Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Zerfallen, zerborsten, zerplatzt
Schneller, höher, weiter. Dieses olympische Prinzip ist zerfallen. Der Wettbewerb ist um ein Jahr verschoben und soll nun vom 23. Juli bis 8. August 2021 in Tokio stattfinden. Eher wohl mit als ohne Corona. Gekickt wird derweil trotzdem – vor leeren Rängen und Kameralinsen. Der Rubel muss schließlich rollen. Wachstum, Wohlstand, Gesundheit. Auch diese Trinität ist zerplatzt. Kein Baum wächst in den Himmel. Doch Wohlstand ohne Wachstum? Bis vor Kurzem unvorstellbar! Dass unsere Gesundheit an einem seidenen Faden hängt, haben wir einfach verdrängt. Den Tod sowieso. Das Coronavirus – ein Zeichen, ein Schuss vor den Bug des menschlichen Gewissens? Burnout, Infarkt, Lungenentzündung. Wir sind auf alles vorbereitet, kriegen alles in den Griff. Wir sind die besten, stärksten, reichsten. Wir machen unseren Staat wieder groß und mächtig. Ob der gewählte Präsident im Land der unbegrenzten Möglichkeiten oder Autokraten am Rande Europas, auch deren aufgeblasene Macht muss sich der Macht des Virus beugen. Nur mit Lug und Trug, Repression und Gewalt gelingt es ihnen, die Menschen zu täuschen und zu unterdrücken. Der Kapitalismus japst nach Luft. Hat die ganze Welt Lungenentzündung? Das große Ungetüm, die Finanzwelt, das Goldene Kalb ist zerborsten. Der um den Globus wandernde Virus zeigt deutlicher als alle Appelle: Es ist eine Erde, die den Menschen anvertraut ist. Eine Erde, die sich nun wehrt. Unsere vermeintliche Freiheit, alles mit der Schöpfung machen zu können, schlägt um. Weiter so, kann nicht die neue Strategie sein. Der Sinn einer Krise besteht darin, dass etwas Neues entstehen kann. Für mich heißt der neue olympische Dreiklang: Bewusster, menschlicher, solidarischer. Nur wenn wir hier und heute damit anfangen, werden wir und kommende Generationen eine gute Zukunft haben.
Anton Fuchsloch, ehemaliger Redakteur der SZ Friedrichshafen