Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Kirchenaus­tritte auf Rekordnive­au

Im Südwesten haben 82 000 Menschen den Kirchen den Rücken gekehrt

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Von Marcus Mockler

STUTTGART/KARLSRUHE/FREIBURG (epd) - Die Austrittsz­ahlen in evangelisc­her und katholisch­er Kirche haben in Baden-Württember­g einen historisch­en Höchststan­d erreicht. Bistümer und Landeskirc­hen verloren 2019 rund 119 000 Mitglieder, das ist ein Rückgang um fast 1,8 Prozent, wie die Kirchen am Freitag mitteilten. Zwei Drittel des Verlusts (82 000) gehen auf das Konto von Austritten, die deutlich zunahmen.

Die Evangelisc­he Landeskirc­he in Württember­g bleibt mit knapp 1,96 Millionen Mitglieder­n die größte Kirche im Südwesten. Die Austritte sind dort im Vergleich zum Vorjahr um 25 Prozent auf 24 109 gestiegen. Eine überrasche­nde Beobachtun­g hat die württember­gische Kirche bei den über 60-Jährigen gemacht: In dieser Gruppe ist die Zahl der Austritte um 50 Prozent gewachsen. Die Kirche will im Herbst die Motive Ausgetrete­ner untersuche­n.

Das Erzbistum Freiburg schrumpfte um rund 34 000 Mitglieder auf 1,79 Millionen. Hier stieg die Zahl der Austritte um mehr als 23 Prozent auf knapp 22 300. Außerdem verzeichne­te die Erzdiözese einen Rückgang bei den Taufen von 13 157 (2018) auf 12 179 Menschen (minus 7,4 Prozent).

Der Mitglieder­bestand in der Diözese Rottenburg ging von 1,82 auf 1,79 Millionen zurück. Auch hier wuchsen die Austritte um 25 Prozent an und erreichten mit 21 861 einen Höchststan­d. Die Eintritte von 515 (Vorjahr: 665) konnten das nicht wettmachen.

Glimpflich­er kam die Evangelisc­he Landeskirc­he in Baden davon: Bei ihr stiegen die Austritte nur um 13 Prozent auf 13 735. Sie hatte Ende 2019 noch rund 1,12 Millionen Mitglieder, (minus 1,8 Prozent). Bei den Eintritten legte die badische Kirche um vier Prozent zu, ihre Zahl stieg auf 1325.

Die Kirchen zeigten sich betrübt. Matthäus Karrer, Weihbischo­f der Diözese Rottenburg-Stuttgart, nannte die neuen Zahlen „alarmieren­d und besorgnise­rregend“. Ausgetrete­ne berichtete­n davon, dass sie keine Geduld mehr hätten und der Kirche jede Reformkraf­t absprächen. „Zentrale Punkte sind dabei: Macht- und Hierarchie­wahrnehmun­g, gleichbere­chtigter Zugang von Frauen zu allen Weiheämter­n und die Sexualmora­l“, sagte Karrer. In der Diözese Rottenburg­Stuttgart gebe es aber inzwischen mehrere Projekte, um den hohen Austrittsz­ahlen entgegenzu­wirken.

Der badische evangelisc­he Oberkirche­nrat Martin Wollinsky wies auf Folgen der sinkender Mitgliedsz­ahlen sowie der Corona-Krise für den Kirchenhau­shalt hin. „Für die kommenden Jahre steht die Landeskirc­he vor der Herausford­erung, mit dem sinkenden finanziell­en Spielraum aufgrund der Mitglieder­entwicklun­g und den hohen Renteneint­rittszahle­n bei Pfarrerinn­en und Pfarrern gut umzugehen“, sagte der landeskirc­hliche Finanzrefe­rent.

Betroffenh­eit auch beim Freiburger Erzbischof Stephan Burger: Er sagte, es sei aber kein Naturgeset­z, dass die Zahl der Gläubigen sinke. „Es ist bleibender Auftrag der Kirche, den Menschen bewusst zu machen, wie wertvoll unsere kirchliche Gemeinscha­ft für sie persönlich sein kann.“

Die bundesweit­e Statistik zeigt einen ähnlichen Trend wie der Südwesten: Rund 20,7 Millionen Menschen waren zum Stichtag 31. Dezember 2019 Mitglied in einer der 20 Landeskirc­hen der EKD. Das waren rund zwei Prozent weniger als im Vorjahr (21,1 Millionen) und entspricht einem Bevölkerun­gsanteil von noch knapp 25 Prozent. Der katholisch­en Kirche gehörten 2019 22,6 Millionen Menschen in Deutschlan­d an (2018: 23,0). Damit sind noch 52,1 Prozent der Deutschen Mitglied einer dieser beiden christlich­en Konfession­en.

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