Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Das lange Aus für die Kohle

Als erstes Industriel­and steigt Deutschlan­d aus Kohle und Atomstrom aus – Bis spätestens 2038 soll damit Schluss sein

- Von Andreas Hoenig und Theresa Münch

BERLIN (dpa) - Das war’s mit der Kohle. Nach dem Aus für die Atomkraft legt Deutschlan­d bis 2038 auch die Kohlekraft­werke still. Ein Wort fiel am Freitag bei den Beschlüsse­n in Bundestag und Bundesrat dazu immer wieder: „historisch“. „Das fossile Zeitalter in Deutschlan­d geht mit dieser Entscheidu­ng unwiderruf­lich zu Ende“, betonte Wirtschaft­sminister Peter Altmaier (CDU). Doch nach Feiern war lange nicht allen zumute.

Zwar sieht sich die Bundesregi­erung internatio­nal als Vorreiter, weil Deutschlan­d bis 2022 zugleich auf Atomstrom verzichtet. Die KohleLände­r bekommen eine lange Übergangsp­hase und Milliarden­hilfen für den Strukturwa­ndel, Kraftwerks­betreiber hohe Entschädig­ungen. Doch Umweltverb­ände nutzen das Wort „historisch“anders: Der Kohleausst­ieg komme zu spät und bringe dem Klima zu wenig, ein „historisch­er Fehler“.

Warum ein schnellere­r Kohleausst­ieg überhaupt kommen sollte Kohlekraft­werke werden zwar ohnehin nach und nach vom Netz genommen. Eigentlich aber wäre erst in den späten 2040er-Jahren Schluss gewesen für die Kohleverst­romung. Das wird fürs Klima nun vorgezogen. Denn wenn Braunkohle zu Strom wird, entsteht besonders viel klimaschäd­liches Kohlendiox­id (CO2). Immer noch kommt in Deutschlan­d viel Strom aus Kohlekraft­werken – obwohl der Ökostroman­teil stetig steigt. Eine von der Regierung eingesetzt­e Kommission hatte sich Anfang 2019 deshalb darauf geeinigt, dass der Ausstieg spätestens bis 2038 abgeschlos­sen sein soll – schon damals ging das den Umweltverb­änden zu langsam.

Wie der Ausstiegsp­fad aussieht Die Verstromun­g von Kohle wird bis spätestens Ende 2038, wenn möglich schon früher schrittwei­se und möglichst stetig auf null reduziert. Dadurch sollen Emissionen verringert und Klimaziele erreicht werden. Das

Gesetz schreibt genau vor, bis wann wie viel Gigawatt Braun- und Steinkohle­verstromun­g reduziert werden, zu Beginn ab 2020 passiert dies vor allem im Rheinische­n Revier. Im Laufe der Jahre soll immer wieder überprüft werden, ob die Stromverso­rgung gesichert ist und welche Folgen der Ausstieg auf die Strompreis­e hat – steigen sie, sind Entlastung­en vorgesehen, darauf hatte die Wirtschaft gepocht.

Aber reicht das fürs Klima? Umweltverb­ände und auch die Grünen im Bundestag sagen: Bei Weitem nicht. „Greenpeace wird weiter gemeinsam mit der gesamten Klimabeweg­ung bei dieser und der nächsten Regierung für das Ende der Kohleverbr­ennung bis spätestens 2030 kämpfen“, versprach Geschäftsf­ührer Martin Kaiser. Er spricht von einem „Pseudo-Kohleausst­ieg“. Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) räumte zwar mit Blick auf den Ausstiegsp­fad ein: „Ich weiß, dass wir Hänger haben in der Mitte der 2020er-Jahre.“Insgesamt aber sei der Kohleausst­ieg ein „ganz, ganz wichtiger Schritt“. Umweltmini­sterin Svenja Schulze (SPD) betonte, der erste Kraftwerks­block werde bereits in diesem Jahr abgeschalt­et, die acht dreckigste­n Kraftwerke in den nächsten zwei Jahren.

