Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Das Leiden in der Fleischfabrik
Bildungsreferentin Catalina Guia kennt die Praktiken der Industrie – Sie fordert die Politik zum Handeln auf
RAVENSBURG - Catalina Guia von der Arbeitsgemeinschaft Arbeit und Leben DGB/VHS in NordrheinWestfalen überrascht die derzeitige Situation in der Fleischindustrie nicht. Im Rahmen des EU-Projekts „Arbeitnehmerfreizügigkeit fair gestalten“berät sie osteuropäische Arbeitskräfte und weiß, warum so viele rumänische Arbeitsmigranten ihr Glück in Deutschland suchen.
Ihrer Meinung nach sprechen drei Gründe für die Arbeitsmigration: die gute Bezahlung, ein deutscher Arbeitsvertrag und die günstige Unterkunft. Dass der Arbeitsvertrag die
Arbeiter etwas koste, sei nichts Ungewöhnliches. Die Unterkünfte seien in der Realität jedoch teurer als ursprünglich versprochen und meist in sehr schlechtem Zustand. Bei einer Überprüfung sind bereits bis Mai zahlreiche Mängel festgestellt worden. Unter den fast 1900 Beanstandungen waren Überbelegungen, Schimmelpilze, Einsturzgefahr, undichte Dächer, „katastrophale Sanitäreinrichtungen“und Brandschutzmängel, wie aus einem Bericht von Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) an den Landtag hervorgeht.
Schlichtweg enttäuscht seien die Menschen, die bei Tönnies arbeiten, sagt Guia. Sie hätten große Angst, über die Zustände zu sprechen, da Gewalt und Drohungen seitens der Vorarbeiter Standard seien. Ihnen werde schnell mit Kündigung gedroht, was die Arbeiter zusätzlich unter Druck setze, da ihre Unterkünfte an die Arbeit gekoppelt sind. So würden Querulanten „auf der Straße landen“, sagt sie.
Mit dem „Faire Mobilität-Flyer“möchte der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) Beschäftigte der Fleischindustrie über ihre Rechte aufklären. Tönnies und die Subunternehmer würden aber verhindern, dass ihre Mitarbeiter an diese Informationen kommen, sagt Guia. Die
Arbeiter sollten möglichst isoliert leben.
Catalina Guia fordert von der Politik regelmäßige Kontrollen und schnellstens ein Verbot von Werksverträgen. Noch im Juli will Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) ein Gesetz vorlegen, das Werksverträge in der Fleischindustrie untersagen soll. Schlachthöfe könnten dann nur noch eigene Mitarbeiter beschäftigen. Es wäre ein Umbruch in der Fleischindustrie. Der Schlachtbetrieb Tönnies hat bereits angekündigt, bis Ende 2020 Werkverträge in allen Kernbereichen der Fleischgewinnung abzuschaffen und die Mitarbeiter in der Unternehmensgruppe einzustellen.