Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Die neue Scharfmach­erin des Regimes

Kim Yo-jong, die Schwester des Diktators, zeigt in Nordkorea ihren Machtwille­n

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Von Angela Köhler

TOKIO - Sie sprengt nicht nur mit Worten die Beziehunge­n zu Seoul. Sie beschimpft und verunglimp­ft Südkoreane­r – Politiker, Aktivisten und Emigranten gleicherma­ßen – und steckt quasi hinter jeder Attacke aus Nordkorea. Während es um den eigentlich­en Machthaber Kim Jongun gerade eigentümli­ch still ist, erhebt Kim Yo-jong ihre Stimme immer lauter und schürt Feindschaf­t. Vielleicht ist es ein Zeichen ihrer wachsenden Macht oder einfach nur der Versuch, sich bei den nordkorean­ischen Militärs zu profiliere­n.

Wer ist die Frau, die beinahe mit jedem Tag weiter aus dem Schatten von Diktator Kim Jong-un tritt? Noch unlängst als „Aschenbech­erhalter“belächelt, hat sich die kleine Schwester des Diktators zur Favoritin um dessen Nachfolge gemausert. Ist Kim Yo-jong ambitionie­rt genug, um eines vielleicht nicht so fernen Tages als Vierte in der Dynastie und als erste Frau an die Spitze Nordkoreas aufzusteig­en? In Seouler Regierungs­kreisen werden auf die „Diktatorin“Wetten angenommen, wenn auch zunächst mit einem unguten Gefühl. Es könnte sein, dass die Frau mit dem eisigen Blick bereits jetzt für das Verhältnis zu Südkorea zuständig ist. Dafür spricht, dass sich Kim Yo-jong offenbar berufen fühlt, mit einem gehörigen Schuss Polemik die Stimmung gegen den Nachbarn aufzuheize­n.

Bisher ist Kim Yo-jong noch kein steiler Selbstläuf­er. Ihre Karriere gleicht eher einer Achterbahn. Von ihrem Bruder und Führer ins mächtige Politbüro der kommunisti­schen Partei der Werktätige­n gehoben, fiel sie nach dem gescheiter­ten HanoiGipfe­l von US-Präsident Donald Trump mit Kim Jong-un im Februar 2019 beim Diktator in Ungnade, wurde aus diesem höchsten Machtorgan entfernt und verschwand für Wochen von der Bildfläche.

Es schien, als würde die ehrgeizige Frau trotz ihrer herausrage­nden Herkunft über Nacht wieder ins fast Bodenlose stürzen. Offiziell als „erste Vize-Direktorin“einer nicht näher definierte­n Abteilung für Agitation und Propaganda im Parteizent­ralkomitee durfte sie fortan nur noch die Erfolge des Diktators preisen und seine Termine planen. Am Tiefpunkt hielt sie beim Panmunjom-Treffen zwischen Kim und Trump für ihren Bruder brav den Aschenbech­er.

Aber wer in Nordkorea zur herrschend­en Kim-Sippe gehört, braucht keinen Titel, um mit Respekt behandelt zu werden. Ohne hohe Funktion zwar, aber vom Machthaber persönlich entsandt, erschien Kim Yo-jong bei den Olympische­n Spielen 2018 von Pyeongchan­g in der internatio­nalen Öffentlich­keit. Damals betrat sie als erstes Mitglied des Kim-Clans überhaupt südkoreani­schen Boden und wurde von Präsident Moon Jaein in genau dieser Eigenschaf­t als ebenbürtig­er Staatsgast hofiert.

Seither folgt sie ihrem Bruder quasi auf Schritt und Tritt, wenn es sein muss, auch hoch zu Ross bei dem legendären Schimmelau­sritt von Kim Jong-un auf den mystischen Berg Paektu. Bei den führenden Kims ist ohnehin fast alles Mystik, selbst Alter und Ort der Geburt. Nach einer Sanktionsl­iste des US-Finanzmini­steriums soll Kim Yo-jong am 26. September 1989 zur Welt gekommen sein, wäre damit jetzt 30 Jahre alt. Andere Quellen in Südkorea gehen davon aus, dass sie bereits 1987 geboren wurde, eine ähnliche Unstimmigk­eit wie bei ihrem Bruder, dessen Alter auch nicht eindeutig verbrieft ist.

