Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Corona-Rezession noch tiefer als befürchtet

EU-Kommission korrigiert Konjunktur­prognose nach unten – Weitere Risiken voraus

- Von Verena Schmitt-Roschmann

BRÜSSEL (dpa) - Der historisch­e wirtschaft­liche Absturz wegen Corona ist in Europa noch tiefer als gedacht – aber womöglich geht es jetzt langsam wieder aufwärts. Es war diese doppelte Botschaft, die EU-Wirtschaft­skommissar Paolo Gentiloni am Dienstag mit seiner jüngsten Konjunktur­prognose setzte. Deutschlan­d steht inmitten des Desasters nach jetzigem Stand etwas besser da als andere EU-Länder, vor allem als die Krisenstaa­ten Italien, Spanien und Frankreich. Aber über allem schwebt die Frage: Wie geht es weiter mit der Pandemie?

Die Zahlen

Schon im Mai hatte die EU-Kommission für dieses Jahr die schwerste Rezession in der Geschichte der Europäisch­en Union vorhergesa­gt. Damals hieß es, die Wirtschaft­skraft der 19 Staaten der Eurozone werde dieses Jahr um 7,7 Prozent schrumpfen, die aller 27 EU-Staaten um 7,4 Prozent. Schon das war beispiello­s. Doch jetzt fällt die Jahresprog­nose noch düsterer aus: ein Minus von 8,7 Prozent für die Eurozone und 8,3 Prozent für die EU.

Dass die Zahlen noch schlechter sind, begründet die Kommission damit, dass die Corona-Auflagen, die die Wirtschaft wochenlang fast völlig lahmlegten, in kleineren Schritten gelockert werden als im Mai angenommen.

Der Italiener sprach aber auch von einer „vorsichtig­en Erholung“, die jetzt beginne. Erste Daten für Mai und Juni deuten aus Sicht der Kommission darauf hin, dass das Schlimmste vorbei sein könnte. Erwartet wird, dass die Erholung im zweiten Halbjahr an Fahrt gewinnt. Für nächstes Jahr wird dann auch wieder kräftiges Wachstum angenommen: in der Eurozone 6,1 Prozent und in der EU als Ganzes 5,8 Prozent. Allerdings sind auch diese Werte schlechter als im Mai, als die Kommission 6,3 Prozent und 6,1 Prozent annahm. Und klar ist auch, dass der Niedergang 2020 im nächsten Jahr nicht wettgemach­t wird.

Wie sich Deutschlan­d schlägt Deutschlan­d steht mit einem erwarteten Minus von 6,3 Prozent 2020 etwas besser da als der EU-Schnitt und kann laut Prognose nächstes Jahr mit 5,3 Prozent Wachstum viel Boden gutmachen. Das deutsche Konjunktur­paket werde Einkommens­verluste, Stellenstr­eichungen und Betriebspl­eiten wohl begrenzen, sagte

Gentiloni. Bundesfina­nzminister Olaf Scholz sieht das genauso und bemüht die Zuversicht. „Der Wumms ist schon spürbar“, sagte der SPD-Politiker dem Nachrichte­nportal The Pioneer. „Ich habe das Gefühl, dass jeder merkt, dass sich die wirtschaft­lichen Zahlen langsam wieder verbessern.“Im Mai stieg die Industriep­roduktion zum Vormonat um 7,8 Prozent, wie das Statistisc­he Bundesamt errechnete. Analysten hatten jedoch einen stärkeren Zuwachs erwartet.

Diese Wende sehnen auch die EUPartner herbei, doch stecken sie nach der Prognose der EU-Kommission noch viel tiefer im Schlamasse­l als die Bundesrepu­blik. In Italien dürfte diesen Zahlen zufolge 2020 ein Rückgang

des Bruttoinla­ndsprodukt­s um 11,2 Prozent zu Buche stehen, in Spanien 10,9 Prozent und in Frankreich 10,6 Prozent. Alle drei Länder werden demnach 2021 nur einen Teil der Einbußen ausgleiche­n.

Die politische Botschaft

Helfen könnte dabei das riesige europäisch­e Konjunktur- und Investitio­nsprogramm,

das Kommission­schefin Ursula von der Leyen vorgeschla­gen hat. 750 Milliarden Euro, finanziert über gemeinsame Schulden im Namen der EU, gezielt vergeben zum Großteil als Zuschüsse an wirtschaft­lich besonders schwer getroffene EU-Staaten – allen voran Italien. Die mögliche Wirkung des Pakets wurde in die Prognose nicht eingerechn­et, denn es ist noch nicht beschlosse­n, sondern sehr umstritten. Ende nächster Woche befasst sich ein Gipfel damit.

Gentiloni nahm die düstere Vorhersage zum Anlass, Tempo anzumahnen. Eine schnelle Umsetzung eines solchen Programms würde den Ausblick aufhellen und das wirtschaft­liche Vertrauen schnell stärken, meinte der italienisc­he Kommissar.

Eine unsichere Prognose

Ob das EU-Konjunktur­paket gelingt oder nicht, ist bei Weitem nicht der einzige Unsicherhe­itsfaktor. Die EU-Kommission nahm für ihre Prognose an, dass keine zweite Corona-Infektions­welle kommt. Aber wie sagte Gentiloni? „Das Ausmaß und die Dauer der Pandemie bleiben weitgehend unbekannt.“Und die Annahmen könnten zu optimistis­ch sein.

Das gilt übrigens auch für das andere große Risiko in diesem Jahr: den Ausgang der EU-Verhandlun­gen mit Großbritan­nien über ein Handelsabk­ommen. Die Prognose legt zugrunde, dass die Handelsbez­iehungen nach dem Jahresende so bleiben wie jetzt. Dabei ist Großbritan­nien wild entschloss­en, 2021 aus dem Binnenmark­t und der Zollunion auszuschei­den. Damit wird in jedem Fall alles komplizier­ter, selbst wenn noch ein Handelspak­t gelingt.

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Es geht noch tiefer runter

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