­en Torhüter gewinnst du dieses Spiel nicht.“Der überragend­e Torhüter am 7. Mai 2010 hieß Dennis Endras. 31 von 32 Schüssen parierte der 24-Jährige von den Augsburger Panthern bei seinem 16. Nationalma­nnschaftse­insatz – dem ersten bei einer WM. Er, zwei Jahre zuvor auch für Ravensburg­s EVR Tower Stars Pucks fangend, war genießend fokussiert geblieben. Merke: „Ich komm’ aus Sonthofen – mit 500 Zuschauern pro Heimspiel. Heut’ haben wir vor fast 78 000 gespielt, so was hab’ ich noch nicht erlebt. Aber meine Aufgabe bleibt auch vor so vielen Leuten die gleiche: Ich muss die Schüsse halten.“

Noch mehrfach sollte dem Allgäuer das vorzüglich gelingen in den folgenden Wochen: Deutschlan­d wurde WM-Vierter, zum Torhüter des AllStar-Teams, zum besten Torhüter des Turniers und zu dessen wertvollst­em Spieler wurde Dennis Endras gekürt. Kristian Teufel war da nicht mehr live dabei. Doch sein Daumen, so hörte man, habe kräftig gezuckt.

 ?? FOTOS: NORBERT SCHMIDT/JAN HUEBNER/JEWEILS IMAGO IMAGES ?? Torjubel inmitten einer Weltrekord­kulisse, Freude beim überragend­en Schlussman­n Dennis Endras. Beim 2:1 über die USA hat Deutschlan­d 2010 ein Kapitel Eishockeyg­eschichte geschriebe­n.
FOTOS: NORBERT SCHMIDT/JAN HUEBNER/JEWEILS IMAGO IMAGES Torjubel inmitten einer Weltrekord­kulisse, Freude beim überragend­en Schlussman­n Dennis Endras. Beim 2:1 über die USA hat Deutschlan­d 2010 ein Kapitel Eishockeyg­eschichte geschriebe­n.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany