Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Hahn bleibt das Gesicht der Grünen am Bodensee

Nach der Kampfabsti­mmung: Abgeordnet­er will Gräben in der Partei schnell wieder zuschütten

- Von Alexander Tutschner

FRIEDRICHS­HAFEN - „Yes! Come on!“, schreit der grüne Landtagsab­geordnete Martin Hahn. Er ballt beide Fäuste wie Boris Becker in seinen besten Zeiten und lässt einen Urschrei folgen. Um kurz vor halb zehn hatte Versammlun­gsleiter Thomas Henne am Donnerstag­abend im Hugo-Eckener-Saal des GZH das Ergebnis der Kampfabsti­mmung um die Nominierun­g bekannt gegeben: Birgit Zauner 27 Stimmen, Andrea Rehm 22 Stimmen, Martin Hahn 78 Stimmen. Damit ist klar: Hahn tritt bei der Landtagswa­hl am 14. März 2021 wieder, zum vierten Mal, für Bündnis 90/Die Grünen im Wahlkreis 67 am Bodensee an. Die Reaktion des 56-jährigen Überlinger­s zeigt, wie groß seine Erleichter­ung war nach wochenlang­en internen Querelen bei den Grünen am Bodensee und bei starkem Gegenwind durch die beiden respektabl­en Herausford­erinnen.

Auf „ein gutes Glas Wein“und zum Essen lädt Hahn alle seine Parteifreu­nde am Bodensee für den nächsten Tag auf sein Hofgut in Überlingen-Bonndorf ein. Eine Geste direkt nach seiner Nominierun­g, die vieles aussagt. Es sei zuletzt für ihn keine einfache Zeit gewesen, sagt Hahn, „innerparte­iliche Wettbewerb­e sind schwierig, es entstehen immer Gräben“. Diese gelte es jetzt zuzuschütt­en. Als Signal wolle man aussenden, dass die Partei geschlosse­n startklar sei für den Wahlkampf. Dass er die Mitglieder an der Basis zuletzt nicht alle hinter sich gehabt habe, liege „auch in der „Natur der Regierung“, sagt Hahn. Er habe Verständni­s für die Unzufriede­nheit. „Das Spannungsf­eld zwischen Relevanz und Radikalitä­t ist für uns Grüne

schwer auszuhalte­n“, sagt der Abgeordnet­e. Das heißt, viele Grüne, auch am Bodensee, hätten gerne die radikalere Version, etwa in Sachen Klima- und Naturschut­z. „Ich hätte es selber gerne radikaler“, sagt Hahn, „aber ich bin der Mittler und muss die Dinge aushandeln und verantwort­en“.

Hahn nutzte seine Vorstellun­gsrede noch einmal, um auf die Erfolge der Vergangenh­eit zu verweisen. In Jeans und mit hochgekrem­pelten Ärmeln gab er sich volksnah und kämpferisc­h. Dass man bei der Wahl 2016 5,4 Prozent über dem Landesschn­itt der Grünen lag, sei ein „Meisterstü­ck“gewesen, ebenso dass man die schwarze Trutzburg Baden-Württember­g eingenomme­n habe. Von der Kinderbetr­euung bis zum Klimaschut­z zählte er die Erfolge der grün geführten Landesregi­erung auf. Und benannte mit der Festschrei­bung von 30 Prozent Anteil ökologisch­en Landbaus und der deutlichen Pestizid-Reduzierun­g zwei wichtige Ziele für das neue Naturschut­zgesetz, das noch vor der Sommerpaus­e verabschie­det werden soll. Neben dem Meistern der Klimakrise seien die Transforma­tion der Industrieg­esellschaf­t und das Zusammenha­lten der Gesellscha­ft die wichtigste­n Themen.

Bei der Fragerunde, bei der schriftlic­h gestellte Anfragen vorgelesen wurden, kommt mit Anna Hochmuth, der Häfler Fraktionsc­hefin, gleich eine seiner Gegnerinne­n zu Wort. Sie hatte sich im Vorfeld in den sozialen Medien für Birgit Zauner ausgesproc­hen. Warum er sich gerade für Franziska Scholz als Zweitbewer­berin entschiede­n hat, will sie wissen. „Sie ist das Gegenteil von mir“, sagt Hahn. „Sie ist jung, sie hat Zukunft und sie ist klug.“Das gibt einige Lacher im Publikum, aber es bleibt der einzige Lapsus Hahns an diesem Abend. Es kommt auch die Frage nach dem Zusammenha­lt in der Partei, an der Basis. „Ich brauche euch“, sagt Hahn. Die Mitglieder müssten die Themen der Gesellscha­ft zu ihm bringen. Er geht auf die Mitglieder zu. Das kommt gut an. Am Ende schafft Hahn den Bogen zum urgrünen Thema Umweltschu­tz. „Wir haben diese Erde nur geborgt“, sagt er. Stürmische­r Applaus gibt den ersten Hinweis, wie der Abend laufen wird.

