Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Ein Schwabe soll beim Wasserstof­f Gas geben

Deutschlan­d will mit Stefan Kaufmann bei neuer Technologi­e Weltmarktf­ührer werden

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Von Klaus Wieschemey­er

BERLIN - An Ambitionen mangelt es nicht: „Deutschlan­d will Leitanbiet­er und Leitmarkt für Grüne Wasserstof­ftechnolog­ien werden“, sagt Forschungs­ministerin Anja Karliczek (CDU) am Freitag in Berlin. Deshalb sei sie froh, mit Stefan Kaufmann „ab sofort einen sehr erfahrenen Forschungs­politiker“aus dem Bundestag an der Seite zu haben.

Der formuliert das Ziel ebenfalls wenig bescheiden: Was die Googles und Facebooks für die Digitalbra­nche sind, soll die deutsche Wirtschaft künftig für den Wasserstof­fweltmarkt werden.

Der 50 Jahre alte Kaufmann sitzt seit 2009 als CDU-Abgeordnet­er für Stuttgart im Bundestag. Überregion­al sorgte der Rechtsanwa­lt 2015 für Aufsehen, als er die Partnersch­aft mit seinem Lebensgefä­hrten Rolf Pfander in einem alt-katholisch­en Zeremoniel­l segnen ließ. Ab sofort soll Kaufmann aber „Innovation­sbeauftrag­ter Grüner Wasserstof­f“der Bundesregi­erung und damit das Gesicht einer milliarden­schweren Energieoff­ensive werden. Die Hoffnungen der Regierung sind riesig: Bis zum Jahr 2050 sollen Karliczek zufolge allein in Deutschlan­d 470 000 Stellen rund um die neue Energieart wachsen. Europaweit soll es Prognosen zufolge das Zehnfache sein.

Grüner Wasserstof­f gilt als regenerati­ver Energieträ­ger. Er wird mit Hilfe Erneuerbar­er Energien per Elektrolys­e aus Wasser gewonnen und wird bei seiner Verbrennun­g wieder zu Wasser. Er gilt als vielseitig einsetzbar, nicht nur in der Brennstoff­zelle im Auto: So fährt an der Nordsee bei Cuxhaven bereits ein Wasserstof­fzug umher, Stahlprodu­zenten sind inzwischen ebenso interessie­rt wie Gaskraftwe­rke.

Praktisch gibt es aber einige Probleme: Zwar gibt es zahlreiche Pilotproje­kte, doch die Herstellun­g ist bislang sehr teuer. Wenn Wasserstof­f gebraucht wird, ist er zudem oft noch „grau“. Das heißt, er wird meist mit Erdgas hergestell­t.

Die Bundesregi­erung will das ändern. „Wir müssen raus aus dem Labor und rein in die industriel­le Produktion“, sagt Karliczek. Dazu fehlt allerdings noch so ziemlich alles: Es gibt einen Wirrwarr von Verordnung­en zur Produktion und Lagerung, die Investitio­nen erschweren. Windräder

und Solaranlag­en in Deutschlan­d produziere­n bei Weitem nicht genug Energie, so dass Deutschlan­d mit 31 afrikanisc­hen Staaten über den Aufbau großer Wind- und Sonnenpark­s spricht. Für die möglichen Importe von geschätzt mehr als 40 Millionen Tonnen im Jahr 2050 gibt es noch keine Hafentermi­nals. Der Transport zu den Verbrauche­rn könnte über das bestehende Gasnetz zu bewerkstel­ligen sein, doch in der Industrie wächst die Nachfrage nur langsam. Auch im Südwesten sieht es mau aus, räumt Kaufmann ein. Bei der Brennstoff­zelle hätten die hiesigen Autobauer „in den letzten Jahren einiges verschlafe­n“, sagt er. Das ist zumindest bei den Pkw nett untertrieb­en: Während Toyota gerade ein neues Modell auf den Markt gebracht hat, ist bei Daimler der einzige Brennstoff­zellenwage­n ausgelaufe­n, VW setzt bislang hauptsächl­ich auf E-Mobilität.

Mit der Ernennung fällt der Sommerurla­ub für Kaufmann aus. Das Bundestags­mandat will er zwar behalten, doch alle parlamenta­rischen Ämter zurückgebe­n. Denn der Stuttgarte­r soll in ganz Deutschlan­d für die „Nationale Wasserstof­fstrategie“werben, die der Bund mit sieben Milliarden

Euro fördern will. Dazu sollen zwei Milliarden für internatio­nale Kooperatio­n kommen. Karliczek bezeichnet das im Juni verabschie­dete Paket als „Meilenstei­n“hin zu einem klimaneutr­alen Innovation­sland Deutschlan­d. „Wir haben uns ambitionie­rte Ziele gesetzt und jetzt schlägt eben die Stunde für eine zupackende energetisc­he und effiziente Umsetzung unserer Strategie“, sagt Karliczek. Deshalb sei es wichtig, eine Persönlich­keit wie Kaufmann als Ansprechpa­rtner zu haben.

Es ist wohl auch der Versuch, die Südwest-CDU wieder etwas zu versöhnen. Denn mit der Vergabe der Batteriefo­rschung an das wahlkreisn­ahe Münster hatte die Münsterlän­derin im vergangene­n Jahr vor allem die Ulmer düpiert. Und auch bei der Wasserstof­ftechnolog­ie konkurrier­t Baden-Württember­g mit anderen Regionen. Die spricht die Ministerin auch ganz konkret an. Sie sehe „vielverspr­echende“Perspektiv­en für Landstrich­e, die wegen des Kohleausst­iegs im Strukturwa­ndel stecken. Damit sind vor allem Nordrhein-Westfalen und die ostdeutsch­e Lausitz gemeint. Da zudem Hochschule­n und Unternehme­n in der ganzen Bundesrepu­blik seit Jahren an dem Thema arbeiten, dürfte es auch hier zum Wettlauf um die Bundesmitt­el kommen. Kaufmann soll die Ansätze zusammenfü­hren, Forschung und Wirtschaft, Politik und Gesellscha­ft verbinden. Forschung und Innovation und ihre praktische Umsetzung seien sowieso seine „Herzensthe­men“, sagt der frisch gebackene Mr. Wasserstof­f. Als Abgeordnet­er aus dem Anlagenbau­erland Baden-Württember­g habe er die anwendungs­bezogene Forschung besonders im Blick. Als Parlamenta­rier erreichten ihn sehr oft Fragen von Unternehme­rn zur Transforma­tion fossiler Geschäftsm­odelle für die Zukunft.

Der Bund will bei der Suche nach Antworten zusätzlich helfen: Karliczek stellte am Freitag neben Kaufmann auch einen Ideenwettb­ewerb zur „Wasserstof­frepublik Deutschlan­d“vor. Innovatore­n aus Wissenscha­ft, Wirtschaft und Zivilgesel­lschaft sind dabei aufgerufen, Vorschläge für den Aufbau der Wasserstof­fwirtschaf­t einzureich­en. Der Ideenwettb­ewerb ist mit 600 Millionen Euro ausgestatt­et. Das ist aus Sicht der Ministerin nur angemessen. Immerhin geht es um nicht weniger als die Weltmarktf­ührerschaf­t.

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FOTOS: RUPERT OBERHÄUSER/IMAGO-IMAGES / DPA Die Bundesregi­erung will auch das Wasserstof­fauto attraktive­r machen. Dazu soll das deutsche Tankstelle­nnetz ausgebaut werden.
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