Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
„Es ist wahre Detektivarbeit“
Schädlingsbekämpfer Martin Pohl begibt sich regelmäßig auf Spurensuche nach ungebetenen, tierischen Gästen
OBERTEURINGEN - Ob Bettwanze, Krätzmilbe oder harmlose bis gefährliche Spinnenart: Martin Pohl aus Oberteuringen weiß, wie man diese von dort weg bekommt, wo Mensch sie nicht haben möchte. Im 13. Jahrhundert hätte man ihn wohl den Rattenfänger vom Bodensee genannt, heute heißt sein Beruf Schädlingsbekämpfer. Mit Silja MeyerZurwelle hat er im Interview über die Leidenschaft für diesen außergewöhnlichen Job gesprochen und darüber, wie sich sein Arbeitsfeld durch den Wandel der Natur stetig ändert.
Herr Pohl, wie kommt man eigentlich zu dem Berufswunsch Schädlingsbekämpfer?
Aus Liebe zur Natur. Als kleiner Junge habe ich von meinem Vater einen Baukasten mit einem Labor geschenkt bekommen. So einen Holzkoffer, in dem Sezierbesteck, ein ganz tolles Mikroskop und Chemikalien, die man zur Aufbereitung von Proben braucht, waren. Dieses damals entfachte Interesse und diese Liebe zur Natur haben mich mein ganzes Leben begleitet. Ich denke, ich werde auch auf meine alten Tage hin nicht ablassen, weiter dieses Wunderbare an der Natur zu genießen. Was ich einfach damals schon spannend und auch heute noch unglaublich schön finde, ist die Arbeit am Mikroskop. Der zeitliche Einsatz am Mikroskop macht bei mir auch heute noch 25 Prozent meiner Arbeitszeit aus. Ich sitze da drei bis vier Stunden täglich dran und es ist dann auch sehr schwer, mich dort wegzubekommen, weil ich die Freude daran noch immer nicht verloren habe. Zudem hatten wir einen Jagdbetrieb zu Hause, dadurch war ich schon früh in Themen eingebunden, die Hege und Pflege der Tiere betreffen. Ich liebe die Rehe und Häschen jedoch so sehr, dass ich es nicht mehr fertig brächte, auf diese zu schießen.
Was macht denn den Beruf Schädlingsbekämpfer aus?
Die Menschen, die uns beauftragen, haben ein Problem. Über die vielen Jahre meiner beruflichen Praxis erlebte und erlebe ich oft Menschen, denen ein Schädlingsproblem so zugesetzt hat, dass unsere Hilfe zu spät kam und sich diese das Leben nahmen. Da gibt es ein Krankheitsbild, das nennt sich Dermatozoenwahn. Oft trifft es vor allem Frauen, die dann auch Schädlinge dort wahrnehmen, wo gar keine mehr sind. Das ist verbreiteter als man annimmt. Wir leisten also auch einen wichtigen Teil zum Gesundheitsschutz und zum Wohlergehen der Menschen. Schädlingsbekämpfer sind daher ganz offiziell als systemrelevanter Beruf im Gesundheitswesen tätig. Wir sind keine Superhelden, die mit Sonnenbrillen maskiert mal eben schnell alles plattmachen. Wir haben die Aufgabe, Leiden zu verringern. Für einen Menschen, der sich bei uns meldet, drückt es auf der Seele, wenn er beispielsweise jede Nacht gestochen wird. Der erste Schritt nach der Kontaktaufnahme mit dem Kunden ist also erst einmal, diesen zu beruhigen. Als nächstes wird besprochen, wie alles vonstatten gehen wird, inklusive der Kosten. Danach finden wir in wahrer Detektivarbeit heraus, mit welchem Schädling wir es zu tun haben. Das ist ein ganz breites Feld. Übrigens nicht nur bei den Schädlingen, sondern auch bei den Menschen und den Räumlichkeiten. Manche sind sehr zugänglich, andere sehr verschlossen – auch diesen Eigenschaften müssen wir uns bei der Arbeit anpassen. Und jetzt kommt das ganz Tolle: Auch die Tiere verhalten sich nicht nach Lehrbuch. Sie verhalten sich so, wie es die Biologie und die Evolution vorgibt – nach ihrem eigenen Kopf. Und da gibt es dann plötzlich etliche Veränderungen. Die sind gerade, wie ich finde, sehr schön zu beobachten – auch durch die Umstellung des Klimas. Haben wir vor Ort alles untersucht, nehmen wir Proben mit. Nach Probeentnahme erfährt der Kunde zeitnah, um welche Schädlinge es sich handelt. Danach kann gezielt gehandelt werden.