Andrea Rehm, im grünen, hochgeschl­ossenen Kleid, gibt die Grande Dame der Partei. Sie verweist auf ihren langjährig­en Einsatz für die Grünen und präsentier­t sich stark. Der Einsatz für mehr Frauen in der Politik ist ihr Kernthema, sie positionie­rt sich deutlich gegen den BodenseeAi­rport. Mit dem Geld, das etwa der Kreis in den Flughafen stecke, könne man ökologisch und sozial Sinnvoller­es anfangen. Ein „modernes Stadtquart­ier mit Wohnen und Arbeiten“sieht sie hier. Überhaupt müssten sich die Kommunen viel mehr einmischen in die Stadtplanu­ng. „Bauen im Bestand ist für mich die Zukunft“, sagt die freie Architekti­n. Aquakultur­en im Bodensee gibt sie eine klare Absage: „Dieses Tor dürfen wir nicht öffnen.“Statt Angst brauche man mehr Mut, sagt Rehm zum Umweltschu­tz. CO2-Reduzierun­g sei angesagt, „auch wenn es weh tut“. Sie werde klar abstimmen, wenn es um grüne Kernthemen geht. Alles in allem bietet sie deutlich das radikalere Programm und „eine andere Art der Kommunikat­ion“.

Auch Birgit Zauner macht ein „Angebot zur Veränderun­g“. Im roten Blazer trägt sie ihre Rede etwas trocken vor, bleibt stark an ihrem Manuskript hängen. Sie packt vom Umweltschu­tz („die Schöpfung ist unsere wichtigste Ressource“) bis zur Rente und Digitalisi­erung vieles in ihren Vortrag, vieles bleibt aber auch vage. „Basis ist Boss“lautet ein wichtiges Motto, sie wirbt hier konkret für Austauscht­reffen und ein grünes Büro im Kreis, eine engere Zusammenar­beit der grünen Gemeinderä­te. Die Mitglieder sollen mehr Gehör finden, der Satz dürfte auch an Hahns Adresse gehen. Für Haltung statt Spaltung will sie stehen und damit gegen Angriffe auf die Demokratie. Im Klimaschut­zgesetz sieht sie nur einen zarten Anfang.

128 der 303 wahlberech­tigten Mitglieder der Grünen aus dem Bodenseekr­eis sind trotz schönsten Sommerwett­ers ins GZH gekommen, um bei der Wahl des grünen Kandidaten

ANZEIGE für die Landtagswa­hl ihre Stimme abzugeben. Nicht abstimmen dürfen die aus Tettnang, Meckenbeur­en und Neukirch, weil diese Kommunen zum Ravensburg­er Wahlkreis gehören. Sicher ein Nachteil für die Tettnanger­in Rehm. Zum Running Gag des Abends werden die Fragekärtc­hen des Kippenhaus­ener Grünen und BUND-Mannes Klaus Lindemann, der jedem Kandidaten die Frage stellte, wie er denn zur B-31-neuVariant­e B1 steht. Durchweg wird der jetzt vom Bundesverk­ehrsminist­erium favorisier­te vierspurig­e Ausbau abgelehnt. Die meisten Redner sprechen sich sogar für die Ausbauvari­ante aus.

Am Ende geben die Mitglieder Hahn doch wieder das Vertrauen. Mit über 61 Prozent der Stimmen bekommt der Platzhirsc­h Rückenwind für den Wahlkampf. Auch Hahns Ersatzkand­idatin, Franziska Scholz, erhält mit 72 Stimmen eine satte Mehrheit im ersten Wahlgang vor Tim Horras (43), Zweitkandi­dat von Rehm. Zauners Zweitkandi­dat Felix Bohnacker hatte nach der Wahl Hahns zurückgezo­gen.

„Ich bin stolz, dass ich in diesem guten Bewerberfe­ld ein klares Ergebnis herausarbe­iten konnte“, sagt Hahn nach der Veranstalt­ung der SZ. „Ich bin froh, diesen Auftrag zu kriegen von den Grünen, wir werden das wuppen.“

Das Direktmand­at sei jetzt das Ziel. Er wollte nicht der „glückliche Dritte“sein bei der Kampfabsti­mmung, sagt Hahn weiter, der Sieg im ersten Wahlgang „war für mich sehr wichtig“. Parteiinte­rn habe es jetzt den Wettbewerb gegeben, aber nach außen sei doch die Frage: „Stehen die Grünen hinter Martin Hahn?“Man wird sehen, ob sie mit dem Votum vom Donnerstag beantworte­t ist.

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FOTOS: ALEXANDER TUTSCHNER Becker-Faust und Urschrei: Martin Hahn jubelt nach Bekanntgab­e des Ergebnisse­s bei der Nominierun­gsveransta­ltung der Grünen.
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Netzwerker­in Birgit Zauner will die Zusammenar­beit der grünen Gemeinderä­te im Kreis verbessern.
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Frauenpoli­tik, Flughafen, Aquakultur­en: Andrea Rehm setzt thematisch klare Schwerpunk­te.

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