Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Eine Frage von Geld und Abstand
Das Tischtennis darbt, kämpft um seine Play-offs – und strebt notgedrungen eine Zukunft ohne Doppel an
Von Jürgen Schattmann
OCHSENHAUSEN/DÜSSELDORF - Es ist nicht leicht, in Pandemie-Zeiten, in denen es nicht auf Nahkampf, sondern auf Mindestabstände ankommt, ein Sport-Manager zu sein, ein Präsident, ein Geschäftsführer, und schon gar nicht, wenn es sich in der Sportart um eine Randsportart handelt. Als Randsportart wird in Deutschland ja gerne alles bezeichnet, was nicht Fußball ist.
Tatsächlich fließt im Fußball derart viel Geld, dass man damit quasi alle Mitstreiter retten könnte. Die 20 bis 25 Millionen Euro, die Handballern und Eishockeyspielern durch ihren Saisonabbruch fehlten, will Nationaltorhüter Manuel Neuer beim FC Bayern künftig alleine verdienen, pro Jahr. Man hätte fast schmunzeln müssen, als die Volleyball-Bundesliga kürzlich verkündete, sie werde an ihre Clubs einen 300 000-Euro-Zuschuss verteilen, um zu ihrer Rettung beizutragen – wenn es nicht so traurig wäre, so scheinbar ungerecht, und es wunderte nicht, dass durch den deutschen Sport ein großer Aufschrei ging, als diese Woche bekannt wurde, dass die Fußballer wieder spielen durften. Leichtathleten, Handballer, Turner klagten über Ungerechtigkeit, Benachteiligung, über eine Zweiklassengesellschaft und die Bevorzugung des Kapitals.
Auch die Profis aus dem Tischtennis, einer Volkssportart mit 550 000 aktiven Spielern in Deutschland und 9100 Vereinen, könnten sich beklagen über dieses „Ihr da oben, wir da unten“, doch die Protagonisten versuchen, sich auf sich zu konzentrieren, und da haben sie allerhand zu tun. Vor allem der Rekordmeister Borussia Düsseldorf um Timo Boll, dem Fahnenträger der Olympischen Spiele von 2016 und besten Tischtennispieler, den das Land je hervorgebracht hat, ist ins Wanken geraten. Die Borussen haben ein besonderes Konstrukt in ihrem Verein: Sie sind gleichzeitig Standort des Deutschen TischtennisZentrums, und jeder, der in Deutschland etwas werden will, geht hier ein und aus. Es gibt ein Sporthotel dort, nur: Seit zwei Monaten, seit Mitte März, als der Virus über Europa schwappte wie ein Lavastrom, steht es leer. Alle Events, alle Projekte, alle Spiele, alle Trainings, alle Lehrgänge mussten abgesagt werden von den Borussen,
auch große, jährliche Breitensportevents, zu denen mehr als 1000 Kinder kamen, und die Borussia hatte ein Problem: Die Einnahmen fehlten, und im im Gegensatz zu anderen Clubs konnte der Verein die Ausgaben nicht wesentlich verringern. Zwar schickte er die Mitarbeiter in Kurzarbeit, das Gros der Profis aber wird über Werbeverträge bezahlt. Die Verlagerung der Kosten auf den Staat, der das für Krisenfälle erlaubt, ist also unmöglich. „Die einzigen Einnahmequellen, die wir derzeit haben, sind Hauptsponsor Arag und Ausrüster Butterfly“, räumt Manager Andreas Preuß ein – und sah sich gezwungen, Mitte April mit den Nöten an die Öffentlichkeit zu gehen. Boll persönlich bat via Videobotschaft um Spenden für den Club und den Erhalt des Standorts, die Reaktion fiel bis dato mau aus. Er überlege sich vielleicht zu spenden, kommentierte ein Fan auf TT-News, „aber erst, wenn Timo Boll nachweist, dass er weniger verdient als ich“.
