Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Achtung vor dem Besserwisser
Es gibt Neues von Thomas Kemmerich. Thüringens Kurzzeitministerpräsident hat am Samstag bei einer Demonstration gegen die geltenden Corona-Auflagen protestiert. Der Mann, der so gerne länger als nur ein paar Tage Verantwortung für ein Bundesland getragen hätte, spazierte dazu ohne Mundschutz und ohne Einhaltung der Abstandsregeln durch Gera. Während die beiden nahen Landkreise Greiz und Sonneberg zu den aktuell bundesweit vier Kreisen zählen, die die Obergrenze bei den Neuinfektionen reißen. Vorsichtige Schätzung: Als Ministerpräsident, als Verantwortlicher, hätte auch der Mann, den sie „Cowboy“nennen, ein weniger breitbeiniges Gebaren an den Tag gelegt. Wer aber nur labern kann und nicht liefern muss, der kann leicht den Besserwisser geben und ein paar mutige Thesen zum Umgang mit dem Virus präsentieren.
Kemmerich steht dabei pars pro toto für eine nicht mehr ganz kleine Gruppe von Menschen, die angesichts der nach wie vor geltenden Beschränkungen zunehmend lautstark gegen die Corona-Politik der schrittweisen Lockerung protestieren. Abgesehen davon, dass sich die Demonstranten fragen könnten, ob es ihnen mancherorts nicht zu albern beziehungsweise zu gefährlich ist, mit Aluhutträgern und Radikalen gemeinsam aufzutreten: Es ist ziemlich wohlfeil, sich auf der Basis dessen, was die übergroße Mehrheit der Bürger in den vergangenen Wochen mit Disziplin und Solidarität erreicht hat, als einzig legitime Wahrer von Freiheit und Demokratie zu gerieren.
Diejenigen, die in Politik und Wissenschaft Verantwortung tragen und übernommen haben, haben sich von Beginn an dazu entschlossen, diese Virus-Pandemie im Zweifel lieber zu ernst als zu leicht zu nehmen. Dieser Entschluss fußt auf den erschütternden Bildern der Leichenberge in Bergamo. Diesem Entschluss bleiben die Verantwortlichen in der aktuellen Situation, in der Gegner wie Befürworter der Beschränkungen immer noch mehr glauben als wissen, treu. Dieser Entschluss hat sie und die Menschen hier im Vergleich bislang gut durch diese beispiellose Krise gebracht.