Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Wie Dornier nach den Sternen griff
Ehemalige Dornianer unterstützen das Dornier-Museum beim Konzept der neuen Raumfahrt-Ausstellung
Von Hildegard Nagler
FRIEDRICHSHAFEN - Neue Attraktion im Dornier-Museum: Dort ist ab Pfingstsonntag die neue RaumfahrtDauerausstellung zu sehen. Doch wie kam Dornier überhaupt zur Raumfahrt?
Silvius Dornier, Sohn von Flugzeug-Pionier Claude Dornier, gründete 1962 die Dornier System GmbH. In einem Interview zum 50-jährigen Bestehen von Astrium, in dem die Dornier-Tochter aufgegangen und die heute Teil von Airbus ist, erklärte er die Hintergründe ihrer Gründung folgendermaßen: „Die Wiederaufnahme des Flugzeugbaus in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg und auch bei Dornier erfolgte in den Jahren ab 1955. Die Luftfahrttechnik hatte sich in den USA gegenüber dem Stand Deutschlands zur Zeit des Krieges stark weiterentwickelt. Insbesondere Entwicklungen der Elektronik und Computertechnik eröffneten im Zeichen des Kalten Krieges völlig neue, bisher ungeahnte Möglichkeiten. Die Fluggeräte wurden komplexer und schneller, ihr operativer Einsatz über große Distanzen setzte immer mehr das geeignete integrierte Zusammenwirken und Zusammenspiel der verschiedensten Faktoren voraus – nicht nur in der Luft, sondern auch am Boden. Dies alles zusammen, also das Zusammenwirken technischer und menschlicher Fähigkeiten, Komponenten und Faktoren bezeichnet man als System.“
Auf Einladung des Pentagon und der US-Airforce hatte Silvius Dornier 1957 als Mitglied einer Deutschen Delegation von Wissenschaftlern der Luftfahrtforschung, aus Führungskräften der Luftfahrtindustrie und Beamten des Bundesministeriums
der Verteidigung bei einer Rundreise in den USA Gelegenheit, die Methoden von Operations Research und Systemanalyse kennenzulernen. Silvius Dornier: „Das hat mich bestärkt, bei Dornier auch selbst auf diesem Gebiet tätig zu werden, eine entsprechende Abteilung aufzubauen und in diesem Zusammenhang ist wohl auch der Name ,Dornier System‘ entstanden.“Es sei dann „die logische Konsequenz“gewesen, dass bei der Dornier System
GmbH neben vielen anderen Aufgaben im Bereich der Forschung und Anwendung auch bald Arbeiten für die Raumfahrttechnik aufgenommen wurden, denn die Raumfahrttechnik setze, wie kaum ein anderes Aufgabengebiet, Systemtechnik und Systemanalyse voraus.
Anfangs hatte das Unternehmen in der Schmidstraße in Friedrichshafen, dessen Keimzelle die Abteilung Sonderkonstruktion war, 30 Mitarbeiter, das Anfangskapital betrug 300 000 Mark. Erstes Projekt der Dornier System GmbH, die bald ins Schloss Kirchberg und später nach Langenargen umzog, war eine rückführbare und damit wieder verwertbare Höhenforschungsrakete. Doch das Projekt schlief bald ein, weil es viel einfacher war, die Nutzlast mit einem Fallschirm zu bergen. Die Umstände, unter denen die damaligen Dornianer ihren Dienst taten, sind heute kaum mehr vorstellbar: Im Winter 1962/63, in dem es auch eine Seegfrörne gab, war es so kalt, dass das Wasser in den Toiletten gefror.
Der Höhenforschungsrakete folgten die ELDO-Rakete, die Ariane-Rakete, Studien zu bemannten Raumtransportern, Technologieaufgaben, der nationale Forschungssatellit A1 (AZUR) und ein 3-Achsen-stabilisierter Nachrichtensatellit. Sieben Jahre nach Gründung des Unternehmens wählte das Forschungsministerium das Friedrichshafener Unternehmen das erste Mal als Hauptauftragnehmer für den Bau von AEROS aus, der Satellit startete 1972.
Weitere Projekte waren GEOS, die erste geostationäre Mission für die Messung von Teilchenströmen und ihren erdatmosphärischen Wechselwirkungen, OTS, COS B, AEROSAT, METEOSAT und FRS. Als die Europäische Raumfahrtorganisation ESA an die Dornier System GmbH den ersten Hauptauftrag vergab, ISEE (International Sun – Earth Explorer), den internationalen Sonnenerforschungssatelliten, zu bauen, bedeutete dies einen weiteren Meilenstein für das Friedrichshafener Unternehmen – es war nicht mehr nur in der Zuliefer-Rolle, sondern war auch bei internationalen wissenschaftlichen Raumfahrtprojekten wichtiger Akteur. So entwickelte es beispielsweise die Faint Object Camera
für das Hubble-Space-Telescope der NASA und das Instrument Pointing System IPS für das Space Shuttle Transportsystem – beides ist mittlerweile im Dornier-Museum in Friedrichshafen ausgestellt.
Die Mitarbeit an der Kometensonde Giotto, Entwicklung und Bau des nationalen Röntgensatelliten (Rosat) und der Hauptauftrag für die International Solar Polar Mission (ISPM) – später „ULYSSES“– folgten. Die Raumsonde „ULYSSES“, die erste und bis heute einzige Mission zu den Polkappen der Sonne, verließ mithilfe der Anziehungskraft des Planeten Jupiter die Umlaufbahn der Erde. Zum ersten Mal konnten so der Sonnenwind und das Magnetfeld über den Polregionen der Sonne untersucht und vermessen werden. Fast gleichzeitig folgte der Bau der 4 CLUSTER-Satelliten. Ihre Aufgabe: Die Wechselwirkung Sonne – Erde und deren Einfluss auf unseren Planeten untersuchen.
Eine wichtige Rolle spielte die Dornier System GmbH auch beim Spacelab-Raumlabor: Sie entwickelte das hochkomplexe Lebenserhaltungssystem (ECLSS), ohne das sich die Astronauten nicht im SpacelabRaumlabor hätten aufhalten können – das System war dort zuständig für die Aufrechterhaltung von Atmosphäre und Klima.
Erfolgreich setzte das Unternehmen auf neue Technologien, wuchs rasant. Ende 1962 waren es 71, fünf Jahre später 282 Mitarbeiter. 1972 beschäftigte die Dornier System GmbH 766, 1977 waren es 1199 und 1982 rund 1500 Mitarbeiter. Nachdem die Dornier System GmbH Ende der 1980erJahre zunächst in den deutschen Luft- und Raumfahrtkonzern DASA integriert wurde, ist der Standort mittlerweile Teil von Airbus.