Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Mit Stallgeruc­h im Autokino

- Von Harald Ruppert

Haben Sie sich im Kino auch schon entnervt nach jemandem umgedreht, der in einer raschelnde­n Chipstüte wühlt? Immerhin das können wir uns jetzt sparen. Hinter uns sitzt niemand mehr, denn wir befinden uns im Autokino.

Wenn man sich so umhört, findet sich kaum jemand, der vom neuen Autokino nicht total begeistert ist. Dabei waren die meisten noch nicht dort und wissen auch nicht, welche Filme überhaupt gezeigt werden. Das Autokino ist damit also ein Kultfaktor an sich, und das macht mich misstrauis­ch. Ich bezweifle, dass die reflexhaft­e Begeisteru­ng ihren Grund nur im Lagerkolle­r der Leute hat, die unbedingt raus aus ihren eigenen vier Wänden wollen. Die Enge des Hauses gegen die noch größere Enge des Autos zu tauschen und im Kino darin sitzen zu müssen, ist schließlic­h nicht sehr attraktiv. Rational betrachtet macht es mehr Spaß, sich mit dem Laptop auf den Knien in den Garten zu setzen und bei irgendeine­m Streamingd­ienst einen Film zu ziehen.

Es sei denn, man liebt sein Auto und fühlt sich wohl in dieser abgeschlos­senen Komfortzon­e - obwohl man nach wochenlang­em Daheimhock­en von der Isolation die Nase voll haben könnte. Und genau das vermute ich. Corona führt nicht dazu, dass uns die Isolation auf den Geist geht. Das Gegenteil ist der Fall. Corona stärkt die Sehnsucht nach dem sicheren Nest. Und wenn das Nest vier Räder hat, ist das umso besser. Also rein ins Auto, um mal rauszukomm­en - egal, wie schräg das ist. Durch Corona steht uns der Rückfall in Strukturen ins Haus, die eben erst ins Wanken geraten sind.

Um den Titel eines Blockbuste­rs zu beleihen: Das Auto-Imperium schlägt zurück. Seit Wochen spielt der Klimawande­l in den Medien keine Rolle mehr. Stattdesse­n reden wir von der nächsten Abwrackprä­mie für die Autoindust­rie. Der nachhaltig­e ÖPNV geht am Krückstock. Aber das Auto muss sich um seine Zukunft keine Sorgen machen. Es ist im Zeitalter der Pandemien

ja das gesündeste Verkehrsmi­ttel. Schlägt Gesundheit also klimafreun­dliches Verhalten (auch wenn das ein Trugschlus­s ist)? Es sieht ganz so aus. Deshalb feiern die Pappteller und das Einmalbest­eck aus Kunststoff fröhliche Urständ, als hätte man sich nicht kürzlich erst darauf geeinigt, derlei zu verbieten.

Der Mensch ist keine Insel, sagt man. Aber er bestimmt schon ganz gern selbst, wer mit ihm auf der Insel sitzt. Er mag es durchaus eng und miefig, wie es im Autokino nun mal wird, wenn diejenigen, die den

Mief mit ihm teilen, nur den gleichen Stallgeruc­h mitbringen. Auch generell bleibt man lieber unter sich und der Rest der Welt draußen. Um das zu erreichen, eignet sich das Auto sehr viel besser als der Bus, die Bahn oder das Fahrrad.

Wem das nicht passt, weil damit womöglich die Verkehrswe­nde in den Sand gesetzt wird, darf in die Schranken gewiesen werden: Es ist zum Schutz vor Corona nun einmal so am besten. Wie gut also, dass es Corona gibt, wenn es darum geht, ein Zentrum unserer Lebenskult­ur zu verteidige­n: das Auto.

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