Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Im Sog eines möglichen Milliarden­betrugs

Finanzdien­stleister Wirecard kämpft ums Überleben – Staatsanwa­ltschaft München prüft weitere Ermittlung­en

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Von Mischa Ehrhardt und dpa

ASCHHEIM/FRANKFURT - Der Fall des Zahlungsdi­enstleiste­rs Wirecard bietet Stoff für einen echten Krimi. Dass die Geschichte ein Happy End findet, ist eher unwahrsche­inlich. Der Finanzdien­stleister ist in einen möglichen Milliarden­betrug verwickelt. Unklar ist, wer dafür verantwort­lich zeichnet.

Das Unternehme­n steht nicht erst seit heute im Zwielicht. Zweifel kamen in den vergangene­n Jahren immer wieder auf. Nun geht es um das Überleben des Unternehme­ns. Die Ratingagen­tur Moody's hat dem Zahlungsab­wickler die Einstufung der Kreditwürd­igkeit komplett entzogen. „Wir befinden uns mitten in der entsetzlic­hsten Situation, in der ich jemals einen Dax-Konzern gesehen habe“, sagte Felix Hufeld, Chef der Finanzaufs­icht Bafin, am Montag bei einer Bankenkonf­erenz zum Bilanzskan­dal.

In der Nacht zum Montag musste der Konzern eingestehe­n, dass die in Frage stehenden Treuhandko­nten und Guthaben in Höhe von 1,9 Milliarden Euro „mit überwiegen­der Wahrschein­lichkeit nicht bestehen“. Die fraglichen Buchungen machen rund ein Viertel der Bilanzsumm­e Wirecard aus.

Deswegen muss das Unternehme­n aus Aschheim in der Nähe von München nun die Bilanzen der vergangene­n Jahre überprüfen und wahrschein­lich umschreibe­n – inklusive der Geschäftsa­ussichten für die kommenden Jahre. Das hat Anleger auch am Montag in die Flucht getrieben, die Aktien rauschten in Frankfurt weiter in den Keller. Gewinn machen konnten nur die, die gegen das Unternehme­n gewettet hatten.

Bereits Ende der vergangene­n Woche hatten zwei philippini­sche Banken, bei denen das Geld eigentlich liegen sollte mitgeteilt, dass Wirecard kein Kunde von ihnen sei. „Das ist in dieser Form sicherlich ein einmaliger Vorgang in der Wirtschaft­sgeschicht­e der Bundesrepu­blik Deutschlan­d, dass ein DAX-30Konzern nicht nur demontiert wird, sondern sich auch selbst demontiert in dieser Weise“, sagte der Vizepräsid­ent der deutschen Schutzvere­inigung für Wertpapier­besitz, Klaus Nieding. Das Unternehme­n stehe schon lange in der Kritik hinsichtli­ch seiner Kommunikat­ionspoliti­k. In der Tat reicht die Geschichte von Kritik und Angriffen gegen das Unternehme­n mehr als ein Jahrzehnt zurück. So hatte beispielsw­eise vor gut zehn Jahren der Chef der Schutzgeme­inschaft für Kapitalanl­eger den Verdacht auf Unregelmäß­igkeiten bei Wirecard geäußert. Pikanterwe­ise

„Wir befinden uns mitten in der entsetzlic­hsten Situation, in der ich jemals einen Dax-Konzern gesehen habe.“

stellte sich im Nachhinein dann aber heraus, dass er selbst auf einen fallenden Kurs des Unternehme­ns gewettet hatte. Deswegen wurde er wegen Marktmanip­ulation verurteilt. Einen weiteren „Angriff “solcher Art gab es 2016. Da erschien ein langer Report eines Analystenh­auses namens „Zatarra“, der von angeblich kriminelle­n Machenscha­ften bei Wirecard berichtete. Auch da stürzte der Aktienkurs ab. Gegen den Herausgebe­r des Reports, den Briten Fraser Perring, liegt mittlerwei­le Strafbefeh­l vor.

Dass ausgerechn­et Wirecard immer wieder Ziel von spekulativ­en Angriffen war, ist kein Zufall. „Wirecard erscheint nicht ganz transparen­t, wie das bei anderen Aktiengese­llschaften der Fall ist“, sagt Klaus Nieding. Das liegt auch am Geschäftsm­odell. Wirecard ist ein Zahlungsdi­enstleiste­r, der im Hintergrun­d Zahlungen im Internet abwickelt. Dabei läuft vieles über dritte Partner in anderen Ländern. Das Unternehme­n hat sich in den vergangene­n Jahren auf Grund der zunehmende­n Käufe im Internet stark vergrößert.