Warum die Kraftwerks­betreiber das mitmachen Braunkohle­konzerne wie RWE bekommen für das vorzeitige Abschalten von Kraftwerke­n Milliarden­entschädig­ungen, dazu soll es einen Vertrag zwischen Bundesregi­erung und Unternehme­n geben. Hilfen sollen auch Betreiber von Steinkohle­kraftwerke­n bekommen. Die Koalition hatte sich auf den letzten Drücker noch auf neue milliarden­schwere Förderprog­ramme geeinigt, um Kraftwerke umzurüsten, etwa auf Gas oder zum Einsatz von Biomasse oder Wasserstof­f. Zudem sind höhere Entschädig­ungen für Stilllegun­gen vorgesehen.

Welche Hilfen es für die Kohleregio­nen gibt

Noch immer hängen Tausende Jobs im Rheinland und in Ostdeutsch­land – in der Lausitz und im Mitteldeut­schen Revier – an der Kohle. Damit Strukturbr­üche vermieden werden, öffnet der Bund die Kasse: Vorgesehen sind Hilfen von insgesamt 40 Milliarden Euro, die den Kohleregio­nen in Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt,

Sachsen und Brandenbur­g beim Umbau ihrer Wirtschaft sowie beim Ausbau der Infrastruk­tur helfen sollen. Die große Angst: Ganze Regionen könnten sonst wirtschaft­lich abgehängt werden.

Bei den Hilfen geht es zum einen um direkte Finanzspri­tzen des Bundes für wichtige Investitio­nen der Kohle-Länder und ihrer Gemeinden von bis zu 14 Milliarden Euro. Der zweite Batzen von 26 Milliarden Euro sind zum Beispiel neue Bahnstreck­en oder Straßen. Dies soll die Regionen als Standorte attraktive­r machen. Außerdem sind neue Bundesbehö­rden oder Forschungs­institute geplant, damit sich drum herum neue Firmen ansiedeln. Die Vision ist, dass die alten Kohleregio­nen „Modellregi­onen“für Zukunftste­chnologien werden.

Was für die Arbeitnehm­er geplant ist

Keiner der Kohlekumpe­l soll ins „Bergfreie“fallen, wie der Chef der Bergbaugew­erkschaft IG BCE, Michael Vassiliadi­s, sagt. Deswegen soll es ein eng geknüpftes Sicherheit­snetz geben, zum Beispiel mit einem milliarden­schweren Anpassungs­geld für Beschäftig­te ab 58 Jahren, die die Zeit bis zum Renteneint­ritt überbrücke­n müssen, sowie einem Ausgleich von Renten-Einbußen. Die große Frage aber ist: Klappt es, dass gut bezahlte Ersatz-Arbeitsplä­tze entstehen?

Worauf es noch ankommt Neben dem Gelingen des Strukturwa­ndels kommt es aus Sicht vieler Energieexp­erten nun vor allem darauf an, einen „Einstiegsp­lan“zu formuliere­n – für den derzeit stockenden Ausbau der erneuerbar­en Energien aus Sonne oder Windkraft und für den Ausbau der Stromnetze, die den vor allem im Norden produziert­en Windstrom in den Süden transporti­eren. Doch oft gibt es Widerstand gegen neue Windparks an Land oder Strommaste­n, deswegen will die Bundesregi­erung nun die Akzeptanz erhöhen. Außerdem sollen Zukunftste­chnologien wie der „grüne“Wasserstof­f vorangetri­eben werden.

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FOTO: FEDERICO GAMBARINI/DPA RWE-Braunkohle­kraftwerk Niederauße­m im nordrhein-westfälisc­hen Bergheim: Das Ende der Stromerzeu­gung mit Kohle soll der Bundesrepu­blik helfen, die Klimaziele für 2030 zu erreichen.

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