Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Hahn bleibt das Gesicht der Grünen am Bodensee
Nach der Kampfabstimmung: Abgeordneter will Gräben in der Partei schnell wieder zuschütten
FRIEDRICHSHAFEN - „Yes! Come on!“, schreit der grüne Landtagsabgeordnete Martin Hahn. Er ballt beide Fäuste wie Boris Becker in seinen besten Zeiten und lässt einen Urschrei folgen. Um kurz vor halb zehn hatte Versammlungsleiter Thomas Henne am Donnerstagabend im Hugo-Eckener-Saal des GZH das Ergebnis der Kampfabstimmung um die Nominierung bekannt gegeben: Birgit Zauner 27 Stimmen, Andrea Rehm 22 Stimmen, Martin Hahn 78 Stimmen. Damit ist klar: Hahn tritt bei der Landtagswahl am 14. März 2021 wieder, zum vierten Mal, für Bündnis 90/Die Grünen im Wahlkreis 67 am Bodensee an. Die Reaktion des 56-jährigen Überlingers zeigt, wie groß seine Erleichterung war nach wochenlangen internen Querelen bei den Grünen am Bodensee und bei starkem Gegenwind durch die beiden respektablen Herausforderinnen.
Auf „ein gutes Glas Wein“und zum Essen lädt Hahn alle seine Parteifreunde am Bodensee für den nächsten Tag auf sein Hofgut in Überlingen-Bonndorf ein. Eine Geste direkt nach seiner Nominierung, die vieles aussagt. Es sei zuletzt für ihn keine einfache Zeit gewesen, sagt Hahn, „innerparteiliche Wettbewerbe sind schwierig, es entstehen immer Gräben“. Diese gelte es jetzt zuzuschütten. Als Signal wolle man aussenden, dass die Partei geschlossen startklar sei für den Wahlkampf. Dass er die Mitglieder an der Basis zuletzt nicht alle hinter sich gehabt habe, liege „auch in der „Natur der Regierung“, sagt Hahn. Er habe Verständnis für die Unzufriedenheit. „Das Spannungsfeld zwischen Relevanz und Radikalität ist für uns Grüne
schwer auszuhalten“, sagt der Abgeordnete. Das heißt, viele Grüne, auch am Bodensee, hätten gerne die radikalere Version, etwa in Sachen Klima- und Naturschutz. „Ich hätte es selber gerne radikaler“, sagt Hahn, „aber ich bin der Mittler und muss die Dinge aushandeln und verantworten“.
Hahn nutzte seine Vorstellungsrede noch einmal, um auf die Erfolge der Vergangenheit zu verweisen. In Jeans und mit hochgekrempelten Ärmeln gab er sich volksnah und kämpferisch. Dass man bei der Wahl 2016 5,4 Prozent über dem Landesschnitt der Grünen lag, sei ein „Meisterstück“gewesen, ebenso dass man die schwarze Trutzburg Baden-Württemberg eingenommen habe. Von der Kinderbetreuung bis zum Klimaschutz zählte er die Erfolge der grün geführten Landesregierung auf. Und benannte mit der Festschreibung von 30 Prozent Anteil ökologischen Landbaus und der deutlichen Pestizid-Reduzierung zwei wichtige Ziele für das neue Naturschutzgesetz, das noch vor der Sommerpause verabschiedet werden soll. Neben dem Meistern der Klimakrise seien die Transformation der Industriegesellschaft und das Zusammenhalten der Gesellschaft die wichtigsten Themen.
Bei der Fragerunde, bei der schriftlich gestellte Anfragen vorgelesen wurden, kommt mit Anna Hochmuth, der Häfler Fraktionschefin, gleich eine seiner Gegnerinnen zu Wort. Sie hatte sich im Vorfeld in den sozialen Medien für Birgit Zauner ausgesprochen. Warum er sich gerade für Franziska Scholz als Zweitbewerberin entschieden hat, will sie wissen. „Sie ist das Gegenteil von mir“, sagt Hahn. „Sie ist jung, sie hat Zukunft und sie ist klug.“Das gibt einige Lacher im Publikum, aber es bleibt der einzige Lapsus Hahns an diesem Abend. Es kommt auch die Frage nach dem Zusammenhalt in der Partei, an der Basis. „Ich brauche euch“, sagt Hahn. Die Mitglieder müssten die Themen der Gesellschaft zu ihm bringen. Er geht auf die Mitglieder zu. Das kommt gut an. Am Ende schafft Hahn den Bogen zum urgrünen Thema Umweltschutz. „Wir haben diese Erde nur geborgt“, sagt er. Stürmischer Applaus gibt den ersten Hinweis, wie der Abend laufen wird.
