Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Wenn Gewalt schick wird
Die Randale von Stuttgart richtete sich gegen diesen Staat und sein liberales Demokratiemodell. Um das zu erhalten, reichen aber weder härtere Strafen noch mehr Polizisten. Denn die Ursachen sind nach heutigem Stand vielfältig.
Auseinandersetzungen zwischen Kriminellen, zwischen Betrunkenen, zwischen politisch Bewegten und der Polizei sind nicht neu. Neu ist die Heterogenität der Randalierer und die Heftigkeit der Attacken. Es scheint eine explosive Mischung verschiedener Ursachen zu sein, die zu den Krawallen führte. Besonders besorgniserregend: Widerstand gegen den Staat wird schick. Ob Verschwörungstheoretiker, Reichsbürger, Linksextreme, Partygänger – wer sich widersetzt, wird gefeiert. Informationen, ob falsch oder richtig, verbreiten sich im Netz schnell. Jeder findet dort die (Schein-)Argumente, die es für sein Weltbild braucht.
Migranten sind unter den polizeibekannten Partygängern überrepräsentiert. Zum einen, weil überdurchschnittlich viele junge Männer Wurzeln im Ausland haben – und junge Männer jeder Herkunft mehr Straftaten begehen als andere Bevölkerungsgruppen. Außerdem haben Konservative zu lange das Offensichtliche abgestritten: dass Deutschland ein Einwanderungsland ist, mit allen Vor- und Nachteilen. Linke haben dagegen die Einwanderung undifferenziert gefeiert und Probleme ignoriert. Die Ignoranz von rechts und links erklärt, warum Integration nicht ernst genug genommen wurde, warum Migranten schlechtere Perspektiven in Bildung und Job haben, einige von ihnen diesen Staat ablehnen.
Zum Glück ist das eine Minderheit. Polizisten berichteten am Montag in Stuttgart von großer Solidarität, Bürger kamen auf die Wachen, um sich zu bedanken. Diese Mehrheit der Besonnenen gilt es zu stärken. Dazu gehört, der Minderheit entschlossen entgegenzutreten. Dazu gehört aber ebenso, Probleme entschlossen anzugehen: veränderte Informationsgewohnheiten, Unsicherheit in einer sich wandelnden Welt, Versäumnisse bei der Integration.