Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Mit schnörkellosen Worten
Norbert Scheuer liest im Kiesel aus seinem Roman „Winterbienen“
FRIEDRICHSHAFEN (lys) – Endlich darf die Kultur wieder etwas Fahrt aufnehmen. Nach zwei gescheiterten Anläufen war Autor Norbert Scheuer im Kiesel zu Gast und hat aus seinem Roman „Winterbienen“vorgelesen. Die zugelassene Zuschauerzahl war durch die Anti-CoronaMaßnahmen zwar stark dezimiert, aber vielleicht hatte man gerade deshalb das Gefühl, dass das Publikum den Abend genoss. Die dichte Erzählstruktur des Romans „Winterbienen“nahm einen gefangen, dazu stellte der Schriftsteller sich den Fragen des stellvertretenden Kulturamtsleiters Franz Hoben, der moderierend tätig war, und denen des Publikums. Ein Literat, gedimmtes Licht und ein gutes Buch – manchmal braucht es wenig, um in eine neue Welt abzutauchen.
Norbert Scheuer, geboren in der Westeifel, hat seine Heimat nicht verlassen, ebenso wenig wie die Protagonisten seiner Romane. Dabei lernte Scheuer nach seinem Schulabschluss zunächst das ElektrikerHandwerk, besuchte die Abendrealschule und belegte anschließend das
Studienfach Physikalische Technik, das er mit einer Diplomarbeit über die Röntgenstrukturanalyse abschloss, um sich im Anschluss dem Fach Philosophie zu widmen und mit einer Magisterarbeit über Immanuel Kant zu beenden.
Seine Romane spielen sämtlich in dem fiktiven Ort „Kall“in der Eifel.
Diesmal stehen Egidius Arimond und sein Vorfahr im Mittelpunkt des Geschehens. Zwei Handlungsstränge, die der Autor mit schnörkellosen Worten verwebt. Bei „Winterbienen“hat er die Form des Tagebuchs gewählt, die fiktive und wahre Begebenheiten enthalten. Zufällig sei ihm ein Imker-Tagebuch in die Hände gefallen. „Dass Imker Tagebuch führen, ist eigentlich ganz normal. Doch meistens sind sie sehr nüchtern geschrieben, da geht es um Erträge oder so etwas. Doch dieser hat etwas mehr geschrieben, wie beispielsweise: Bin aufgewacht, es gab Fliegerangriffe und die Bienen fliegen wieder schön.“
Und schon ist man mittendrin im Leben des Egidius Arimond, der eigentlich Lehrer ist, aber in den Jahren des Zweiten Weltkriegs nicht unterrichten darf. Dass er als Epileptiker nicht zum Euthanasie-Opfer wurde, hat er seinem Bruder zu verdanken, der in Nazi-Kreisen als Flieger-Ass gilt. Zumindest nimmt der Protagonist das an, der mit der Bienenzucht, mit ihren Erträgen und als Schleuser für Juden sein Lebensunterhalt
verdient. In eigens dafür gebauten Bienenstöcken bringt er die Flüchtlinge heimlich zur belgischen Grenze, „was die Bauern damals durchaus auch gemacht haben“, erklärt Scheuer. Die Eifel sei lange vom Krieg verschont geblieben und „erst zu der Zeit, als die Alliierten in der Normandie gelandet sind, gab es dort Fliegerangriffe“.
„Winterbienen“spielt zu dieser Zeit und im Mittelalter, als das Herz des verstorbenen Fürstbischofs und Kardinals Nikolaus von Kues, auch Cusanus genannt, zurück in seine Heimatstadt Bernkastel-Kues gebracht wurde. Hier spielt der Vorfahr des Egidius Arimond eine wichtige Rolle. Arimond hat es sich zur Aufgabe gemacht, dessen Leben zu erforschen und zu rekonstruieren. Einer der Gründe, weshalb er regelmäßig die Leihbücherei in Kall aufsucht. Ein weiterer ist, dass dort in den alten Bergmannsbüchern geheime Nachrichten zwecks Flüchtlingstransporte hinterlegt werden. Und dann ist da natürlich noch die hübsche, neue Bibliothekarin, deren Anziehungskraft sich Arimond nicht widersetzen kann. Auch wenn sie die Frau eines Nazi-Obersts ist.
Scheuer versteht es, komplexe Strukturen sachlich miteinander zu verweben. Er erzählt mit eher nüchternen Worten, baut Spannungslinien auf, indem er zwischen den beiden Handlungssträngen Parallelen aufbaut, und die eher nüchterne Wortwahl lässt ausreichend Platz für die Fantasie des Lesers. Scheuer liest und erzählt den Zuhörern, wie seine Geschichten entstehen und welchen Bezug er dazu aufbaut.
Auf die Frage Franz Hobens, ob er Imker sei, denn dieser Eindruck sei ihm beim Lesen entstanden, antwortet der Autor: „Ich selbst nicht, wäre es aber gerne. Jedes Mal beim Geschichtenschreiben steigere ich mich so hinein, dass ich das selbst gerne tun würde. Ich wäre auch gerne Fischer, Steinesammler oder Vogelbeobachter“, sagt er mit Anspielung auf seine vorherigen Bücher, und auf die weitere Frage, wie er die Zeit des Lockdowns gestaltet habe, erklärt der Schriftsteller: „Ach, wissen Sie, in der Eifel lebt man sowieso wie in Quarantäne.“