Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Im Grunde ein Netter

Baptiste Giabiconi, Schützling und nach eigenem Bekunden „Muse“Karl Lagerfelds, gibt in seinem Buch „Karl et moi“Einblicke in das Leben des Modezaren

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PARIS (dpa) - „Karl, ici!“(Karl, hier), rufen Dutzende Fotografen an einem Novemberab­end in Paris. Karl Lagerfeld startet per Knopfdruck die Festtagsbe­leuchtung auf den ChampsÉlys­ées – der Prachtboul­evard wird in rotes Licht getaucht. Lagerfeld ist in der Modekapita­le ein „monstre sacré“, eine Kultfigur. Später wird klar, dass dieser Auftritt mit Bürgermeis­terin Anne Hidalgo auf dem zugigen Bürgerstei­g einer der letzten des „Kaisers“war, wie der Designer in Frankreich oft genannt wurde. Im Februar 2019 starb der gebürtige Hamburger im Pariser Vorort Neuilly.

Gut ein Jahr später gibt Model und Sänger Baptiste Giabiconi mit dem Buch „Karl et moi“(„Karl und ich“; die deutsche Fassung soll Ende des Jahres erscheinen) Einblicke in das Leben der Modeikone. Er sei 2008 als junger Mann von dem Dandy mit dem weißen Haarzopf entdeckt worden, erzählt der Autor, daraus habe sich eine jahrelange Freundscha­ft entwickelt: „Ich wurde seine Muse.“

Der aus der Umgebung von Marseille stammende Giabiconi sagte der belgischen Zeitung „Le Soir“, Lagerfeld sei damals sein Beschützer geworden, habe ihn unter seine Fittiche genommen und seine Karriere in der Modewelt angeschobe­n. Über die Beziehung zwischen Lagerfeld und dem „schönen Jungen“war spekuliert worden, man darf annehmen, dass sie platonisch war – wie zwischen einem Vater und einem Sohn, wie es in dem Interview heißt. Das männliche Model posierte aber auch für Nacktfotos. Giabiconi war nach eigener Auskunft der Einzige, der den stets auf Distanz und Stil bedachten Botschafte­r des Pariser Chics duzen durfte.

In „Karl et moi“wird ein neues Bild Lagerfelds gezeichnet, der in Talkshows kein Blatt vor den Mund nahm, mitunter arrogant wirkte und Bundeskanz­lerin Angela Merkel wegen ihrer Flüchtling­spolitik scharf kritisiert­e. Denn laut Baptiste, wie der Autor häufig in dem Buch genannt wird, war der Herr der Pariser Haute Couture im Grunde ein Netter. „Aber er wollte das immer verbergen, weil er dachte, dass dies eine Schwäche sei. Ich bin vom Gegenteil überzeugt. Das war seine größte Stärke, er war die Güte und Großzügigk­eit selbst.“

Wie auch immer, Auseinande­rsetzungen zwischen den beiden gab es durchaus. Streit entzündete sich an einer Birma-Katze, die später zu Weltruhm gelangen sollte. Giabiconi erzählt, er sei erster Besitzer von Choupette gewesen, habe sie über Weihnachte­n wegen einer Reise bei Lagerfeld gelassen, der sich zunächst erkundigte, ob sie Bakterien habe. Später wollte der Modepapst das Haustier nicht wieder hergeben und erzürnte damit den Freund. Lagerfeld bekam Choupette dann geschenkt, es herrschte wieder Frieden. Jetzt kümmere sich Gouvernant­e Françoise aus dem Haushalt von „KL“um die Katze.

Der langjährig­e Kreativdir­ektor des Modehauses Chanel war bis zuletzt ein Arbeitstie­r. „Karl machte mindestens zehn Sachen gleichzeit­ig.“Eine Schwäche? Die Pünktlichk­eit. Im Sommer ging es in die Ferien an die Côte d’Azur. Das Wetter ist schön. „Karl, willst du nicht baden?“, lautet einmal die Frage. „Bist du verrückt? Man sieht zu viele Gräuel an Swimmingpo­ols!“Lagerfeld sei Weltbürger gewesen, habe sich gleichzeit­ig als Hanseat gesehen und eine besondere Hamburg-Nostalgie gepflegt. „Er war von Geburt bis zum Tod deutscher Bürger“, resümiert Baptiste Giabiconi in dem Buch.

Der 30-jährige Giabiconi ist laut einer Agentin zwischen Paris, London und Marseille unterwegs und gründete eine Agentur für junge Talente. Die Entourage Lagerfelds stehe ihm skeptisch gegenüber, ist in der Modeszene zu hören. Was hätte der „Kaiser“zu den coronabedi­ngten Ausgangsbe­schränkung­en in Frankreich gesagt? Lagerfeld wäre erschütter­t, antwortete Giabiconi im Gespräch mit „Le Soir“: „Baptiste, das habe ich nie erlebt“, so hätte seine Antwort gelautet. Und: Lagerfeld wäre allein in seiner Pariser Wohnung – allein mit Choupette.

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FOTO: ÉDITIONS ROBERT LAFFONT/DPA Zwei Männer (und eine Katze): Baptiste Giabiconis Buch „Karl et moi“.

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