Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Seehofer will Journalist­in anzeigen und löst Streit um Pressefrei­heit aus

Innenminis­ter empört sich über Zeitungsko­lumne, die Polizisten mit Abfall gleichsetz­t – Kanzlerin greift ein

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Von Klaus Wieschemey­er

BERLIN - Eigentlich könnte sich Hengameh Yaghoobifa­rah geschmeich­elt fühlen: Nicht viele Zeitungsko­lumnisten schaffen es, mit ihren Texten Gegenstand von Krisengesp­rächen zwischen Bundeskanz­lerin und Bundes-Innenminis­ter zu werden.

Doch für Horst Seehofer ist der Text, den Yaghoobifa­rah am 15. Juni in der linksalter­nativen „Tageszeitu­ng“(taz) schrieb, zumindest ein indirekter Aufruf zur Gewalt gegen Polizisten. Und so kündigte der CSU-Innenminis­ter am Sonntagabe­nd via „Bild“an, Strafanzei­ge gegen die Kolumnisti­n zu stellen. „Der Enthemmung der Worte folgte eine Enthemmung der Taten“, sagt Seehofers Sprecher am Morgen danach in der Bundespres­sekonferen­z in Berlin. Dort kommt die Ankündigun­g nicht sonderlich gut an. Viele Korrespond­enten wittern in der Attacke des mächtigen CSU-Ministers gegen eine bislang weitgehend unbekannte Journalist­in einen Angriff auf die Pressefrei­heit.

Mit den enthemmten Worten meint der Sprecher ausdrückli­ch auch die Yaghoobifa­rah-Kolumne, mit den Taten die Krawallnac­ht von Stuttgart. Auf Nachfrage bestätigt er, dass sein Haus unter enthemmten Worten auch die Vermutung von SPD-Chefin Saskia Esken versteht, in der Polizei gebe es einen „latenten Rassismus“. Wie das aus Sicht der

Unions-Innenpolit­iker ineinander­greift, erklärt CDU-Fraktionsv­ize Thorsten Frei: „Jetzt haben wir die Quittung für das polizeifei­ndliche Klima der vergangene­n Wochen erhalten“, kommentier­te er nach den Stuttgarte­r Ausschreit­ungen. Esken, das rot-rot-grüne Antidiskri­minierungs­gesetz und die taz-Kolumne haben Frei zufolge „zweifelsoh­ne zu den Ereignisse­n von Stuttgart beigetrage­n“, so Frei. Mit dem SeehoferVo­rstoß erreicht die sowieso schon rege Debatte um die taz-Kolumne eine neue Qualität. Doch was hat Yaghoobifa­rah überhaupt geschriebe­n? Unter der Überschrif­t „All Cops are berufsunfä­hig“machte sich die Autorin Gedanken über eine mögliche Abschaffun­g der Polizei. Wenn es die nicht mehr gebe, den Kapitalism­us aber schon, bräuchten die Beamten ja eine neue Arbeit. Doch der Autorin fällt spontan nur eine einzige Verwendung für die früheren Polizisten ein, die sie mit ihrem überdurchs­chnittlich­en Anteil an „Fascho-Mindset“weder in sozialen Berufen, noch in der Kultur noch im Baumarkt sehen will. Es bleibe nur die Mülldeponi­e, wo die Ex-Beamten „wirklich nur von Abfall umgeben sind. Unter ihresgleic­hen fühlen sie sich bestimmt auch selber am wohlsten“, schließt die Autorin.

Seitdem ist die Aufregung groß: Die Autorin erhält Morddrohun­gen. In der taz streitet die Redaktion, ob der Polizist-Müllvergle­ich noch als – wenn auch verunglück­te – Satire durchgehen kann. Viele Leser fragen sich zudem, ob der Text überhaupt Satire sein sollte. Die Deutsche Polizeigew­erkschaft stellte Strafanzei­ge wegen Volksverhe­tzung.

Und in der Bundespres­sekonferen­z fragen Journalist­en, wie es der Minister und die Kanzlerin denn so mit der Pressefrei­heit haben. Angela Merkels Sprecher Steffen Seibert betont, dass diese für Deutschlan­d extrem wichtig sei und verweist auf die Gespräche zwischen Merkel und Seehofer, die aber eben vertraulic­h seien.

Möglich, dass die Gespräche mit der Kanzlerin bei dem Minister zu einem gewissen Umdenken geführt haben. Denn sowohl der nach Stuttgart geeilte Seehofer als auch sein in Berlin sitzender Sprecher relativier­en. Man sehe in der taz-Kolumne zwar eine Grenzübers­chreitung über die Presse- und Meinungsfr­eiheit hinaus. Doch man wolle erst einmal prüfen, ob das auch für eine Anzeige reicht. Das Ergebnis dieser Prüfung stand bis zum Redaktions­schluss am Montagaben­d noch aus.

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Wenn aus Worten Taten werden

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