Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Alnos neues Rezept
Investitionen, Entlassungen, Umbau: Wie sich der Pfullendorfer Küchenbauer gesund schrumpfen will
Von Benjamin Wagener
PFULLENDORF - Noch immer hängt ab und an der dunkle Schatten der alten Zeit über dem Küchenbauer Alno. Der Schatten aus der Zeit, als das Pfullendorfer Unternehmen als Aktiengesellschaft firmierte, als es den Vorständen und ihren Abteilungsleitern vor allem um Größe und Wichtigkeit und den eigenen Vorteil – und viel zu selten darum ging, ob die Produktion profitabel läuft. Aus einer Zeit, die im totalen Desaster mit Insolvenz, Polizeirazzia und staatsanwaltlichen Ermittlungen endete.
Die Manager, die unter dem neuen Eigentümer den Neustart wagten, haben noch immer mit den Geistern aus vergangenen Tagen zu kämpfen. „In der alten Konzerndenke ging es oft zuerst einmal darum zu klären, ob man überhaupt zuständig ist“, sagt Geschäftsführer Jochen Braun im Interview mit der „Schwäbischen Zeitung“. „Wir brauchen aber eine breitere Verantwortungsbereitschaft der Mitarbeiter, sie müssen sich stärker einbringen. Schnelle Prozesse, kurze Wege, das ist entscheidend.“Denn das Ziel ist klar: Alno soll „ein kleiner, feiner Küchenanbieter“werden, so formuliert es Braun – und auch wenn der Manager es nicht sagt, ist offensichtlich, was er meint: ein solides mittelständisches Unternehmen – als Gegenentwurf zur selbstgefälligen, bräsigen und am Ende insolventen Aktiengesellschaft.
Gemeinsam mit Geschäftsführerkollege Michael Spadinger hat Jochen Braun im Januar die Verantwortung bei Alno übernommen, um den von Vorgänger Thomas Kresser angestoßenen Wandel weiterzuführen. Ein Wandel, im Zuge dessen sich in den Augen der neuen Chefs nicht nur der Unternehmensgeist, sondern zudem die Strukturen ändern müssen. Und dafür haben Braun und Spadinger Alno in den vergangenen Monaten nochmals umgebaut. „Wir verlasen den Massenmarkt und wollen in Zukunft auf höherwertige, für Kunden individuell angefertigte Küchen setzen“, sagt Braun.
Neben einer Anpassung der Produktionsabläufe und Organisationsprozesse auf mittelständische Strukturen und einer Anpassung der ITSysteme gehört zu dem strategischen Umbau nach Angaben Brauns auch eine Reduzierung der Mitarbeiterzahl von mehr als 300 auf rund 250 Beschäftigte. Dafür seien 54 Personen in eine Transfergesellschaft gewechselt, fünf Mitarbeitern habe Alno betriebsbedingt gekündigt. „Wir haben über alle Bereiche hinweg querbeet reduziert“, erläutert Braun.
In der Transfergesellschaft haben die Mitarbeiter von Alno nun mindestens sechs und maximal zwölf Monate Zeit sich zu qualifizieren und auf einen neuen Job vorzubereiten und zu bewerben. Die Personen seien entweder freiwillig oder nach einem mit dem Betriebsrat abgestimmten Sozialplan in die Weiterbildungsorganisation gewechselt, die Alno finanziert und ein externer Dienstleister betreibt. Zu dem strategischen Umbau gehört auch ein Investitionsprogramm, dessen Volumen Braun nicht nennen möchte. Es sei „ein vernünftiger Betrag“, der vor allem in den Fabrikteil des Unternehmens – sprich in Maschinen und IT-Systeme – geflossen sei.
Der Betriebsrat unterstützt Braun und Spadinger bei ihrem Umbau des Unternehmens. „Wir haben die Maßnahmen mitgetragen“, sagt Betriebsratsvorsitzende Waltraud Klaiber der „Schwäbischen Zeitung“. „Wir sind sehr froh, dass wir die Beschäftigungsgesellschaft
bekommen haben, und uns war wichtig, dass ein Knopf an die Investitionen kommt.“Die IG Metall hat der Betriebsrat nach Angaben der Gewerkschaft nicht in die Verhandlungen miteinbezogen. Michael Föst, Erster Bevollmächtigter der IG Metall Albstadt, kritisiert die Höhe der gezahlten Abfindungen an die in die Transfergesellschaft gewechselten Mitarbeiter. „Das Niveau der Zahlungen liegt auf Insolvenzniveau und hat nichts mit der geleisteten Arbeit zu tun“, sagt Föst.
Braun verteidigt den Arbeitsplatzabbau, der zudem nichts mit der Corona-Pandemie, dem Lockdown und dem damit einhergehenden Wirtschaftseinbruch zu tun habe. „Corona hat uns eher bestärkt, den Weg weiterzugehen“, erklärt der AlnoChef.
