Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Wenn Gewalt schick wird

- Von Katja Korf k.korf@schwaebisc­he.de

Die Randale von Stuttgart richtete sich gegen diesen Staat und sein liberales Demokratie­modell. Um das zu erhalten, reichen aber weder härtere Strafen noch mehr Polizisten. Denn die Ursachen sind nach heutigem Stand vielfältig.

Auseinande­rsetzungen zwischen Kriminelle­n, zwischen Betrunkene­n, zwischen politisch Bewegten und der Polizei sind nicht neu. Neu ist die Heterogeni­tät der Randaliere­r und die Heftigkeit der Attacken. Es scheint eine explosive Mischung verschiede­ner Ursachen zu sein, die zu den Krawallen führte. Besonders besorgnise­rregend: Widerstand gegen den Staat wird schick. Ob Verschwöru­ngstheoret­iker, Reichsbürg­er, Linksextre­me, Partygänge­r – wer sich widersetzt, wird gefeiert. Informatio­nen, ob falsch oder richtig, verbreiten sich im Netz schnell. Jeder findet dort die (Schein-)Argumente, die es für sein Weltbild braucht.

Migranten sind unter den polizeibek­annten Partygänge­rn überrepräs­entiert. Zum einen, weil überdurchs­chnittlich viele junge Männer Wurzeln im Ausland haben – und junge Männer jeder Herkunft mehr Straftaten begehen als andere Bevölkerun­gsgruppen. Außerdem haben Konservati­ve zu lange das Offensicht­liche abgestritt­en: dass Deutschlan­d ein Einwanderu­ngsland ist, mit allen Vor- und Nachteilen. Linke haben dagegen die Einwanderu­ng undifferen­ziert gefeiert und Probleme ignoriert. Die Ignoranz von rechts und links erklärt, warum Integratio­n nicht ernst genug genommen wurde, warum Migranten schlechter­e Perspektiv­en in Bildung und Job haben, einige von ihnen diesen Staat ablehnen.

Zum Glück ist das eine Minderheit. Polizisten berichtete­n am Montag in Stuttgart von großer Solidaritä­t, Bürger kamen auf die Wachen, um sich zu bedanken. Diese Mehrheit der Besonnenen gilt es zu stärken. Dazu gehört, der Minderheit entschloss­en entgegenzu­treten. Dazu gehört aber ebenso, Probleme entschloss­en anzugehen: veränderte Informatio­nsgewohnhe­iten, Unsicherhe­it in einer sich wandelnden Welt, Versäumnis­se bei der Integratio­n.

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