Die übrigen zehn Bundesligisten schlossen sich der sportartübergreifenden Aktion von sportdeutschland.tv zwar an, auch Meister TTF
Liebherr Ochsenhausen, doch das Projekt verhallte. Momentan beläuft sich der Spendenstand bei den Düsseldorfern auf 280 Euro.
Was bleibt, ist die Hoffnung, dass der Sportbetrieb bald wieder aufgenommen wird. Auch im Tischtennis laufen derzeit die Gespräche mit Politik, DOSB, Landessportverbänden und Behörden, die Auflagen sind in der Halle allerdings noch happiger als bei Outdoor-Veranstaltungen. Draußen, so verlangt es etwa Baden-Württembergs Sportministerium, „muss während Trainings- und Übungseinheiten ein Mindestabstand von 1,50 Metern zwischen sämtlichen anwesenden Personen durchgängig eingehalten werden. Ein Training von Sport- und Spielsituationen, in denen ein direkter körperlicher Kontakt erforderlich oder möglich ist, bleibt untersagt.“
Fürs Tischtennis ergeben sich damit manigfaltige Probleme, wie Preuß erläutert, das naheliegendste lautet: Wie soll man unter der Auflage, keine Kontaktsportart sein zu dürfen, bloß Doppel spielen? Die Antwort ist relativ simpel: gar nicht. Nach zahllosen Debatten der eigenständigen Tischtennis-Bundesliga
TTBL und des Deutschen Tischtennis-Bunds DTTB wurde offenbar beschlossen, zumindest für die nächste Saison aufs Doppel komplett zu verzichten. In allen Ligen, von der Bundesliga bis hinunter in die Kreisliga.
Für die TTBL würde die Regelung, so sie den DTTB passiert, ab sofort gelten, die Bundesliga hofft schließlich noch immer darauf, bis Ende Juni via Geisterspiele ihren Meister küren zu können. Vieles sei denkbar, bestätigen Preuß und Boll. Eine Art Final Four in einer Stadt, in der zwei Halbfinals und das Endspiel an einem Tag gespielt werden. Oder zwei einzelne Halbfinals und ein Finale jeweils an getrennten Orten. In jedem Fall müssen die Spieler der vier Clubs, die derzeit teils noch im Ausland sind, nach ihrer Rückkehr für zwei Wochen in Quarantäne, erst danach könnten sie wieder regulär trainieren, Spiele wären wohl erst in der zweiten Juni-Hälfte denkbar. Und erst, wenn ihr Konzept von der Regierung genehmigt wird, kann die Liga überhaupt planen.
Die Chancen des Neustarts, eine Gelegenheit, die auch die BasketballBundesliga
witterte, sieht die TTBL gleichwohl: Ein Tischtennis-Spiel live im Fernsehen ausstrahlen zu können, davon träumen Randsportarten sonst nur. In einer Zeit, in der außer der Fußball-Bundesliga europa- respektive weltweit fast kein Spielbetrieb mehr stattfindet, scheint eine RandsportartÜbertragung, die früher in ARD und ZDF noch Usus war, nicht mehr unmöglich zu sein.
Für die Tischtennis-Clubs, deren Etats teils nur 200 000 Euro betragen wie jener von Aufsteiger Bad Homburg, wäre ein wenig TV-Geld ein Segen. Auch für die Ochsenhausener, deren Finanzen allerdings stabil sind und die weiterhin auf die Jugend setzen. Zwei 17-jährige Talente aus Polen, beide entstammen aus dem Liebherr Masters College, werden den Kader ergänzen. Maciej Kubik kommt von Zweitliga-Vizemeister Mainz, Samuel Kulczycki aus Bad Homburg, sie sollen trotz ihres jugendlichen Alters diverse Einsätze bekommen, versichtert TTFChef Kristijan Pejinovic. Nur eines werden die beiden Jünglinge zunächst nicht tun: Sich zu nahe kommen und Doppel spielen.