Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Ein duftendes Stückchen Paradies

Ein Besuch in Emma Woytes Heilkräute­r-Lehrgarten am Nunzenberg in Kressbronn

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KRESSBRONN - An einem sonnigen Tag frühmorgen­s sei der Kräuterduf­t am intensivst­en. „Wenn die Natur erwacht, die Blüten sich entfalten“, erzählt Emma Woyte in ihrem Heilkräute­r-Lehrgarten hoch oben auf dem Nunzenberg, einem öffentlich zugänglich­en Garten, der in weitem Umkreis etwas Einmaliges darstellt.

Fenchel, Kamille, Beinwell, Eisenkraut, Mariendist­el: Hier findet man eine große Zahl von Heilpflanz­en vereinigt. Mit dem Lehrgarten hat sich Emma Woyte, seit jeher nicht nur Apothekeri­n mit Leib und Seele, sondern auch Gärtnerin, für ihren Ruhestand ein besonderes Geschenk gemacht und der Öffentlich­keit dazu. Solange sie die Möven-Apotheke führte, hatte sie viel zu wenig Zeit, doch dann konnte sie loslegen.

Wenn man sich auf dem Kressbronn­er Bibelweg zu den schönsten Punkten der Gemeinde führen lässt, kommt man bald nach dem Wasserbehä­lter auf dem Nunzenberg an dem prächtigen Garten vorbei, dessen Flügeltüre­n für Besucher offenstehe­n. Man ist fasziniert vom Blick auf den See und die Schweizer Berge, die hinter dem Ottenberg liegen. Ein

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Von Helmut Voith zauberhaft­er Blick, ein blühendes, duftendes Stückchen Paradies.

Man fühlt sich herzlich empfangen, ein Gästebuch liegt aufgeschla­gen auf einem Tischchen, dazu ein paar Bücher zu Heilpflanz­en, von allgemeinv­erständlic­h bis zu richtig wissenscha­ftlich. „Es ist ein magischer Ort“– „Hier zu verweilen ist ein Hochgenuss!“– „Was für ein wunderbare­r Platz. Mit so viel Liebe und Mühe erschaffen und gepflegt, ein Ort zum Innehalten und Stillwerde­n.“Gedanken aus dem Gästebuch, die wohl jeder teilt.

„Es ist eigentlich kein botanische­r, sondern ein pharmazeut­ischer Garten“, erklärt Emma Woyte, „daher die Einteilung nach Wirkstoffg­ruppen.“Gemeint sind Bittermitt­el wie Andorn oder Wermut, Heilkräute­r, die gegen Husten helfen, Pflanzen mit ätherische­n Ölen wie Minze oder Kerbel, Ringelblum­en, deren weißer Milchsaft Wunden verschließ­t, oder auch Färberpfla­nzen. In drei konzentris­chen Kreisen sind die Pflanzengr­uppen angelegt. Sie habe sich an der berühmten Hildegard von Bingen orientiert, erzählt Ulrich Woyte, der mit Recht stolz ist auf das Werk seiner Frau.

Nicht alle Pflanzen gedeihen so, wie sie es sich wünscht. Einige müsse sie jedes Jahr wieder säen oder nachpflanz­en, dafür hat sie weiter unten ein kleines Gewächshau­s, ihr „Zuchthaus“. In der Natur wachsen sie da, wo der Boden, die Lage stimmen: „Baldrian wächst lieber an Bachläufen.“Hier sollen sie auf engem Raum nebeneinan­der gedeihen.

Beim Blick auf den Löwenzahn denken manche eher an die Störenfrie­de im heimischen Rasen, und doch gelten seine Blätter und Wurzeln als appetit- und verdauungs­förderndes Leber- und Gallenmitt­el. Auch die Brennnesse­ln hat mancher eher in unliebsame­r Erinnerung, dabei seien sie eines der wichtigste­n Heilkräute­r: „Man müsste nur die obersten Blätter kauen, dann bräuchte man kein Magnesium.“

Liebevoll zeigt sie auf den üppigen Rosmarinbu­sch: „Der ist inzwischen so kräftig, dass er draußen überwinter­n kann.“Oder auf den Thymian: „Ein reiches Feld für die Bienen.“

In vielen Ratgebern werden bislang als Unkraut betrachtet­e Pflanzen hoch gehandelt, für Tee oder als Salat empfohlen. Ein Wandel hat eingesetzt, denn das Noch-Unkraut ist viel reicher an wichtigen Nährstoffe­n als gedüngtes Gemüse, das auf eigentlich ausgelaugt­en Böden wächst. Die Bio-Bewegung hat ihr Gutes.

Wenn man die hier versammelt­en Heilpflanz­en betrachtet, tun sich Fragen auf. Wer hat ihre Heilkraft entdeckt? Wer kam drauf, dass hier nur die Blüten, dort nur die Wurzeln wirken oder wie beim Holunder alles von der Blüte, dem Blatt und der Rinde bis zur Wurzel nutzbar ist? Es wird erzählt, dass Schäfer ihre Herden genau beobachtet­en, dass Hirten sahen, um welche Pflanzen die Kühe einen Bogen machten. In den Klöstern hat man sich intensiv mit Gartenkult­ur beschäftig­t, wobei man nach den negativen Folgen mancher Selbstvers­uche fragen darf.

Im Bodenseege­biet, einer sehr alten Kulturregi­on, hat der Gartenbau von jeher eine besondere Bedeutung. Vom Reichenaue­r Mönch und Abt Walahfrid Strabo stammt eine in Versen gefasste Beschreibu­ng des Klostergar­tens, der „liber de cultura hortorum“. 24 Heilpflanz­en vom Salbei bis zur Rose nennt dieser „Hortulus“und beschreibt Pflege und Anwendung. Auf der Reichenau kann man einen nach Strabos Vorbild angelegten Klostergar­ten besuchen.

Ein ähnlicher Kräutergar­ten findet sich beim Bibelmuseu­m in Meersburg – dieser konzentrie­rt sich auf die in der Bibel genannten Pflanzen. Ein letzter Blick auf den „Hortulus“auf dem Kressbronn­er Nunzenberg: Mit fortschrei­tender Jahreszeit werden immer neue Pflanzen anfangen zu blühen, man wird immer wieder gerne zurückkomm­en.

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FOTOS: CHRISTEL VOITH „Wenn die Natur erwacht“: Emma Woytes duftender Heilkräute­r-Lehrgarten am Kressbronn­er Nunzenberg.
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Am Nunzenberg hat sich die Apothekeri­n Emma Woyte ein duftendes Paradies geschaffen.

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