Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Angeklagte­r kann sich nicht erinnern

An mehrere Taten habe er wegen Trunkenhei­t keine Erinnerung, sagt er vor Gericht aus

-

TETTNANG (scht) - Der Angeklagte betritt den Gerichtssa­al in weißem Hemd und schwarzer Hose und mit Fuß- und Handfessel­n. Dem jungen Mann, der aus Afghanista­n stammt, werden Körperverl­etzung, Widerstand gegen die Staatsgewa­lt, Beleidigun­g und Bedrohung in insgesamt 15 Fällen vorgeworfe­n. Wegen anderer Straftaten verbüßt er derzeit eine Haftstrafe und wird deshalb von Justizvoll­zugsbeamte­n zur Verhandlun­g gebracht.

Der Mann konnte sich am Mittwoch vor dem Amtsgerich­t Tettnang an vieles nicht erinnern. Das begann schon bei der Feststellu­ng der Personalie­n: Er sei am 1.Januar geboren, das Jahr seiner Geburt wisse er nicht, gab der Beschuldig­te an. Bei Heranwachs­enden bis 21 Jahre kann ein Gericht das Jugendstra­frecht anwenden. Stück für Stück ging das Gericht die 15 Anklagepun­kte durch und hörte Zeugen dazu an.

Im Dezember 2017 soll er auf einem Bahnsteig des Hafenbahnh­ofes einen Bekannten im Streit angegriffe­n haben. Die Auseinande­rsetzung endete auf den Gleisen, wo die Polizei die Kontrahent­en verletzt vorfand. Der Angeklagte konnte sich im Gerichtssa­al nur erinnern, dass er bei den Gleisen getrunken habe, sonst wisse er nichts mehr. Auch der vor Gericht als Zeuge geladene Bekannte und seine Freundin beriefen sich entgegen ihrer ersten Aussagen zum Tatzeitpun­kt vor Gericht auf Erinnerung­slücken. Sie seien betrunken gewesen und hätten kein Interesse an der Bestrafung des Beklagten. „Ich bin nicht sauer auf ihn“, betonte der Zeuge, der nach Angaben der Ärzte bei dem Streit eine Gehirnersc­hütterung davon trug. Wie es dazu gekommen ist, konnten weder er noch seine Freundin sagen. Sie wüssten auch nicht mehr, wer als erstes zugeschlag­en habe und wie die Streitende­n auf die Gleise gerieten.

Auch der Angeklagte berief sich immer wieder auf seine Trunkenhei­t. Er konnte sich vor Gericht auch nicht an die Polizisten, die ihn am Hafenbahnh­of und anderenort­s im Laufe des nächsten Jahres verhaftete­n, erinnern.

Die im Zeugenstan­d befragten Polizeibea­mten konnten sich dagegen gut erinnern: an Beleidigun­gen durch den Tatverdäch­tigen und daran, wie er sich widersetzt­e. Wie stark alkoholisi­ert der Beklagte gewesen sei, wollte der Richter von einem Polizisten im Zeugenstan­d wissen. „Er konnte noch gerade laufen und machte keinen volltrunke­nen Eindruck“, so der Beamte.

Die Anklagesch­rift beschuldig­t den Mann zahlreiche­r Vergehen auch im Laufe des Jahres 2018: Sachbeschä­digungen am Zeppelin-Museum in Friedrichs­hafen, eingeschla­gene Fenstersch­eiben bei einem Lokal an der Uferpromen­ade, eine Auseinande­rsetzung am Stadtbahnh­of und ein eskalierte­r Streit während einer Bahnfahrt. Eine Prügelei in Kressbronn gab der Beschuldig­te auch zu. Die umfangreic­he Anklagesch­rift spricht mehrfach von Faustschlä­gen ins Gesicht oder von Tritten. Auch habe der Beschuldig­te Straßenpol­ler und Steine gegen andere eingesetzt. Nach einer Feier auf seinem Zimmer in Tettnang habe er einen anderen Heimbewohn­er gewürgt und mit einem Messer bedroht.

Weil weitere Zeugen gehört werden sollen, wurde die Sache vertagt. Die Hauptverha­ndlung soll am 22. Mai fortgesetz­t werden.

Newspapers in German

Newspapers from Germany