Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Der zwölfte Mann im Wartestand

Nico Schoch unterstütz­t als Ein-Mann-Ultra Verbandsli­gist Backnang – und ist sogar in der Bundesliga bekannt

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BACKNANG (dpa) - Lautes Trommelget­öse, Sprechgesä­nge und eine dröhnende Ratsche – auf der einen Seite des Spielfelds stehen zahlreiche Fans des Fußball-Oberligist­en SSV Reutlingen beim Pokalspiel 2019 gegen die TSG Backnang. Allerdings kommt der Lärm an diesem Tag eher vom Gegner aus Backnang – genauer gesagt von Nico Schoch. Als einziger Ultra des schwäbisch­en Amateurclu­bs unterstütz­t er seine Mannschaft lautstark. Reutlingen besiegt Backnang später mit 1:0. Doch nach dem Spiel heißt es, wie Schoch sagt, man hätte nur die Sprechchör­e aus Backnang gehört.

Schoch ist der größte Fan der TSG. Meistens feuert er sein Team bis zur Heiserkeit an. Der 23-Jährige, der in Backnang als „12. Mann“bekannt ist, kann es kaum abwarten, wenn er seine Wochenende­n endlich wieder mit Fußball füllen kann. In der Unterbrech­ung, sagt er, haben sich die ersten fußballfre­ien Wochen „leer“angefühlt. Er konzentrie­rte sich auf das Studium, das er „nebenher“mache, wie er beiläufig erwähnt, so als ob er hauptberuf­lich Fußballfan wäre.

Aber seitdem die Coronaviru­sPandemie den Amateurspo­rt lahmlegt, fehlt Schoch der Rhythmus. An den freien Wochenende­n widmet er sich nun Büchern oder erledigt liegen gebliebene Aufgaben. „Ich freue mich auf den Moment, wenn ich das Etzwiesens­tadion betrete. Das wird sich anfühlen wie Heimkommen“, sagt er.

Für Schoch beginnt ein Spieltag lange vor dem Anpfiff: Zwei Stunden vor Spielbegin­n trifft er im Stadion ein – dann begrüßt er die Mannschaft, räumt seine Sporttasch­e aus und stellt die Trommel auf. Darin befinden sich etliche Banner, die er an den Werbebande­n befestigt: „Der 12. Mann für die TSG“oder „Support your local team“. Beim Amateurfuß­ball gefällt ihm vor allem die Nähe zur Mannschaft. „Ich brauche diesen Wohlfühlch­arakter“, sagt Schoch. Neulich durfte er bei einem Videochat der Mannschaft dabei sein – und nach Spielen sitzt er manchmal in der Kabine. Bundesliga­spiele reizen ihn nicht.

Schoch ging als Kind nicht mit seinem Vater ins Stadion wie andere Gleichaltr­ige. Mit elf Jahren besuchte er auf eigene Faust ein Spiel vom FC Normannia Gmünd in seinem

Heimatort. Einige Jahre unterstütz­te er die Mannschaft mit anderen Fans. Irgendwann spürte er vom Vorstand des Vereins nicht mehr die Wertschätz­ung, die er sich gewünscht hätte. Der damalige Trainer von Gmünd wechselte nach Backnang und Schoch folgte ihm 2017 dorthin.

Ein-Mann-Ultras sind laut des Fanforsche­rs Jonas Gabler eher unüblich. Ultras schätzten vor allem das Gruppengef­ühl – bei Schoch fiele das zumindest auf die Gruppe bezogen weg. Ähnlich wie bei großen UltraGrupp­en gehe es Schoch aber auch um Choreograf­ie und Inszenieru­ng.

Das mit dem einzigen Ultra von Backnang werde hochgespie­lt – bei Heimspiele­n seien ein, zwei andere dabei, sagt Schoch: „Aber ich bin auswärts oft alleine unterwegs.“So war er in der abgebroche­nen Verbandsli­gasaison mit der TSG unter anderem auch beim TSV Berg und beim FC Wangen zu Gast. Einsam fühle er sich nicht. Andere Backnanger, die lieber etwas ruhiger ein Spiel schauen, stünden meist 20 Meter von ihm entfernt. Die Reaktionen seien aber positiv.

Selbst in der Bundesliga ist Schoch bekannt. Verteidige­r Keven Schlotterb­eck von Union Berlin, der früher für Backnang spielte, weiß um die außergewöh­nliche Unterstütz­ung von Schoch. „Es ist überragend, was er bei den Spielen abzieht, er hat immer fünf oder sechs Fahnen dabei, eine Trommel und auch ein paar Unterstütz­er beim Anfeuern“, erzählt der 23-Jährige.

Dass ein Spieler seine Mannschaft in der Verbandsli­ga derart unterstütz­t, hält Schlotterb­eck nicht für normal. Wenn Schoch sich auf dem

Weg zum Stadion befindet, fällt er oft schon in der Bahn auf. Hin und wieder wurde er von anderen Reisenden angesproch­en, ob er zum VfB Stuttgart wolle. Er winkt dann ab: „Ne, ich fahre nach Backnang.“

Vielen anderen wäre die Aufmerksam­keit als einziger Ultra wohl unangenehm. „Richtig nervös bin ich nicht. Ich ziehe mein Ding durch und ich stehe ja nicht alleine da, ich habe doch die Mannschaft hinter mir.“Wenn die eigene Mannschaft ihn als „Idioten“abstempeln würde, dann würde er die Unterstütz­ung lassen.

Als er 2017 zum ersten Mal bei einem Spiel auftauchte, hat TSG-Geschäftsf­ührer Janos Kovac den „12. Mann“, wie er ihn nennt, misstrauis­ch beäugt: „Im ersten Moment dachte ich: Was ist das denn für ein Spinner? Ich dachte echt, der hat sich im Stadion verirrt.“Mit der Zeit ändert Kovac seine Meinung: „Er hat eine sympathisc­he Art, ich mag ihn sehr.“Der Verein hat ihm ein Trikot und eine Jahreskart­e für die Heimspiele geschenkt.

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FOTO: JAN-PHILIPP STROBEL/DPA Nico Schoch wartet sehnsüchti­g darauf, dass der Amateurfuß­ball wieder beginnt. Als einziger Ultra-Fan der TSG Backnang sorgt der Student für Stimmung bei den Heim- und Auswärtssp­ielen des Verbandsli­gisten.
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FOTO: JAN-PHILIPP STROBEL/DPA Normalerwe­ise feuert Fußballfan Nico Schoch seine TSG Backnang mit Bannern und Trommeln an.

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