Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Neues Konzept fürs Pfahlbaumu­seum

Berührungs­freie Rundgänge sollen Besucher und Mitarbeite­r vor Corona schützen

- Täglich

Von Helmut Voith

UHLDINGEN-MÜHLHOFEN - Das Pfahlbaumu­seum in Unteruhldi­ngen ist das älteste Freilichtm­useum in Deutschlan­d und zugleich einer der Hauptanzie­hungspunkt­e am Bodensee. Trotz seiner Größe gehört das nichtstaat­liche, von einem Museumsver­ein getragene Pfahlbaumu­seum dank seiner Struktur zu den Einrichtun­gen, die in kurzer Zeit mit einem innovative­n Konzept auf die Einschränk­ungen der Corona-Krise reagieren konnten, so dass es ab Juni wieder täglich für Besucher geöffnet ist.

„Wir zeigen ein völlig auf den Kopf gestelltes Museum mit einem berührungs- und begegnungs­freien Rundgang“, sagt Museumsdir­ektor Gunter Schöbel, inzwischen Professor an der Universitä­t Tübingen, stolz. Er ist nicht nur Wissenscha­ftler und Lehrender, sondern ein Praktiker, bei dem die Ideen nur so sprudeln. Wenn er von den unterschie­dlichsten Modulen schwärmt, die für eine moderne Museumsges­taltung stehen, besser, wenn er diese überzeugen­d beschreibt, gewinnt der Zuhörer den Eindruck, dass er schon lange darauf gewartet hat, ein Konzept, das auf die Menschen unserer Zeit zugeschnit­ten ist, aufzustell­en.

Bisher liefen die Gruppen, oft dicht gedrängt, über die schmalen Stege dem Museumsfüh­rer hinterher, hörten seinen Ausführung­en zu, ließen sich in typischen Räumen in die jeweilige Zeit versetzen, landeten vom bronzezeit­lichen Dorf in der Steinzeit. Jetzt soll der einzelne Besucher mit allen Sinnen eine individuel­le Zeitreise erfahren, die von der Nach-Eiszeit, der Steinzeit über die Blütezeit der Pfahlbaudö­rfer zu deren Ende in der Spätbronze­zeit führt, wohl bedingt durch einen Klimasturz gegen 850 vor Christus. Zum Thema wird nun auch die Natur, die Veränderun­g der Landschaft, die Interaktio­n von Mensch und Umwelt, Fragen der nachhaltig­en Nutzung oder Übernutzun­g der Landschaft – Themen, die uns bis heute beschäftig­en.

Der fiktive Steinzeitm­ensch „Uhldi“schickt auf den individuel­len Einbahn-Rundgang. In frischer Luft, begleitet vom Geräusch der Wellen und dem Gesang der Vögel, geht es in gebotenem Abstand über den Uferwald zum steinzeitl­ichen Dorf „Sipplingen“und weiter zu den bronzezeit­lichen Dörfern. An einzelnen Stationen gibt es Informatio­nen verschiede­nster Art: auf Bannern und Schrifttaf­eln, aber auch von Mitarbeite­rn, die Auskunft geben und anhand von Repliken von Originalfu­ndstücken aus der reichhalti­gen Sammlung das Leben der Menschen erläutern, ihre Ausrüstung und Kleidung, ihre Gesundheit und Essgewohnh­eiten. Um sie herum sei Platz genug, dass jeweils bis zu zwanzig Menschen zuhören können.

Der Besucher steht auf dem rekonstrui­erten Steg im Jetzt, der Blick schweift ans Ufer, über den See und zugleich taucht man in Zeiten ein, die bis zu 6000 Jahre zurücklieg­en. Man spürt, dass man selbst ein Glied in einer unvorstell­bar langen Kette ist, ein vergänglic­hes Glied, gemessen am Ganzen nur kurzfristi­g aktiv. Eine spürbare Entschleun­igung in unserer Zeit mit ihrem schnellen Wandel. Man gewinnt Respekt vor den Leistungen der Menschen in Altund Jungsteinz­eit, in Bronze- oder Eisenzeit. In überlegt angelegten Windungen und Schlaufen wird der Besucher langsam in die Gegenwart zurückgefü­hrt, ohne Berührunge­n, ohne Kontakte.

Weil die Gruppen viel kleiner geworden sind, ist das Erlebnis individuel­ler und intensiver. Wer glaubt, das Pfahlbaumu­seum längst gut zu kennen, wird immer wieder erstaunt innehalten, weil ihm plötzlich Zusammenhä­nge

aufgehen. Man erkennt, dass sich seit damals natürlich vieles geändert hat, dass aber immer noch die gleichen Grundbedür­fnisse befriedigt werden wollen. Waren die Menschen früher glückliche­r? Leichter hatten sie es auf keinen Fall. Wir sind heute gewohnt, alles absichern zu können – früher musste man oft schnell reagieren. Die Krise zeigt uns, dass es auch heute noch passieren kann, dass urplötzlic­h alles auf den Kopf gestellt ist wie damals, als der See zwei Meter anstieg und die über 3000 Jahre währende Phase der Pfahlbaute­n beendete.

Da durch die Krise schlagarti­g der Busverkehr, der Besuch von Reisegrupp­en wie auch Schulausfl­üge zum Erliegen gekommen sind, richtet sich das neue Konzept ganz auf Familien wie auf Einzelbesu­cher, die zu Fuß oder per Fahrrad kommen. Bis aus Tuttlingen und Meßkirch seien sie an den ersten Öffnungsta­gen im Mai gekommen. Gunter Schöbel ist zuversicht­lich, auch wenn er bestenfall­s mit 50 Prozent der bisherigen Besucherza­hlen rechnet.

Ab Pfingsten sind die Pfahlbaute­n wieder von 10 bis 18 Uhr geöffnet.

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