Welche Schädlinge sind hierzulande besonders verbreitet und welche könnten künftig noch dazukommen?
Das ist ein riesiges und auch ein wunderbares Feld. Aus dem Bauch heraus könnte ich Ihnen jetzt einen vierstündigen Vortrag allein zu diesem Thema halten (lacht). Bis vor zehn, zwanzig Jahren hatten wir hier ein relativ stabiles Klimasystem und damit verbunden auch einen relativ stabilen Besatz an Schädlingen. Wobei ein Schädling ja meist auch einen Nutzen hat, nur aus Sicht des Menschen nicht unbedingt. Wenn sich das Klima nun aber ändert, verdrängen aggressivere Arten naturgemäß die anderen, schwächeren Tiere und Pflanzen. Man kann also von invasiven Arten sprechen, die teils sogar von Menschenhand eingeführt wurden. Ein Beispiel ist der Harlekinkäfer, der asiatische Marienkäfer. Der Laie sieht hier unseren Marienkäfer laufen, dabei ist es ein Tier, das hier eingesetzt und sogar extra hergebracht wurde: zur Bekämpfung der Rebläuse, weil er viel aggressiver ist als die hier beheimateten Marienkäfer. Wer mir heute einen von unseren Marienkäfern bringen würde, würde mich richtig glücklich machen, weil ich mittlerweile glaube, dass die schon am Aussterben sind. Verdrängt vom Harlekinkäfer. Auch Waschbären, die aus der Zucht entkommen sind, sind jetzt viel unterwegs. Hier am Bodensee werden wir regelmäßig damit beauftragt, diese Waschbären zu verscheuchen. Dazu kommen noch Marderhunde und viele, viele mehr. Unterm Strich gewinnen invasive Arten die Oberhand. Zuerst wurden sie als Exoten bewundert, vielleicht sogar gehegt, dann konnte ihnen irgendwann niemand mehr Einhalt gebieten. Das Ziel von uns ist es, hier wieder ein Gleichgewicht herzustellen, das für alle eine akzeptable Situation herbeiführt. Zusehends beobachte ich außerdem mehr Tiere aus dem Mittelmeerraum, die mit der Einwanderung kommen. Da sind neue Zecken-, Spinnen- und Mückenarten dabei. Die Problematik Malaria wird durch Letztere erkennbar ein größeres Problem, und zwar auch bei uns.
Nun müssen Sie sich ja naturgemäß mit vielen sehr unangenehmen Situationen beschäftigen. Was ist dagegen denn die schönste Seite in Ihrem Beruf?
Das Schönste ist zum einen natürlich, eine saubere Arbeit zu leisten und zum anderen, am Ende unglaublich dankbare Menschen zu erleben. Die Leute rufen ja schon mit dem Problem an, sind geekelt und gepeinigt von Stichen oder Bissen. Die Dankbarkeit ist dafür umso größer. Und dann kommt die Vielfalt dazu, die verschiedenen Menschen, die wir kennenlernen dürfen und auch die ganz unterschiedlichen Orte. Wir sind auf dem Hochhaus, wir sind in der Kanalisation, in Kriechgängen, auf Bäumen, im Lager, auf der Bühne und auch auf dem Bodensee, wenn dort die Urlauber wiederkommen, auf ihre Yacht wollen, aber nicht reinkommen, weil sich dort ein riesiges Wespennest gebildet hat. Meistens steht dann schon das Begrüßungskomitee da, wenn wir kommen, mit Kaffee und Kuchen und voller Erwartung, dass wir Hilfe bringen. Wenn man diesen Menschen dann am Ende sagen kann, dass sie sich jetzt wieder ohne Sorgen in ihr Bett legen können, ohne gestochen zu werden, dass sie wieder ein Wohlfühlgefühl haben können, dass sie ihr Zuhause bewohnen und nicht die Schädlinge, das ist das Größte für mich.
„Wir sind keine Superhelden, die mit Sonnenbrillen maskiert mal eben schnell alles plattmachen.“
Martin Pohl