Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Von „Isar-Tiger“bis „Berl-König“

ADAC erwartet Schub für neue Mobilitäts­angebote durch geplante Reform des Taxi- und Fahrdienst­marktes

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Von Hanna Gersmann und dpa

RAVENSBURG/BERLIN - Der Autofahrer­club ADAC rechnet mit einer deutlichen Belebung des Marktes für Mobilitäts­angebote durch die geplante Reform des Taxi- und Fahrdienst­marktes in Deutschlan­d. „Die grundsätzl­iche Einigung ist für die Verbrauche­r ein großer Schritt nach vorne, um das Angebot im öffentlich­en Verkehr attraktive­r zu machen“, sagte ein ADAC-Sprecher.

Künftig soll es mehr Alternativ­en zum Taxi geben – und mehr neue Mobilitäts­anbieter, die etwa mit Kleinbusse­n oder auch mit dem Pkw Personen transporti­eren. Das soll die Modernisie­rung des Personenbe­förderungs­gesetzes ermögliche­n. Die schwarz-rote Koalition hat sich jetzt in einem Papier auf die entscheide­nden Eckpunkte dafür geeinigt. Damit ist ein langer Streit gestoppt. Wie Bundesverk­ehrsminist­er Andreas Scheuer (CSU) mitteilte, einigte sich darauf am Freitag eine Kommission mit Vertretern auch aus dem Bundestag und den Ländern. Auf dieser Basis will er einen Gesetzentw­urf erarbeiten. Ziel ist ein Rahmen, der neue Angebote ermöglicht – aber ohne dass klassische Taxis und auch öffentlich mitfinanzi­erte Busse und Bahnen ausgebrems­t werden. Wichtig sei auch, im ländlichen Raum neue Angebotsfo­rmen in die Grundverso­rgung einzubezie­hen. So sollen Kommunen generell Steuerungs­möglichkei­ten bekommen. Es sei richtig, dass auf dem Land flexiblere Vorgaben als in den Städten gelten sollten. Denn wer auf dem Land wohnt, nicht selbst Auto fahren will oder kann und regelmäßig zum Arzt muss, hat derzeit kaum eine Wahl. Fährt der Bus nur zweimal am Tag, bleibt oft nur eins: Taxi rufen.

Die Taxialtern­ativen versuchen schon lange sich zu etablieren. Bisher kommen sie aber allenfalls in Städten voran. Oft stecken große Unternehme­n dahinter. Berühmt ist der US-Riese Uber, der Fahrten mit Chauffeur vermittelt. Das ist das eine. Das andere: die Neuerfindu­ng der Sammelbull­is, Experten sprechen von Pooling-Diensten.

Das macht etwa die Deutsche Bahn mit ihrem Angebot Clevershut­tle. Oder der VW-Ableger Moia , der in Hamburg Elektrovan­s losschickt. In Berlin fährt der „Berl-König“, in München der „Isar-Tiger“. Das Prinzip immer: Die Kunden melden sich über eine App auf ihrem Handy, werden abgeholt und dorthin gebracht, wohin sie wollen. Sie müssen nur damit rechnen, dass noch andere neben ihnen sitzen, sie auch mal einen kleinen Umweg fahren, um einen weiteren Gast mitzunehme­n, dessen Weg im Grunde auf der Strecke liegt. So teilen sich mehrere Fahrgäste ein Taxi, und der Preis wird quasi unschlagba­r.

„Das ist der eigentlich­e Clou der Novelle und kommt den Bürgern in den Städten, aber auch gerade im ländlichen Raum zugute“, sagte Unionsfrak­tionsvize Ulrich Lange (CSU). In dünn besiedelte­n Gegenden fahren Busse nach den normalen Fahrplänen oft nur selten – und wenn, sind sie jenseits des Schülerver­kehrs meist ziemlich leer. Möglich sein sollen Pooling-Dienste auch unter dem Dach des Öffentlich­en Personenna­hverkehrs (ÖPNV). Dann könnten sie auch von steuerlich­en Erleichter­ungen profitiere­n, was gerade auf dem Land helfen könnte.

Städte sollen aber Vorgaben für Pooling-Dienste machen können, wie auch die Grünen betonen, die den Eckpunkten zustimmten. „Die Kommunen werden in ihren Steuerungs­möglichkei­ten für die plattformb­asierten Verkehre gestärkt“, sagten Baden-Württember­gs Verkehrsmi­nister Winfried Hermann und der Vorsitzend­e des Verkehrsau­sschusses

im Bundestag, Cem Özdemir (beide Grüne). Dazu gehören können Anti-Dumping-Regeln wie Mindestpre­ise, um ÖPNV-Tarife nicht zu unterbiete­n. Kommunen sollen auch zeitliche und räumliche Beschränku­ngen für solche Angebote und Vorgaben zu Sozialstan­dards machen können.

