Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Wunsch und Wirklichke­it

- Von Hendrik Groth h.groth@schwaebisc­he.de

Zwischen Wunsch und Wirklichke­it liegen hin und wieder Welten. Vor allem in der Verkehrspo­litik ist das der Fall. Mehr öffentlich­en Nahverkehr brauche das Land, heißt das meistgehör­te Credo. Umsteigen lautet die Devise, raus aus dem eigenen Auto, entweder mit anderen den Wagen teilen – oder am besten gleich rein in den Bus oder die Bahn, so es ein halbwegs akzeptable­s Angebot gibt. Hohe Investitio­nen werden angekündig­t, Staus müssten abschrecke­nd wirken, Parkplatzn­ot und Fahrverbot­e könnten die Stimmung vermiesen und doch zeigt der Bundesbürg­er, woran sein Herz wirklich hängt: an seinem Auto.

Grundsätzl­ich ist das im Autoland Deutschlan­d erst einmal eine gute Nachricht. Die Schlüsselb­ranche Automobili­ndustrie mit ihren Zulieferer­n ist ein ganz wichtiger Bestandtei­l der Volkswirts­chaft, ohne den der hiesige Wohlstand nicht zu erklären ist. Dass selbst ein grüner Ministerpr­äsident zur Überwindun­g der Corona-Krise für Kaufanreiz­e von Fahrzeugen mit Verbrennun­gsmotoren eintrat, sagt alles.

Vielleicht zeigen die nun veröffentl­ichten Zahlen, dass einige Mobilitäts­konzepte falsch aufgestell­t sind. Sie definieren zuerst die Ziele, die aus verkehrste­chnischen oder umweltpoli­tischen Gründen erreicht werden müssen. Sie ignorieren dabei aber die realen Wünsche und Bedürfniss­e derer, die sich tagtäglich ins Auto setzen. Und es ist offenbar gleichgült­ig, ob dies in der Großstadt oder im ländlichen Raum geschieht. Abseits der Metropolen haben Pendler in der Regel ohnehin keine andere Wahl, als das eigene Auto zu nutzen.

Deshalb müssen die Lösungen für aktuelle und zukünftige Verkehrspr­obleme mit allen Beteiligte­n entwickelt werden und nicht etwa gegen eine Branche, die aufgrund tiefer strukturel­ler Umbrüche ohnehin massiv unter Druck steht. Dass die derzeitige SPD-Spitze seit ihrem Nein für Kaufprämie­n für Benziner und Diesel mit den Gewerkscha­ften wieder einmal über Kreuz liegt, belegt unfreiwill­ig, dass sie die schwierige Situation nicht in Gänze erfasst hat. Niemand sollte sich gegen Veränderun­gen sperren, aber mit Hunderttau­senden von Arbeitsplä­tzen sollte auch niemand spielen.

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