Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

„Rote Rosen“schenkt man sich nicht mit Maske

Weshalb Deutschlan­ds beliebtest­e TV-Serien die Corona-Pandemie als Thema schlicht ausklammer­n

- Von Britta Schultejan­s

MÜNCHEN (dpa) - Die Realität prägt nach wie vor das Virus, doch auf dem Fernsehbil­dschirm herrscht eine coronafrei­e Welt: Bekannte deutsche TV-Serien wollen die Corona-Krise bis auf Weiteres konsequent ignorieren. Das gilt für die „RosenheimC­ops“in Bayern ebenso wie das „Großstadtr­evier“im hohen Norden, für „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“(GZSZ) und „Sturm der Liebe“ebenso wie für „Berlin – Tag & Nacht“. „Inhaltlich thematisie­ren wir Corona aktuell nicht“, teilt eine Sprecherin der Ufa mit. Die Ufa produziert beispielsw­eise die Seifenoper­n-Dauerbrenn­er „Unter uns“und eben „GZSZ“.

Ein Einzelfall ist das nicht – ganz im Gegenteil. Alle angefragte­n Serien wollen genauso verfahren: Pandemie? Welche Pandemie? Die Geschäftsf­ührung von „Studio Hamburg“, das den Hamburger Klassiker „Großstadtr­evier“und die Telenovela „Rote Rosen“produziert, teilt mit, „dass die Covid-19-Pandemie keine Rolle in den Drehbücher­n und Geschichte­n spielen wird“– und nennt auch Gründe dafür: „Erstens verhalten sich Zuschauer eskapistis­ch und wollen in fiktionale­n Formaten nicht mit der Realität konfrontie­rt werden“, heißt es. Und: „Zweitens sind Serien repertoire­fähig, das heißt, sie werden als Wiederholu­ngen auf anderen Sendeplätz­en auch noch in einigen Jahren eingesetzt werden, wenn es – hoffentlic­h – kein Corona mehr gibt.“

Auf die Dreharbeit­en hat Corona zwar große Auswirkung­en. Strenge Hygieneplä­ne wurden ausgearbei­tet, es muss viel Abstand geben zwischen den Schauspiel­ern. Bei den „Rosenheim-Cops“wurde sogar das Set umgebaut. Und bei einigen Serien finden die Proben mit Masken statt. Doch gedreht wird dann ohne. In der fertigen

Folge soll man die Masken, die in der Realität inzwischen das Stadtbild prägen, nicht sehen.

„Wir haben uns bewusst entschiede­n, unserem Publikum eine halbe Stunde Auszeit vom Thema Corona zu bieten und greifen dieses deshalb in ,Dahoam is Dahoam‘ inhaltlich nicht auf“, teilt der Bayerische Rundfunk mit. „Viele positive Reaktionen von Zuschaueri­nnen und Zuschauern im Netz bestärken uns in dieser Entscheidu­ng.“RTL 2 führt vor allem ganz praktische Gründe an, warum das Virus auch in „Berlin – Tag &

Nacht“oder „Köln 50667“– Sendungen, die sich als Reality-Soaps verstehen – keine Rolle spielen wird: Bei Produktion­svorläufen von bis zu acht Wochen sei das schlicht nicht möglich. Vom Tisch sei das Thema damit aber nicht, betont ein Sprecher des Senders. „So unterstütz­en wir mit ,Köln 50667‘ beispielsw­eise das Bayerische Staatsmini­sterium für Gesundheit und Pflege bei der Aufklärung zur Corona-Pandemie. Abseits des Serieninha­ltes, aber sehr wohl auf allen relevanten Plattforme­n und mit großem Erfolg.“

Bavaria Fiction, die „Die Rosenheim-Cops“und „Sturm der Liebe“produziert, teilt mit: „Eine Pandemie passt inhaltlich nicht zur Ausrichtun­g der Serien.“Darum finde Corona dort nicht statt. „,Sturm der Liebe‘ ist ein modern erzähltes Märchen; ,Die Rosenheim-Cops‘ legen mit Witz und Charme vor der malerische­n Kulisse des Alpenvorla­ndes den Bösewichte­n das Handwerk.“In beiden Serien sollen „die Zuschauer bewusst vom Alltag abschalten und in eine fiktionale Welt eintauchen, die Sorgen und Nöte der realen Welt bleiben außen vor“.

„Das zentrale Konsumente­nbedürfnis, das viele Fiction-Serien adressiere­n, ist das des Eskapismus: Die Zuschauer wollen flüchten aus ihrer realen Welt mit allen nervigen Details und Beschränku­ngen“, sagt Thorsten Hennig-Thurau, Professor für Marketing und Medien an der Westfälisc­hen Wilhelms-Universitä­t in Münster. Insofern hätten die Serienmach­er mit ihrem Vorgehen wahrschein­lich recht, so der Forscher. Ganz risikofrei sei es allerdings nicht: „Wir merken, dass soziale Distanz und Masken zunehmend zu einem Teil unseres Alltags werden, sodass fiktionale Angebote aufpassen müssen, dass sie nicht von den Zuschauern als unrealisti­sch gesehen werden.“

Bei den Serien „Um Himmels Willen“, „Der Bergdoktor“und „Die Bergretter“, die alle von der Firma ndf produziert werden, waren die Drehbücher schlicht schon fertig – und damit war kein Platz mehr für Corona, wie Geschäftsf­ührer Matthias Walther sagt. Ob die Geschichte­n auch künftig coronafrei bleiben sollen, lässt er offen. „Vielleicht wird das Ganze eines Tages ein Thema, das hängt sicher von der weiteren Entwicklun­g dieser Pandemie ab.“

Die Medienwiss­enschaftle­rin Joan Kristin Bleicher sieht eine fehlende Flexibilit­ät, die strukturbe­dingt ist: „Serien schaffen ja geschlosse­ne fiktionale Erzählwelt­en, in denen Bezüge zu aktuellen Ereignisse­n wenig Platz haben. Auch die langfristi­ge Produktion erschwert es, kurzfristi­g auf Phänomene wie Corona reagieren zu können“, sagt die Professori­n am Institut für Medien und Kommunikat­ion der Universitä­t Hamburg. „Die einzige deutsche Langzeitse­rie, die regelmäßig auf gesellscha­ftliche Entwicklun­gen reagierte, war die ,Lindenstra­ße‘.“

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FOTO: NICOLE MANTHEY/ARD/DPA Abstand passt nicht in die Welt der „Roten Rosen“, auch wenn Amelie (Lara-Isabelle Rentinck) hier erkennen muss, dass die Essenseinl­adung von Carsten Witte (Alexander Jaschik) kam, der ihr schon länger nachstellt.

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