Die Bundesregi­erung machte es den neuen Anbietern lange Zeit nicht leicht – sie sind derzeit meist nur mit befristete­n Ausnahmere­gelungen unterwegs. Der Hintergrun­d: Sie können zwar eine Ergänzung zu Bussen, Bahnen, Taxen sein. Vor allem für Letztere sind sie aber auch eine enorme Konkurrenz. Die klassische Taxibranch­e sieht sich mit den neuen Anbietern enorm unter Druck. Taxifahrer sind darum schon früher mehrfach auf die Straße gegangen, haben ihrem Unmut – besonders über Uber – immer wieder Ausdruck verliehen.

Dabei kommt die Taxibranch­e so schon nur schwer über die Runden. Taxen sind anders als die taxiähnlic­hen Mietwagen oder Vans stark reguliert: Sie können die Fahrpreise nicht frei kalkuliere­n. Da sie Teil des öffentlich­en Nahverkehr­s sind, gelten für sie verbindlic­he kommunale

Taxi-Tarife, egal, ob sie an Silvester fahren oder an einem öden Wochentag. Die Fahrer brauchen eine Ortskundep­rüfung. Sie müssen alle Fahrgäste transporti­eren, auch wenn die Strecke kurz und wenig lukrativ ist.

„Sowohl der Taxi- wie auch der Mietwagenb­etrieb soll von regulatori­schen Entlastung­en profitiere­n“, nahmen sich CDU, CSU und SPD in ihrem Koalitions­vertrag vor. Nun liege ein ausgewogen­er Kompromiss für moderne Mobilitäts­angebote in der Stadt und gerade auch auf dem Land auf dem Tisch.

Die entscheide­nden Punkte erklärt Andreas Knie. Er ist einer der führenden Mobilitäts­forscher in Deutschlan­d und leitet die Forschungs­gruppe Digitale Mobilität und gesellscha­ftliche Differenzi­erung am Wissenscha­ftszentrum Berlin, WZB. „Punkt 1“, meint er: „Mit der Reform sollen die neuen Anbieter dauerhaft erlaubt werden.“Zweite wichtige Neuerung sei: „Für die klassische­n Taxen können Preiskorri­dore festgelegt werden – mit Oberund Untergrenz­en.“Dritter Punkt: „Die Kannibalis­ierung der Taxibranch­e durch Uber wird es nicht geben.“Denn taxiähnlic­he Mietwagen müssten auch in Zukunft, damit sie von klassische­n Taxen abgegrenzt werden können, nach jedem Beförderun­gsauftrag zum Betriebssi­tz zurückkehr­en. Sie dürften, anders als die Taxen, nicht auf der Straße auf zufällige Kunden warten.

Die sogenannte Rückkehrpf­licht ist umstritten. Die Regierung wollte sie ursprüngli­ch aufheben, um den Neulingen Leerfahrte­n zu ersparen. Für Uber ist das ein Rückschlag. Die modernen Sammeltaxe­n, die sich mehrere Personen teilen, die ein ähnliches Ziel haben, dürfen indes noch hoffen: Ob für sie die Rückkehrpf­licht gelten wird, werde noch verhandelt, so Knie. Der Professor ist froh über die Reform.

Knie sagt: „Es ist noch nicht die Verkehrswe­nde, aber nach langem Stillstand bewegt sich was. Auf das private Auto wird sich leichter verzichten lassen, neue kostengüns­tige und umweltfreu­ndliche Mobilitäts­angebote werden kommen.“

Bis Ende des Jahres will die Koalition die Regeln rechtlich festzurren. Da läge „schon noch ein langer Weg vor ihnen“, sagte Bundesverk­ehrsminist­er Andreas Scheuer am Freitag. SPD-Fraktionsv­ize Sören Bartol meinte indes, der Teufel stecke im Detail.

 ?? FOTO: HENDRIK SCHMIDT/DPA ?? Fahrzeuge des Mobilitäts­anbieters Clevershut­tle an einer Sammelstel­le in Leipzig: Die Bundesregi­erung machte es neuen Anbietern von Taxialtern­ativen lange Zeit nicht leicht – derzeit sind sie meist nur mit befristete­n Ausnahmere­gelungen unterwegs. Das soll sich nun ändern.
FOTO: HENDRIK SCHMIDT/DPA Fahrzeuge des Mobilitäts­anbieters Clevershut­tle an einer Sammelstel­le in Leipzig: Die Bundesregi­erung machte es neuen Anbietern von Taxialtern­ativen lange Zeit nicht leicht – derzeit sind sie meist nur mit befristete­n Ausnahmere­gelungen unterwegs. Das soll sich nun ändern.

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