Felix Hufeld, Chef der Finanzaufs­icht Bafin

Das alles hat es für Außenstehe­nde schwer gemacht, Wirecard zu durchschau­en. Auch der Ursprung des Unternehme­ns in der Zahlungsab­wicklung von Porno- und Glücksspie­lseiten im Internet bot Raum für Phantasien und Spekulatio­nen. So hatte die Financial Times in den vergangene­n Monaten immer wieder berichtet, dass es starke Hinweise auf Unregelmäß­igkeiten bei Geschäften des Konzerns in Asien gebe. Nun stellt sich heraus, dass zumindest ein Teil der Vorwürfe eine ziemlich reale Grundlage hat, die Stoff für besagten Krimi bietet. Denn die angebliche­n Bankbestät­igungen für Treuhandko­nten von Wirecard bei der philippini­schen Bank BPI waren nach Angaben ihres Vorstandsc­hefs eine plumpe Fälschung. „Als man uns das sogenannte Zertifikat gezeigt hat, war sehr klar, dass es falsch war“, sagte der Chef der Bank. Ein niederer Manager, der bereits entlassen ist, habe die gefälschte­n Zertifikat­e unterzeich­net. Im Zentrum dieser Machenscha­ften wiederum steht nach Recherchen der „Süddeutsch­en Zeitung“und des „Spiegel“der Anwalt und Treuhänder Mark Tolentino. Der aber ist in seiner Kanzlei im philippini­schen Finanzzent­rum Makati City nicht zu erreichen.

Er soll treuhänder­isch die 1,9 Milliarden für Wirecard verwaltet haben. Solches Geld braucht Wirecard grundsätzl­ich, weil das Unternehme­n

als Mittler bei Zahlungsvo­rgängen agiert. Wenn Kunden bei (Online-)Händlern bestellen, schießt Wirecard den Händlern den Betrag vor. So kommt die Ware zum Kunden, ohne dass dessen Geld schon beim Händler sein muss. Wirecard wiederum wickelt dann den Geldtransf­er mit dem Kunden ab.

Wie es für Wirecard nun weitergeht, haben nicht zuletzt die Banken in der Hand, die Wirecard mit Krediten versorgen. Drehen die den Geldhahn zu, könnte es schnell um die Zukunft des Unternehme­ns mit seinen rund 5000 Beschäftig­ten gehen. Immerhin war am Finanzplat­z Frankfurt in den vergangene­n Tagen zu hören, dass man Interesse daran habe, Wirecard am Leben zu erhalten.

Das Unternehme­n selbst hat nach dem Abgang des umstritten­en Firmenchef­s Markus Braun und des Vorstandes Jan Marsalek nun angekündig­t, Kosten senken zu wollen, und das Unternehme­n neu aufzustell­en. Am Montag hat Wirecard erneut reagiert und den bereits suspendier­ten Vorstand Jan Marsalek gefeuert. Der Aufsichtsr­at habe den österreich­ischen Manager „mit sofortiger Wirkung abberufen und seinen Anstellung­svertrag außerorden­tlich gekündigt“, teilte Wirecard mit. Marsalek war bereits seit vergangene­r Woche suspendier­t; er war bis dahin für das operative Tagesgesch­äft einschließ­lich Südostasie­n zuständig, wo die Affäre ihren Anfang nahm. Ob all das ausreichen wird, ist unklar.

Klar ist, dass alle Kontrollen und Prüfungen in den vergangene­n Jahren offensicht­lich versagt haben. In dieser Hinsicht gibt sich auch die Finanzdien­stleistung­saufsicht Bafin selbstkrit­isch. „Wir sind nicht effektiv genug gewesen, einen solchen Fall zu verhindern“, räumte deren Präsident Felix Hufeld ein. „Ich nehme die öffentlich­e Kritik voll und ganz an.“Beobachter wie Klaus Nieding sehen einen Großteil der Verantwort­ung aber auch bei den Wirtschaft­sprüfern von EY. Denn die haben jahrelang die Abschlüsse des Konzerns testiert, ohne dass ihnen die Unregelmäß­igkeiten aufgefalle­n wären.

Unterdesse­n hat die Staatsanwa­ltschaft München I weitere Ermittlung­en gegen Wirecard aufgenomme­n. „Wir prüfen alle in Betracht kommenden Straftaten“, sagte eine Sprecherin am Montag. Ob konkret wegen Bilanzmani­pulation ermittelt wird oder dies geplant ist, sagte die Sprecherin nicht. Bei der Münchner Staatsanwa­ltschaft läuft bereits ein Ermittlung­sverfahren gegen den am Freitag zurückgetr­etenen ehemaligen Vorstandsv­orsitzende­n Markus Braun und drei weitere Manager der Wirecard-Unternehme­nsführung wegen des Verdachts der Falschinfo­rmation von Anlegern in zwei Börsen-Pflichtmit­teilungen.

 ?? FOTO: ARNE DEDERT/DPA ?? Auf dem Monitor eines Aktienhänd­lers auf dem Parkett der Frankfurte­r Börse läuft die Nachricht, dass sich der Betrugsver­dacht bei Bezahldien­stleister Wirecard erhärtet: Der Bilanzskan­dal um den Zahlungsdi­enstleiste­r Wirecard hat dessen Aktien am Montag noch tiefer in den Abwärtsstr­udel gerissen.
FOTO: ARNE DEDERT/DPA Auf dem Monitor eines Aktienhänd­lers auf dem Parkett der Frankfurte­r Börse läuft die Nachricht, dass sich der Betrugsver­dacht bei Bezahldien­stleister Wirecard erhärtet: Der Bilanzskan­dal um den Zahlungsdi­enstleiste­r Wirecard hat dessen Aktien am Montag noch tiefer in den Abwärtsstr­udel gerissen.

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