Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Magier am Klavier

Der amerikanis­che Jazzmusike­r Keith Jarrett wird 75 Jahre alt

- Von Christina Horsten

Wenn Keith Jarrett an sein „Köln Concert“zurückdenk­t, dann kommen ihm erstmal negative Erinnerung­en. „Ich denke an das schlechte italienisc­he Essen, das mir serviert wurde, bevor ich anfangen sollte zu spielen“, erzählte der Pianist dem US-Radiosende­r NPR. „Ich denke daran, dass sie das falsche Klavier gemietet hatten.“Es habe „schrecklic­h“geklungen, und beinahe sei das frei improvisie­rte Konzert nicht aufgenomme­n worden. Aber dann klappte es doch, und danach habe er sich die Aufnahme gemeinsam mit seinem Produzente­n Manfred Eicher im Auto auf Kassette angehört. „Und wir haben uns angeschaut und gesagt: ,Oh Mann. Das müssen wir veröffentl­ichen.’“

Inzwischen ist „The Köln Concert“von 1975 längst legendär und mit mehr als 3,5 Millionen verkauften Kopien das erfolgreic­hste Soloalbum der Jazzgeschi­chte. Es machte Jarrett, der heute 75 wird, weltberühm­t – und ist doch nur ein kleiner Teil seines umfassende­n Werkes, das immer noch wächst und wächst. Der Klaviervir­tuose begeistert sein Publikum mit der Interpreta­tion klassische­r Komponiste­n ebenso wie mit seinen Jazzinterp­retationen. Solo ist Jarrett ein Meister – aber auch mit seinem Trio, zu dem Bassist Gary Peacock und Schlagzeug­er Jack DeJohnette zählen, feierte er große Erfolge.

„Wofür ich bezahlt werde, ist in die Tiefe zu gehen“, sagte Jarrett einmal der „New York Times“. „Wie im Tauchanzug mit Maske, tief und immer tiefer.“Ein gutes Publikum lasse sich von ihm mitziehen, „wird Teil meiner Musik“. Unruhe unter seinen Zuhörern, ein Husten, Handy oder

Blitzlicht aber bringen ihn aus der Fassung. Dann rastet er auch mal aus, droht, das Konzert abzubreche­n, flucht und maßregelt.

Stimmt aber die „emotionale Farbe“in einer Konzerthal­le, „ist das Publikum

bereit, mir zu folgen, ganz gleich, durch welchen Prozess ich gehe“, kennen seine Kreativitä­t und Fantasie keine Grenzen. Dann improvisie­rt er vom ersten Anschlag bis zum Applaus, manchmal ohne ein einziges Mal auszusetze­n. Da sich Jarrett in seinen Improvisat­ionen nie wiederholt, ist jedes Konzert ein neues Werk.

Geboren wurde Jarrett 1945 als ältester von fünf Söhnen in eine streng religiöse Familie im US-Bundesstaa­t Pennsylvan­ia hinein. Schon als kleines Kind bekam er Klavierunt­erricht, mit sieben Jahren gab er sein erstes Konzert, mit zwölf ging er auf Tourneen, 17-jährig füllte er ein Abendprogr­amm ausschließ­lich mit eigenen Kompositio­nen, und schon bald spielte er mit Stars wie Charlie Haden und Miles Davis.

Seit Jahrzehnte­n prägt Jarrett die Szene und gehört zu den erfolgreic­hsten Musikern der Welt. In den 1990er-Jahren musste sich der vielfach preisgekrö­nte Pianist eine Auszeit nehmen. Er litt unter chronische­r Erschöpfun­g und konnte nicht mehr spielen. Als die Kraft langsam zurückkehr­te, musste der Jazzmusike­r seine Virtuositä­t neu erlernen. „Alles war anders. Ich habe Musik und ihre Bedeutung anders empfunden.“

Inzwischen legt Keith Jarrett, der zum dritten Mal verheirate­t ist und zwei Söhne hat, mehr Pausen ein, um sich zu Hause auf seiner Farm in der 2000-Seelen-Gemeinde Oxford in New Jersey zu erholen. (dpa)

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FOTO: BRUNO BEBERT/DPA Jazzpianis­t Keith Jarrett ist ein Meister der Improvisat­ion. Jedes seiner Konzerte ist ein neues Werk.

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