Als einzige Tochter des früheren Machthaber­s Kim Jong-il ist sie das dritte Kind des 2011 an einem Herzinfark­t gestorbene­n Diktators. Ihre Mutter ist die aus Japan stammende koreanisch-stämmige Tänzerin Ko Yong-hi, die auch Diktator Kim Jongun und den politisch unbedeuten­den älteren Bruder Kim Jong-chul geboren hat, bevor sie 2004 in Paris mit einem schweren Krebsleide­n aus dem Leben schied.

Im mystischen Dunkel verschwind­et auch die Ausbildung von Kim Yo-jong. Verlässlic­he Quellen sprechen davon, dass sie parallel oder auch gemeinsam mit Kim Jongun, in jedem Fall jedoch unter falschem Namen, in der Schweiz eine Internatss­chule besucht hat. Insider behaupten, dort sei eine sehr enge Bindung entstanden. „Beide haben viel miteinande­r erlebt, was sie heute noch als engste Vertraute zusammensc­hmiedet“, sagt Bong Youngshik von der Yonei-Universitä­t in Seoul.

Über ihr Privatlebe­n ist sehr wenig bekannt, nur dass sie seit 2015 verheirate­t sein soll und im selben Jahr ein uneheliche­s Kind zur Welt brachte. Der Vater ist nicht ihr Ehemann, sondern soll ein Geheimdien­stoffizier sein.

Richtig ins Rampenlich­t schaffte es Kim Yo-jong als ihr Bruder verschwand, als die Welt rätselte, ob der Diktator überhaupt noch lebt, ob er herzkrank ist und vielleicht gar nicht mehr in der Lage war, das Regime zu führen. Plötzlich war die Schwester eine Alternativ­e. Nicht nur äußerlich mit ihrer schlanken Gestalt und der auffallend­en Blässe ein Gegensatz zu der übergewich­tigen, tapsig agierenden Figur des Bruders. Während beim Führer fast alles – von tosender Begeisteru­ng wie auch der tränenreic­he Volksliebe – übertriebe­n inszeniert wirkt, weiß die neue Favoritin mit seriösen Bildern und eindeutige­n Worten die Massen zu beeinfluss­en.

Damit hat Kim Yo-jong durchaus das Zeug als Vierte in der Herrscherd­ynastie zu Nordkoreas erster Diktatorin aufzusteig­en. Es gibt aber mindestens zwei Gründe, die dagegen sprechen. Zunächst ihre relative Jugend. Und sie ist eine Frau, was für die macho-militärisc­he Gesellscha­ft Nordkoreas eine Zumutung wäre. Aber wenn das Regime durch seine teure Atom- und Raketenauf­rüstung, die globalen Sanktionen und auch die Corona-Pandemie in reale Schwierigk­eiten gerät, könnte eine junge Führerin durchaus die ideale Option im internen Rollenspie­l sein.

Allein jedoch mit ihrer Herkunft kann Kim Yo-jong den großen Sprung kaum schaffen. Sie braucht die Parteikade­r und vor allem die Generäle in ihrem Rücken. Denen dient sie sich gerade durch markige Sprüche und spektakulä­re Taten an. Lee Seong-hyon von der Seouler Denkfabrik Seijong-Institut schätzt ein, dass Kim Yo-jong schon jetzt einen inoffiziel­len Status als Nummer zwei in der Hierarchie genießt. Dennoch warnt der Experte vor voreiligen Schlüssen. „Wer tatsächlic­h der nächste Anführer Nordkoreas wird, ist heute noch weitgehend intranspar­ent. Nirgendwo auf der Welt kann sich das politische Schicksal so schnell wieder wenden.“

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FOTO: PYEONGYANG PRESS CORPS/IMAGO IMAGES Die neuerliche Eskalation weckt Spekulatio­nen, ob Kim Yo-jong (li.) ihrem Bruder Kim Jong-un (rechts mit dem südkoreani­schen Präsidente­n Moon Jae-in) an die Spitze Nordkoreas folgt.

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