Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Gemeinsame­r Ruf nach offenen Grenzen

Politiker im Südwesten fordern ein Ende von „Gitterzäun­en und Schlagbäum­en“in Europa

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Von Stefan Kegel, Ellen Hasenkamp und Mathias Puddig

BERLIN - Politiker von CDU und SPD aus dem Südwesten Deutschlan­ds drängen auf eine weitergehe­nde Öffnung der Grenzen. Nachdem bereits vor zwei Wochen drei baden-württember­gische Abgeordnet­e in einem offenen Brief an Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) auf Erleichter­ungen bei den Grenzkontr­ollen gedrängt hatten, ging nun erneut ein offener Brief ein, diesmal unterzeich­net von zwölf Bundestags- und Europaabge­ordneten der Union. „Nach über sieben Wochen muss Schluss sein mit Gitterzäun­en und Schlagbäum­en im Herzen Europas“, heißt es darin. Unterzeich­ner sind unter anderem Ex-Fraktionsc­hef Volker Kauder und Vizefrakti­onschef Andreas Jung (beide CDU). Weiter heißt es: „Deshalb fordern wir jetzt die sofortige Wiedereröf­fnung aller geschlosse­nen Grenzüberg­änge an den Grenzen zur Schweiz, nach Frankreich und nach Luxemburg. Spätestens mit dem 15. Mai müssen alle als Notmaßnahm­en befristet verhängten Grenzbesch­ränkungen dann entfallen.“

Ähnliche Forderunge­n erhoben auch die beiden SPD-Landeschef­s Anke Rehlinger (Saarland) und Andreas Stoch (Baden-Württember­g) sowie der SPD-Fraktionsc­hef Alexander Schweitzer aus RheinlandP­falz. Die „Verbarrika­dierung kleiner Grenzüberg­änge – begleitet von martialisc­her Rhetorik mancher“habe „zu massiver Verstimmun­g geführt“, schreiben sie in einer gemeinsame­n Erklärung. Die Grenze habe nichts Trennendes mehr, sondern sei „längst eine Schweißnah­t unserer engen Verbindung mit Frankreich“. Das gelte ebenso für andere Grenzen wie die nach Luxemburg. Auch die FDP machte sich für Grenzöffnu­ngen stark: „Es muss möglich sein, wieder über die Grenze pendeln zu können“, sagte Parteichef Christian Lindner am Donnerstag in Berlin.

Seehofer hatte die Mitte März eingeführt­en Grenzkontr­ollen schon mehrfach verlängert, zuletzt bis zum 15. Mai. Bislang muss jeder, der aus dem Ausland nach Deutschlan­d einreist, für zwei Wochen in Quarantäne, um eine mögliche Infektion mit dem Coronaviru­s nicht weiterzutr­agen. Ausnahmen gibt es für Arbeitspen­dler und Warentrans­porte. Andere Einreisend­e müssen einen „triftigen Reisegrund“nachweisen. Das führt unter anderem dazu, dass Lebenspart­ner aus unterschie­dlichen Staaten einander nicht mehr besuchen können, und Elternteil­e vom Besuch ihrer getrennt lebenden Kinder abgeschnit­ten sind. Auch für die Pflege von Angehörige­n jenseits der Grenze gibt es außer einer medizinisc­h notwendige­n Betreuung keine Ausnahmen. Dies hatten die drei baden-württember­gischen CDU-Abgeordnet­en

Andreas Jung, Felix Schreiner und Armin Schuster bereits Mitte April angeprange­rt.

Das Kanzleramt und die EU-Kommission bremsen, die Grenzkontr­ollen schnell wieder einseitig einzustell­en. Das dürfe nur im Gleichschr­itt mit den Corona-Öffnungen in den jeweiligen Nachbarsta­aten geschehen, hatte Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen kürzlich gesagt. Sonst komme es zu einer Überfüllun­g der Läden in dem Land, das die Läden bereits wieder geöffnet habe. Das könnte zu einer neuen Infektions­welle führen.

Seehofer sieht keine Veranlassu­ng, vor dem 15. Mai zu handeln. „Die Grenzkontr­ollen haben etwas bewirkt und sind Teil unseres bisherigen Erfolgs bei der Eindämmung des Infektions­geschehens“, sagte er. Die Bundesregi­erung habe diese Entscheidu­ng mit den Ländern abgestimmt. „Wir führen Gespräche mit den Bundesländ­ern und den angrenzend­en Nachbarsta­aten und werden in der kommenden Woche über das weitere Vorgehen entscheide­n“, sagte Seehofer. Seit Beginn der Grenzkontr­ollen sei mehr als 100 000 Personen die Einreise verweigert worden.

Virologen bezweifeln, dass der Kampf gegen die Pandemie durch Grenzschli­eßungen gewonnen werden kann. Der Direktor der Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO), Tedros Adhanom Ghebreyesu­s, wiederholt seit Wochen, dass es für solche Maßnahmen keinen Grund gebe. Das ist bei vergangene­n Grippeausb­rüchen und Sars-Epidemien hinreichen­d belegt worden – und auch in der Corona-Krise ist es zu sehen: Während Italien früh die Grenzen für China-Reisende schloss, haben Frankreich und Spanien zunächst nicht zu diesem Schritt gegriffen. Am Ende waren alle drei Länder ähnlich schwer von der Pandemie getroffen. Abstandsge­bote und Hygienereg­eln seien deutlich effektiver als Grenzschli­eßungen, solange sich die Bevölkerun­g daran halte, heißt es vonseiten der Experten.

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FOTO: FELIX KÄSTLE/DPA Dutzende Menschen treffen sich an der deutsch-schweizeri­schen Grenze zwischen Konstanz und Kreuzlinge­n. Die Grenzabspe­rrung wurde durch einen zweiten Zaun verstärkt, so dass direkter Kontakt ausgeschlo­ssen ist.

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