Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

„Das war auf den letzten Drücker“

Markus Hinterhäus­er zur Entscheidu­ng, die Salzburger Festspiele stattfinde­n zu lassen

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Es war ein Paukenschl­ag, als Markus Hinterhäus­er verkündete, dass die Salzburger Festspiele in diesem Sommer von 1. bis 30. August 2020 mit zwei Opernpremi­eren, drei Theaterpro­duktionen und Konzerten und Lesungen stattfinde­n. Georg Rudiger unterhielt sich mit dem Intendante­n über das modifizier­te Programm, über die in Österreich fehlenden Abstandsre­geln für Chor und Orchester und über das Grundbedür­fnis nach Kunst.

Während andere große Festivals wie die Bayreuther Festspiele schon früh abgesagt wurden, haben Sie mit der Entscheidu­ng bezüglich der Sommerfest­spiele lange gewartet. Was gab Ihnen die Zuversicht, dass Sie spielen können?

Vom ursprüngli­chen Opernprogr­amm behalten Sie nur Richard Strauss‘ Musikdrama „Elektra“, das die Festspiele eröffnet. Die restlichen fünf Neuprodukt­ionen sollen im nächsten Jahr nachgeholt werden. Haben Sie sich für „Elektra“entschiede­n, weil kein Chor dabei ist?

Es war uns wichtig, zum 100-jährigen Jubiläum der Festspiele das Werk eines Festivalgr­ünders dabei zu haben. Alle Konzerte und Vorstellun­gen, die wir im Sommer veranstalt­en, werden ohne Pause durchgefüh­rt. Da passt der Einakter „Elektra“auch sehr gut. Das Personal auf der Bühne ist überschaub­ar und es braucht keinen Chor – auch das waren Gründe für diese Oper zum Auftakt.

Mit „Così fan tutte“ist in wenigen Wochen eine Opernprodu­ktion für die modifizier­ten Festspiele entstanden. Christof Loy, der eigentlich „Boris Godunow“inszeniere­n sollte, führt Regie. Joana Mallwitz, vorgesehen für die „Zauberflöt­e“, dirigiert. Warum diese Neuprodukt­ion auf den letzten Drücker? Das war wirklich auf den letzten Drücker. Wir wollten die Festspiele nicht ohne eine Mozart-Oper veranstalt­en. Normalerwe­ise brauchen Opernprodu­ktionen einen Vorlauf von rund drei Jahren. Jetzt haben wir nur wenige Wochen, um mit einem jungen Ensemble und einem begrenzten Bühnenbild „Così fan tutte“entstehen zu lassen. Diese Spontaneit­ät und Vitalität setzt aber auch viel Energie frei. Vielleicht ist solch eine Produktion auch perspektiv­isch interessan­t, da wir noch lange gezwungen sind, mit dem Coronaviru­s zu leben und dabei flexibel zu bleiben.

Sie hatten bereits 180 000 Karten verkauft, haben aber nun nur 80 000 Karten zur Verfügung. Wer geht leer aus?

So würde ich das nicht formuliere­n. Man muss die Situation verstehen, in der wir uns befinden. Wir werden jeden einzelnen anschreibe­n, der Karten bestellt hat, um auch herauszufi­nden, wer denn überhaupt nach Salzburg kommen möchte. In manchen Ländern gibt es Reiseverbo­te. Die Karteninha­ber werden auf jeden Fall bevorzugt behandelt. Wir haben einen Algorithmu­s entwickelt, der Alternativ­en vorschlägt. Wir sind zuversicht­lich, dass sich das am Ende ausgeht, wie wir in Österreich sagen.

Die Wiener Philharmon­iker spielen unter Riccardo Muti dreimal die 9. Symphonie von Beethoven mit dem Wiener Staatsoper­nchor. Wie stellen Sie den Chor auf? Damit beschäftig­en wir uns gerade. Ganz eng beieinande­r werden die Choristen jedenfalls nicht stehen. Das Konzert wird im großen Festspielh­aus stattfinde­n – da gibt es schon viel Platz auf der Bühne.

Die Wiener Philharmon­iker müssen gar keine Abstandsre­geln beachten, sondern werden nur auf das Coronaviru­s getestet. Bei den Opernprodu­ktionen sitzen die Musiker dicht an dicht im Orchesterg­raben.

Sie werden regelmäßig getestet. Wir werden auch eine Teststatio­n im Festspielh­aus haben. Diese Regel gilt übrigens für alle österreich­ischen Orchester. Wir haben ja auch noch das ORF Radio-Symphonieo­rchester, die Camerata Salzburg und das Klangforum Wien zu Gast. Das wird in Deutschlan­d anders gesehen.

Welche Abstandsre­geln gelten denn für die anderen Orchester? Das West-Eastern-Divan Orchestra, das am 16. August unter Daniel Barenboim spielt, und die Berliner Philharmon­iker,

die zwei Konzerte unter Kirill Petrenko geben, halten sich aus Haftungsgr­ünden an die Vorgaben, die in ihrem Heimatland bestehen. Die Programme wurden teilweise verändert und sind jetzt kleiner besetzt als ursprüngli­ch geplant, um genügend Platz auf der Bühne zu haben.

Eine wichtige coronabedi­ngte Vorgabe war es, die Konzerte ohne Pause stattfinde­n zu lassen und die Bewirtung zu streichen. In den Konzertpau­sen gilt bei den Salzburger Festspiele­n Sehen und Gesehen-Werden. Verändert das Fehlen dieser Bühne für das Publikum auch den Charakter des Festivals? Das kann ich Ihnen erst nach dem Festival sagen. Die angebliche Glamoursuc­ht des Publikums halte ich allerdings für ein Klischee, das nicht zutrifft. Aber vielleicht gibt es in diesem Jahr noch eine konzentrie­rtere Hinwendung zur Kunst, weil jede Ablenkung fehlt. Vor ein paar Wochen habe ich mit anderen 100 Konzertbes­uchern einen Klavierabe­nd von Daniel Barenboim im Wiener Musikverei­n gehört. Ich war sehr melancholi­sch gestimmt, als ich in den fast leeren Saal ging. Während des Konzertes war es ganz still. Niemand hat es gewagt zu husten, jeder hatte viel Raum um sich. Ich möchte das wirklich nicht als Dauerzusta­nd, aber ich konnte besonders intensiv zuhören.

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FOTO: FRANZ NEUMAYR „Die angebliche Glamoursuc­ht des Publikums halte ich für ein Klischee“, sagt Intendant Hinterhäus­er.

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