Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Mord aus Fürsorge

60-Jähriger erstickt seine kranke Frau – Sieben Jahre Haft

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NÜRNBERG (dpa) - Juristisch betrachtet war es Heimtücke. Doch selbst der Vorsitzend­e der Schwurgeri­chtskammer am Landgerich­t Nürnberg-Fürth schien ein wenig Mitleid mit dem kranken Mann zu haben, den er gerade als Mörder zu sieben Jahren Haft verurteilt hatte. „Das mag Ihnen jetzt wie Hohn und Spott vorkommen“, sagte er an den Angeklagte­n gewandt, als er den Heimtücke-Paragrafen erklärt. Der 60-Jährige hatte im Januar 2019 seine schwerkran­ke Ehefrau im Bett mit einem Kopfkissen erstickt. Anschließe­nd fackelte er die gemeinsame Wohnung ab und versuchte so, seiner Frau in den Tod zu folgen. Es sollte nicht gelingen. „Wahrschein­lich ist für ihn der größte Schaden, dass er es überlebt hat“, folgerte der Richter.

Der Prozess in Nürnberg, der sich über viele Wochen und zwölf Verhandlun­gstage erstreckte, warf ein Schlaglich­t auf die Abgründe des Lebens. Ärzte und Polizisten, Freunde, Geschäftsp­artner, Nachbarn und Kollegen wurden als Zeugen gehört, vier Gutachter vernommen. Sie alle zeigten auf, wie eine glückliche Ehe und ein erfolgreic­hes Berufslebe­n durch Krankheit und Finanzsorg­en beeinfluss­t werden, wie nahe Liebe und Fürsorge bei Tod und Verbrechen liegen können. Das spätere Opfer litt seit Jahren an einer Krebserkra­nkung und weiteren körperlich­en Leiden. Bis auf 40 Kilogramm war die Frau phasenweis­e abgemagert, das Leben schien keinen Sinn mehr zu machen. Gedanken an Selbsttötu­ng kamen auf, auch an assistiert­es Sterben in der Schweiz. Als die Krebserkra­nkung erneut aufzuflamm­en drohte, wurden die Gedanken konkreter.

Doch eine „nachhaltig­e und ernstliche“Absicht zu sterben, war bei der Frau für das Gericht nicht nachweisba­r. „Es war keine Tötung auf Verlangen im Sinne des Strafgeset­zbuches“, sagte der Vorsitzend­e Richter. Im Gegenteil: Die letzten Gespräche mit der besten Freundin, der letzte Besuch bei der Ärztin – alles deutete daraufhin, dass sie zumindest den Befund einer Computerto­mografie noch abwarten wollte. Denn: Statt der erneuten Krebserkra­nkung hatte medizinisc­h zum damaligen Zeitpunkt auch eine völlig andere, vergleichs­weise harmlose Erklärung zur Debatte gestanden.

Der Angeklagte hatte zur Tatzeit an einer mindestens mittelschw­eren Depression gelitten, wie Gutachter herausfand­en. Er habe nicht mehr an einen guten Ausgang glauben können, eine positive Diagnose für seine Frau habe in seinem Denken gar nicht mehr als Möglichkei­t existiert. Die Tötung seiner Frau und seiner selbst schien ihm der einzige Ausweg.

Mit sieben Jahren Haft für einen Mord blieb das Landgerich­t in seiner Strafzumes­sung unterhalb des Durchschni­tts und weit unterhalb der Forderung der Staatsanwa­ltschaft, die lebenslang­e Haft gefordert hatte. Das Gericht erkannte vor allem an, dass der Angeklagte durch sein mehrfach wiederholt­es Geständnis eine Verurteilu­ng wegen Mordes überhaupt erst möglich gemacht hat. Die Verteidige­r, die drei Jahre Haft für ausreichen­d angesehen hatten, wollen die Möglichkei­t einer Revision prüfen.

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