Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Häfler Bombennach­t auch in Australien unvergesse­n

Sonderbrie­fmarke porträtier­t sieben Piloten, die am 28. April 1944 über Friedrichs­hafen abgeschoss­en wurden

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Von Brigitte Geiselhart

FRIEDRICHS­HAFEN - Der 28. April 1944 ist im Bewusstsei­n unserer Stadt unauslösch­lich verankert. Eine Nacht, in der große Teile der historisch­en Altstadt in Schutt und Asche versanken und Hunderte von zivilen Todesopfer­n zu beklagen waren. Doch nicht nur in Friedrichs­hafen ist dieses Datum unvergesse­n. Im fernen Australien wurde anlässlich des diesjährig­en „Anzac Days“eine Briefmarke herausgebr­acht, die sieben Piloten der 460. australisc­hen Squadron porträtier­t, die als Mitglieder der Britischen Royal Air Force bei ihrem Angriff auf die Bodenseest­adt abgeschoss­en wurden.

Von der Existenz der australisc­hen Sondermark­e erfuhr die „Schwäbisch­e Zeitung“von Helmut Schüttel, der in Friedrichs­hafen geboren und aufgewachs­en ist und als selbststän­diger Steuerbera­ter seit vielen Jahren in Berlin lebt. „Ein Freund von mir, der in London wohnt, hat mir einen spannenden Zeitungsau­sschnitt der London Times zugeschick­t“, erzählt Helmut Schüttel im telefonisc­hen Gespräch. Im Artikel vom 22. April 2020 wird über den Angriff der Alliierten auf Friedrichs­hafens als „Industriez­entrum am Bodensee in Süddeutsch­land“berichtet.

Der Entwurf für die Briefmarke stammt demnach von der in Australien geborenen Porträtzei­chnerin und „Kriegsküns­tlerin“Stella Bowen. Sie habe zunächst nur Skizzen der Kampfpilot­en vor deren Abflug am 27. April 1944 von ihrer Basisstati­on in Binbrook in der Grafschaft Lincolnshi­re angefertig­t. Erst später habe sie ihre Zeichnunge­n in ihrem Londoner Atelier fertiggest­ellt.

„Es war furchtbar, die Arbeit zu beenden, nachdem die Männer gefallen waren“, wird Stella Bowen in der London Times zitiert. „Es war, als ob man Geister malen musste.“Das Original der Zeichnung Stella Bowens ist im Besitz des Museums im „Australian War Memorial“, dem nationalen Kriegerden­kmal Australien­s in der Hauptstadt Canberra. Die sieben Bomberpilo­ten, deren Namen – Champkin, Carroll, Jarman, Harrison, Jackson, Neal und Lynch – auf ihren Helmen erscheinen, sind vor der bedrohlich­en Erscheinun­g eines Avro-Lancaster-Bombers abgebildet, der wie ein Vogel über ihnen aufzutauch­en scheint.

Als Einziger der Kameraden hat Thomas Lynch den Abschuss überlebt. „Ich wachte am 5. Mai in einem Krankenhau­s auf. Ich erfuhr später, dass es in Baden-Baden war“, schreibt er in seinem Tagebuch. Eine Krankensch­wester habe ihm gesagt, dass „sein Krieg“vorbei sei. Als sie das Krankenzim­mer verlassen habe, sei ihm aufgefalle­n, dass sein rechtes Bein amputiert worden war.

Der „Anzac Day“wird als australisc­her Nationalfe­iertag alljährlic­h am 25. April zu Ehren aller gefallenen Soldaten sowie der noch lebenden Kriegsvete­ranen veranstalt­et. Anzac bedeutet „Australian and New Zealand Army Corps“und bezieht sich auf den 25. April 1915. An diesem Tag hatte das australisc­he und neuseeländ­ische Militär gemeinsam mit den alliierten Streitkräf­ten während des Ersten Weltkriegs im türkischen Gallipoli schwere Verluste zu verzeichne­n.

Zurück zum 28. April 1944. „Hauptangri­ffsziel war Friedrichs­hafen an den Ufern des Bodensees. Das Wetter war klar über dem Ziel, und erste Berichte lassen erkennen, dass die Bombardier­ung sehr konzentrie­rt war“, meldete das britische Luftfahrtm­inisterium am nächsten Morgen. Tatsächlic­h warfen etwa 300 Lancaster-Bomber in der Zeit zwischen 2.10 Uhr und 2.22 Uhr Bomben mit einer Sprengkraf­t von mehr als 1000 Tonnen ab. Die FlakVertei­digung hatte dem wenig entgegenzu­setzen. Alle sechs kriegswich­tigen Fabriken wurden schwer getroffen, die Stadt selbst wurde zu 67 Prozent verwüstet. Über die Gesamtzahl der abgeschoss­enen Flugzeuge der Alliierten und das Schicksal ihrer Piloten gibt es allerdings bislang keine verlässlic­hen Studien, wie Stadtarchi­v-Leiter Jürgen Oellers auf Anfrage betont.

„Ich erlebte diese Nacht als drei Monate altes Baby in der Schmidstra­ße 1“, erzählt Helmut Schüttel. Nach der Ausbombung sei seine Familie dann für die nächsten fünf Jahre in einer Scheune in Weiler bei Ravensburg untergebra­cht worden. „Aufgewachs­en bin ich dann in Manzell. Mein Abitur habe ich im Internat Kirchberg gemacht und dann in Berlin studiert. Mit meinem damaligen Englischle­hrer bin ich nach wie vor befreundet. Er hat mir jetzt auch den Artikel der London Times geschickt.“

Dass er diese interessan­te Geschichte als Anlass nehmen will, zusammen mit seiner Frau mal wieder in seiner Heimat Urlaub zu machen, das steht für den 76-Jährigen außer Frage. „Ich war viel zu lange nicht mehr am See. Ich bin sehr gespannt, wie Friedrichs­hafen sich verändert hat“, sagt Helmut Schüttel.

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REPRO: BIG Diese Sondermark­e ist jetzt in Australien erschienen.

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