Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Wunsch und Wirklichkeit
Zwischen Wunsch und Wirklichkeit liegen hin und wieder Welten. Vor allem in der Verkehrspolitik ist das der Fall. Mehr öffentlichen Nahverkehr brauche das Land, heißt das meistgehörte Credo. Umsteigen lautet die Devise, raus aus dem eigenen Auto, entweder mit anderen den Wagen teilen – oder am besten gleich rein in den Bus oder die Bahn, so es ein halbwegs akzeptables Angebot gibt. Hohe Investitionen werden angekündigt, Staus müssten abschreckend wirken, Parkplatznot und Fahrverbote könnten die Stimmung vermiesen und doch zeigt der Bundesbürger, woran sein Herz wirklich hängt: an seinem Auto.
Grundsätzlich ist das im Autoland Deutschland erst einmal eine gute Nachricht. Die Schlüsselbranche Automobilindustrie mit ihren Zulieferern ist ein ganz wichtiger Bestandteil der Volkswirtschaft, ohne den der hiesige Wohlstand nicht zu erklären ist. Dass selbst ein grüner Ministerpräsident zur Überwindung der Corona-Krise für Kaufanreize von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren eintrat, sagt alles.
Vielleicht zeigen die nun veröffentlichten Zahlen, dass einige Mobilitätskonzepte falsch aufgestellt sind. Sie definieren zuerst die Ziele, die aus verkehrstechnischen oder umweltpolitischen Gründen erreicht werden müssen. Sie ignorieren dabei aber die realen Wünsche und Bedürfnisse derer, die sich tagtäglich ins Auto setzen. Und es ist offenbar gleichgültig, ob dies in der Großstadt oder im ländlichen Raum geschieht. Abseits der Metropolen haben Pendler in der Regel ohnehin keine andere Wahl, als das eigene Auto zu nutzen.
Deshalb müssen die Lösungen für aktuelle und zukünftige Verkehrsprobleme mit allen Beteiligten entwickelt werden und nicht etwa gegen eine Branche, die aufgrund tiefer struktureller Umbrüche ohnehin massiv unter Druck steht. Dass die derzeitige SPD-Spitze seit ihrem Nein für Kaufprämien für Benziner und Diesel mit den Gewerkschaften wieder einmal über Kreuz liegt, belegt unfreiwillig, dass sie die schwierige Situation nicht in Gänze erfasst hat. Niemand sollte sich gegen Veränderungen sperren, aber mit Hunderttausenden von Arbeitsplätzen sollte auch niemand spielen.