Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Digitalisierung verschärft Nachfrage
Unternehmen brauchen im Schnitt ein halbes Jahr, um eine offene IT-Stelle adäquat zu besetzen
Die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise machen Prognosen für die weitere Entwicklung des Arbeitsmarktes auch für die Berufsgruppe der Informatiker und Elektrotechniker schwieriger.
Der Rektor der Hochschule Ravensburg-Weingarten, Thomas Spägele, ist aber zuversichtlich, dass die Absolventen dieser Studiengänge mehr denn je gefragt sein werden, sobald die Wirtschaft wieder voll anspringt. Allerdings habe es der Informatiker, der an den Schnittstellen jeglicher Prozesse gebraucht werde, am Arbeitsmarkt noch etwas leichter als der auf bestimmte Fachgebiete spezialisierte Elektrotechniker.
Die besondere Attraktivität, welche die Informatik bei Studienbewerbern genießt, habe an seiner Hochschule wie auch an anderen eine „Wanderbewegung“vom Maschinenbau zur Informatik ausgelöst, sagte Spägele. Dass es dadurch beim Maschinenbau zu einer Nachfragedelle gekommen ist, habe dieser freilich nicht verdient. Im Studiengang Elektrotechnik könne man eine solche Delle nicht feststellen, aber es gebe dort auch keinen Push wie in der Informatik.
Die Umfragen und Analysen des Bundesverbandes Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e. V. (Bitkom) und der Bundesagentur für Arbeit von Januar und Februar 2020 belegen ebenfalls die grundsätzlich sehr guten Berufsaussichten für Informatiker. So waren laut Bitkom Anfang dieses Jahres in Deutschland rund 124 000 Stellen für IT-Fachkräfte unbesetzt, 51 Prozent mehr als ein Jahr zuvor. Zu den IT-Fachkräften gehören sowohl die akademisch ausgebildeten Informatiker (hier zählte die Bundesagentur für Arbeit zuletzt 54 000 offene Stellen) als auch die Absolventen einer abgeschlossenen, nicht akademischen Ausbildung im IT-Bereich.
Wie gefragt die Fachkräfte der Informationstechnologie am Arbeitsmarkt sind, zeigt sich auch daran, dass die Unternehmen im Durchschnitt fast ein halbes Jahr benötigen, um eine offene IT-Stelle adäquat zu besetzen. Dabei gibt es allerdings
Unterschiede. Während sich in den kreativ-gestalterischen Berufsfeldern neue Mitarbeiter meist schneller finden lassen, dauert etwa die Suche nach Entwicklern, die sowohl Frontend- als auch Backend-Technologien beherrschen, oft länger.
Dass auch die mittel- und langfristigen Berufsaussichten für Informatiker und andere IT-Fachkräfte sehr gut sind, steht für die Arbeitsmarktexperten außer Frage. Zumal die Digitalisierung der Wirtschaft und anderer Bereiche, etwa der modernen Medizin, weiter zügig voranschreiten wird.
Eine wesentliche Rolle dürfte dabei die IT-Sicherheit spielen, weshalb Nachwuchskräfte, die sich darauf spezialisieren, schon heute besonders umworben sind. Das gilt aber auch für Experten, die sich mit Themen befassen wie Cloud Computing (hier geht es um den Ansatz, ITInfrastrukturen über ein Rechnernetz zur Verfügung zu stellen, ohne dass diese auf dem lokalen Rechner installiert sein müssen), Big Data (IT-Lösungen zur Verarbeitung großer Datenmengen) und Data Mining (systematische Anwendung computergestützter Methoden, um in vorhandenen Datenbeständen Muster, Trends oder Zusammenhänge zu finden).
Auch die Elektrotechnik gilt als eine Zukunftstechnologie ersten Ranges. Vor allem die E-Mobilität ist in aller Munde, beschreibt aber nur einen Teil der Gebiete, in denen die Elektrotechnik eine wachsende Rolle spielt. So ist im Maschinenbau das
Know-how der Elektrotechniker immer mehr gefragt wie auch in großen Teilen des Dienstleistungssektors, auf den inzwischen sogar knapp die Hälfte aller Arbeitsplätze in der Elektrotechnik entfällt.
Der Trend zur Smart Home-Technologie wird nicht nur die IT-Spezialisten zunehmend beschäftigen, sondern auch die Nachfrage nach Elektrotechnikern weiter steigen lassen. Die Smart Home-Technologie steht für ein komplexes und sehr flexibles Haus- und Energiemanagement, wobei die verschiedensten Geräte von der Lampe über den Fernseher und das Radio bis zur Heizung miteinander kommunizieren. Auch der Ausbau der Künstlichen Intelligenz (KI), der für die Bundesregierung eine hohe Priorität hat und mit erheblichen
Mitteln gefördert werden soll, wird den Elektrotechnikern spannende Perspektiven bieten.
Das Elektrotechnikstudium gilt als besonders schwierig. Die Abbruchquote ist deshalb hoch, was mit dazu führt, dass nach Angaben von Michael Schanz, Arbeitsmarkt-Experte des Verbandes der Elektrotechnik, Elektronik, Informationstechnik (VDE), in Deutschland jährlich etwa 10 000 Elektrotechnikingenieure weniger ausgebildet werden, als der heimische Arbeitsmarkt aufnehmen könnte. Diese Lücke dürfte sogar eher noch größer werden, da allein der Ersatzbedarf für die in Rente gehenden Elektrotechnik-Ingenieure in den nächsten zehn Jahren auf mehr als 100 000 geschätzt wird.