„Denn im Gegensatz zu vielen Wettbewerbern haben wir wieder eine große Fertigungstiefe, stellen wieder sehr viel selbst her und sind nicht abhängig von Zulieferern.“Und mit Blick auf seinen Vorgänger führt Braun aus, „dass wir die Arbeit, die Thomas Kresser bei Alno begonnen hat, fokussiert fortführen“.
Kresser hatte den Wiederaufbau von Alno geleitet, nachdem der britische Finanzinvestor Riverrock Teile von Alno mit der Küchenproduktion in Pfullendorf Mitte Dezember 2017 kurz vor der endgültigen Abwicklung für 20 Millionen Euro aus der Insolvenzmasse heraus gekauft hatte. Viele Jahre des Siechtums gingen der Rettung durch Riverrock voraus: Seit dem Börsengang 1995 schrieb das Unternehmen nur wenige Jahre schwarze Zahlen. 2016 gab es kurzzeitig Hoffnung, als die Prevent-Gruppe der bosnischen Unternehmerfamilie Hastor bei Alno einstieg. Doch Streitigkeiten zwischen altem Vorstand und neuem Investor endeten im Chaos. Im Januar übergab Kresser die Geschäfte nach Angaben von Alno geplant an Jochen Braun und Michael Spadinger.
Die Zeit der negativen Schlagzeilen will das neue Chef-Duo endgültig vergessen machen. „Die Strahlkraft der Marke ist immer noch da“, sagt Braun. „Die Händler beginnen wieder, uns zu vertrauen – und wir wachsen und wollen weiter wachsen.“Zu den angestrebten Umsatzzahlen für 2020 äußert sich Braun nicht. Mitte Januar hatte der Alno-Chef im Gespräch
mit der „Schwäbischen Zeitung“gesagt, dass der Küchenbauer, in „15 bis 18 Monaten“wieder in der Gewinnzone sei, das wäre im Frühjahr 2021. „Aber das war vor Corona, alle Prognosen, die ich damals gegeben habe, sind nun gegenstandslos“, sagt Braun weiter. Jetzt hänge alles an den nächsten Monaten. „Zurzeit verbringen die Leute sehr viel Zeit zu Hause und verspüren den Wunsch, ihr Heim zu verschönern, davon profitieren wir“, erläutert der AlnoChef. „Kommt aber ein zweiter Lockdown, und die Menschen haben Angst, ihre Arbeit zu verlieren, kaufen sie bestimmt keine neue Küche.“
Trotz solcher Perspektiven blicke Braun zuversichtlich in die Zukunft. „Bei den wichtigen Messen sind wir im Gegensatz zu Wettbewerbern dabei, und wir stellen auch neue Küchen vor“, erklärt der Alno-Chef. Das sind nach dem neuen und geschärften Konzept vor allem Küchen in der Preisklasse von 8000 Euro an, die zumeist von spezialisierten Fachhändlern vertrieben – und zu 70 Prozent im Ausland verkauft werden. Wichtigste Märkte neben der Heimat sind neben Frankreich und England vor allem die USA und Korea.
Der neue Eigentümer, der 2017 die Produktion in Pfullendorf so überraschend rettete, begrüßt den Neuaufbau und die Aufbauarbeit beim 1927 als Schreinerei Albert Nothdurft gegründeten Unternehmen. „Das Management hat uns den Plan präsentiert und erläutert, warum es notwendig ist, diesen Weg zu gehen. Ich halte die eingeschlagene Richtung für richtig und bin froh, dass sich das Management so eng mit dem Betriebsrat abgestimmt hat“, sagt der Vorsitzende des Alno-Beirats, Jason Carley, der „Schwäbischen Zeitung“. Carley ist Chief Investment Officer von Riverrock und vertritt den Investor im Aufsichtsgremium von Alno. Natürlich sei es hart, dass einige Mitarbeiter das Unternehmen verlassen müssen, aber „die Schritte sind nötig, um mit unserer neuen Strategie Erfolg zu haben“. Riverrock sei sehr glücklich mit den Fortschritten in der Entwicklung von Alno. „Wann Alno wieder in die schwarzen Zahlen kommt, ist angesichts der aktuellen Lage schwierig zu sagen. Aber auch in Corona-Zeiten wachsen wir schnell und beständig“, sagt Carley weiter. „Das ist ein gutes Zeichen und zeigt, dass das Management mit seinen Maßnahmen richtig liegt.“
Letzte Sicherheit, ob die Maßnahmen richtig sind, werden Jason Carley, Jochen Braun und Michael Spadinger allerdings erst in einigen Monaten haben. Dann, wenn sich die Hoffnung der neuen Alno-Verantwortlichen auf schwarze Zahlen erfüllt – und die dunklen Zeiten der Aktiengesellschaft wirklich endgültig hinter dem Küchenbauer liegen.