Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Lange Haftstrafe nach Messerattacke in Berg
33-jähriger Täter schon am zweiten Verhandlungstag verurteilt
Von Wolfgang Steinhübel
BERG - Die Erste Große Strafkammer des Landgerichts Ravensburg hat bereits am Ende des zweiten Verhandlungstages einen 33-jährigen Mann aus Donaueschingen wegen versuchten Mordes und gefährlicher Körperverletzung zu einer Haftstrafe von elf Jahren und zehn Monaten verurteilt. Der schwer suchtkranke Mann hatte am 18. Dezember vergangenen Jahres in Berg bei Ravensburg eine 21-jährige Frau heimtückisch von hinten angegriffen und ihr, mit dem Vorsatz, sie zu töten, mehrere Messerstiche zugefügt.
Der Vorsitzende Richter, Veiko Böhm, sprach in seiner Urteilsverkündung von einer massiven, schweren und brutalen Straftat zum Nachteil einer jungen Frau, die überhaupt keine Veranlassung dazu gegeben habe. „Sie war Mittel zum Zweck als Rache an ihrer Mutter. Dies war ein niedriger Beweggrund,“so Böhm. Zudem sei die Tat geplant gewesen.
Wie bereits berichtet, war der Mann am Vorabend der Tat von der Mutter des Opfers verlassen worden. Er wollte sich rächen, suchte die Frau und ihren neuen Liebhaber. Als er diese nicht fand, begab er sich am Tattag nach Berg, wo die Tochter der Frau wohnte, mit der er zuvor auch eine Beziehung gehabt hatte. Als diese ihn nicht in ihre Wohnung ließ und mit ihm ins Freie ging, stach er plötzlich und unvermittelt von hinten auf die 21-Jährige ein und fügte ihr zahlreiche Schnittverletzungen zu. Besonders die Halsverletzung war lebensgefährlich. Nur das beherzte Eingreifen einer Passantin hatte Schlimmeres verhindert.
Der Angeklagte hatte die Tat von Anfang an eingeräumt, sie als unentschuldbar bezeichnet und gesagt, dass es ihm leid tue. Der Sachverhalt war klar, deswegen dauerte das Verfahren nur zwei, anstatt der vorgesehenen vier Verhandlungstage.
Den Grund für den versuchten Totschlag sah der psychiatrische Sachverständige Hermann Assfalg in der Persönlichkeitsausrichtung des Angeklagten. Eine alkoholkranke Mutter, ein Vater mit Schizophrenie, die Trennung der Eltern bedeuteten fehlende Zuwendung und Betreuung. „In einem solchen Klima ist grundsätzliches Misstrauen ausgeprägt,“so Assfalg und weiter: „Es gab zu keinem Zeitpunkt irgendeine Stabilität.“Daraus resultiere ein negatives Selbstwertgefühl, das dann zu einer narzisstischen Wut führt, die zum Beispiel durch eine Trennungssituation ausgelöst werden kann. Der Psychiater diagnostizierte zudem eine schwere Suchterkrankung mit Schwerpunkt Alkohol und Opioiden. Darin sah er aber keinen Anhalt für eine verminderte oder aufgehobene Straffähigkeit. Ebenso wenig wie der Blutalkoholpegel von 2,74 Promille zur Tatzeit, der durch den Gewöhnungseffekt in diesem Fall nicht relevant sei. Eine Aussicht auf einen erfolgreichen Entzug sieht der Gutachter nicht. Momentan im Vordergrund sieht er die dringend erforderliche Behandlung der narzisstischen Störung des Angeklagten. Sie sei der Schlüsselpunkt für die weitere Zukunft des Täters.
Dieser Argumentation schlossen sich Oberstaatsanwalt Karl-Josef Diehl und das Gericht an. Bei der Urteilsbemessung spielte auch noch das lange Strafregister eine Rolle. Richter Böhm: „Wir hatten noch nie jemanden hier, der die Hälfte seines Lebens im Gefängnis verbracht hat.“
Zudem ereignete sich die Straftat zu einem Zeitpunkt, als der Täter noch unter Führungsaufsicht stand.
Gegen den Angeklagten sprachen auch die vielen Briefe, Mails und Sprachnachrichten, die er an seine ehemalige Partnerin, deren Tochter und an eine frühere Freundin gesendet hatte. Immer nach der Trennung beschimpfte er die Frauen und drohte ganz offen mit Gewalt und Mord an ihnen oder ihren Angehörigen.
Ausschlaggebend für das hohe Strafmaß waren zudem die Spätfolgen für das Opfer. Die junge Frau leidet noch heute unter Schlaflosigkeit, Panikattacken und Angstschweiß. Dazu kommt die bange Frage, ob die Taubheitsgefühle an den Wunden an Hals und Gesicht abebben werden.
Als Böhm dem Angeklagten in seiner Urteilsbegründung vorwarf: „Sie können sich über nichts anderes definieren als über Ihre Männlichkeit und über Ihr Aussehen. Sonst haben Sie nichts“, unterbrach ihn dieser immer wieder: „Ich hab’s verstanden. Ok jetzt“oder: „Stopp! Können wir jetzt gehen?“
Das Urteil liegt im Rahmen der geforderten Strafen von Staatsanwaltschaft, Nebenkläger und Verteidigung. Oberstaatsanwalt Diehl und der Nebenkläger hatten zwölf Jahre und zwei Monate gefordert, die Verteidigerin Nicole Pfuhl beantragte neun Jahre für ihren Mandanten. Gegen das Urteil kann binnen einer Woche Revision eingelegt werden.