Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Zurück auf März
Behörden ordnen Lockdown für die Kreise Gütersloh und Warendorf an – Menschen sind verunsichert
Von Stella Venohr
GÜTERSLOH (dpa) - Meterlange Schlangen. Kinder, junge Frauen und ältere Männer stehen in der prallen Sonne. Sie alle sind am Dienstag zum Carl-Miele-Berufskolleg in Gütersloh gekommen, um sich auf das Coronavirus testen zu lassen. „Der Lockdown ist der Super-GAU“, sagt Thorsten Reinert. Der 50-Jährige steht mit seinem neunjährigen Sohn in einer Schlange. „Wir fahren am Freitag an die Ostsee in den Urlaub und wollen da einen negativen Test in der Hand haben, falls wir sonst nicht hingelassen werden.“Er habe den Urlaub vor zwei Wochen gebucht, als die Kinder wieder in die Schule gehen durften. Da sei er noch davon ausgegangen, dass der Urlaub kein Problem werden würde.
Gudrun Kreuter wartet bereits seit rund zwei Stunden auf den Test. „Herr Laschet hat dazu aufgefordert, sich testen zu lassen, deshalb mache ich das. Außerdem gehöre ich zur Risikogruppe“, so die Gütersloherin. Sie habe auch Angst um ihr Enkelkind. Dies besuche sie zweimal in der Woche.
Organisiert werden die Tests von der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL). „Wir hatten mit 400 bis 600 Leuten gerechnet, jetzt werden es wohl deutlich mehr“, sagt Doktor Hendrik Oen von der KVWL. „An den langen Schlangen zeigt sich, dass der Bedarf und die Unsicherheit riesig sind.“Vier Ärzte und elf weitere Mitarbeiter seien zurzeit im Einsatz. Rund 100 Leute könnten pro Stunde getestet werden. „In Absprache mit dem Labor sollen die Ergebnisse 24 Stunden später über eine App verfügbar sein“, so der Mediziner.
NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) hatte in einer Pressekonferenz am Dienstagmorgen einen regionalen Lockdown für den Kreis Gütersloh verkündet. Ab diesem Mittwoch sollen im Kreis unter anderem wieder Sport in geschlossenen Räumen und zahlreiche Kulturveranstaltungen verboten werden. Fitnessstudios werden ebenso geschlossen wie Kinos und Bars. Zudem gelten wieder die Kontaktbeschränkungen wie im März. Schulen und Kitas waren bereits geschlossen worden.
Am Nachmittag trifft es überraschend auch den Kreis Warendorf. Noch am Vormittag hatte Laschet erklärt, Schutzmaßnahmen solle es nur in Orten der direkten Nachbarschaft zum Kreis Gütersloh geben. „Man kann das nicht dorfscharf machen“, begründete Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann die Ausweitung auf den gesamten Kreis. „Das gesellschaftliche Leben orientiert sich nicht an Dorfgrenzen.“Zudem habe die 7-Tages-Inzidenz den Wert von 50 überschritten. „Darauf guckt auch Deutschland. Darauf guckt auch das Ausland. Und ich finde, wenn man das abgemacht hat, muss man sich auch dran halten“, so Laumann. Der komplette Kreis fällt unter die gleichen Regelungen wie der Kreis Gütersloh. Kurz vor Beginn der Sommerferien
in Nordrhein-Westfalen schränken die NRW-Behörden damit den Alltag von mehr als 640 000 Einwohnern in der Region um die größte deutsche Fleischfabrik erheblich ein.
In Gütersloh herrscht über die Maßnahmen Entsetzen und auch Wut. „Wir wollen in den Sommerurlaub
fahren, in die Lüneburger Heide. Jetzt weiß ich nicht mehr, ob das klappt“, sagt Farina Jording. Die Lehrerin aus Rheda-Wiedenbrück hat den Urlaub mit zwei kleinen Kindern schon vor einem Jahr geplant. „Ich bin wütend und frustriert, dass wegen Tönnies alles wieder ins Wanken gerät.“Die Umstände der Werkarbeiter seien schließlich schon lange bekannt gewesen.
Auch Anwalt Kai Drees aus Steinhagen sorgt sich um seinen Sommerurlaub: „Wir haben schon im Frühjahr den Urlaub umbuchen müssen, weil wir eigentlich fliegen wollten“, so der 52-Jährige. „Jetzt soll es mit dem Auto nach Norderney gehen, aber wir haben von Leuten gehört, die nicht mehr dorthin fahren durften, weil sie aus dem Kreis Gütersloh kommen.“
Der Lockdown in den Kreisen Gütersloh und Warenfeld gilt zunächst bis zum 30. Juni. Bis dahin sollte sich zeigen, ob die Infektionen aus dem Tönnies-Werk heraus auf die breite Bevölkerung übergesprungen sind. Bei Nichtmitarbeitern von Tönnies im Kreis Gütersloh habe man bislang nur 24 Infizierte gezählt, sagte Laschet am Dienstag. Das war allerdings noch bevor sich Hunderte testen ließen.
Unterdessen wurde bekannt, dass mehrere Mitarbeiter eines Schlachthofs der PHW-Gruppe („Wiesenhof“) im niedersächsischen Wildeshausen positiv auf das Coronavirus getestet wurden. Eine am Montag erfolgte Reihentestung sei bei 23 von 50 Mitarbeitern positiv verlaufen, sagte ein Sprecher des Landkreises. Der PHW-Gruppe zufolge sollen alle mehr als 1100 Mitarbeiter des Schlachthofes auf eine Corona-Infektion getestet werden. PHW hält eine Mehrheitsbeteiligung an dem Schlachthof Geestland Putenspezialitäten.