Andrea Rehm, im grünen, hochgeschlossenen Kleid, gibt die Grande Dame der Partei. Sie verweist auf ihren langjährigen Einsatz für die Grünen und präsentiert sich stark. Der Einsatz für mehr Frauen in der Politik ist ihr Kernthema, sie positioniert sich deutlich gegen den BodenseeAirport. Mit dem Geld, das etwa der Kreis in den Flughafen stecke, könne man ökologisch und sozial Sinnvolleres anfangen. Ein „modernes Stadtquartier mit Wohnen und Arbeiten“sieht sie hier. Überhaupt müssten sich die Kommunen viel mehr einmischen in die Stadtplanung. „Bauen im Bestand ist für mich die Zukunft“, sagt die freie Architektin. Aquakulturen im Bodensee gibt sie eine klare Absage: „Dieses Tor dürfen wir nicht öffnen.“Statt Angst brauche man mehr Mut, sagt Rehm zum Umweltschutz. CO2-Reduzierung sei angesagt, „auch wenn es weh tut“. Sie werde klar abstimmen, wenn es um grüne Kernthemen geht. Alles in allem bietet sie deutlich das radikalere Programm und „eine andere Art der Kommunikation“.
Auch Birgit Zauner macht ein „Angebot zur Veränderung“. Im roten Blazer trägt sie ihre Rede etwas trocken vor, bleibt stark an ihrem Manuskript hängen. Sie packt vom Umweltschutz („die Schöpfung ist unsere wichtigste Ressource“) bis zur Rente und Digitalisierung vieles in ihren Vortrag, vieles bleibt aber auch vage. „Basis ist Boss“lautet ein wichtiges Motto, sie wirbt hier konkret für Austauschtreffen und ein grünes Büro im Kreis, eine engere Zusammenarbeit der grünen Gemeinderäte. Die Mitglieder sollen mehr Gehör finden, der Satz dürfte auch an Hahns Adresse gehen. Für Haltung statt Spaltung will sie stehen und damit gegen Angriffe auf die Demokratie. Im Klimaschutzgesetz sieht sie nur einen zarten Anfang.
128 der 303 wahlberechtigten Mitglieder der Grünen aus dem Bodenseekreis sind trotz schönsten Sommerwetters ins GZH gekommen, um bei der Wahl des grünen Kandidaten
ANZEIGE für die Landtagswahl ihre Stimme abzugeben. Nicht abstimmen dürfen die aus Tettnang, Meckenbeuren und Neukirch, weil diese Kommunen zum Ravensburger Wahlkreis gehören. Sicher ein Nachteil für die Tettnangerin Rehm. Zum Running Gag des Abends werden die Fragekärtchen des Kippenhausener Grünen und BUND-Mannes Klaus Lindemann, der jedem Kandidaten die Frage stellte, wie er denn zur B-31-neuVariante B1 steht. Durchweg wird der jetzt vom Bundesverkehrsministerium favorisierte vierspurige Ausbau abgelehnt. Die meisten Redner sprechen sich sogar für die Ausbauvariante aus.
Am Ende geben die Mitglieder Hahn doch wieder das Vertrauen. Mit über 61 Prozent der Stimmen bekommt der Platzhirsch Rückenwind für den Wahlkampf. Auch Hahns Ersatzkandidatin, Franziska Scholz, erhält mit 72 Stimmen eine satte Mehrheit im ersten Wahlgang vor Tim Horras (43), Zweitkandidat von Rehm. Zauners Zweitkandidat Felix Bohnacker hatte nach der Wahl Hahns zurückgezogen.
„Ich bin stolz, dass ich in diesem guten Bewerberfeld ein klares Ergebnis herausarbeiten konnte“, sagt Hahn nach der Veranstaltung der SZ. „Ich bin froh, diesen Auftrag zu kriegen von den Grünen, wir werden das wuppen.“
Das Direktmandat sei jetzt das Ziel. Er wollte nicht der „glückliche Dritte“sein bei der Kampfabstimmung, sagt Hahn weiter, der Sieg im ersten Wahlgang „war für mich sehr wichtig“. Parteiintern habe es jetzt den Wettbewerb gegeben, aber nach außen sei doch die Frage: „Stehen die Grünen hinter Martin Hahn?“Man wird sehen, ob sie mit dem Votum vom Donnerstag beantwortet ist.