Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Häfler Ballettschulen sind vom Lockdown massiv betroffen: Ihre Geduld ist am Ende
Die Betreiberinnen fühlen sich nicht als notwendiges Kulturgut wahrgenommen
FRIEDRICHSHAFEN - „Es ist mir ein Anliegen, dass wir in der Öffentlichkeit als Kunstschulen wahrgenommen werden und einen Bildungsauftrag haben.“Das sagt Alexandra Birk, die in Friedrichshafen eine freie Ballettschule betreibt. Auch sie und ihre – größtenteils weiblichen – Schülerinnen und Schüler im Alter von etwa vier bis 16 Jahren sind massiv vom Lockdown betroffen.
Online-Unterricht sei derzeit zwar eine gute Alternative. „Aber die definierte Korrektur fehlt“, betont die 50-Jährige, die ihre Ausbildung als Ballettpädagogin bei Eva Steinbrecher, einer ehemaligen Solistin des Stuttgarter Balletts, absolvierte. „Ballett ist mehr als Freizeitgestaltung als bloße Bewegung“, sagt Alexandra Birk. „Es ist ein Ausdruck des Herzens und eine perfekte Kombination von körperlicher Anstrengung, Kunst und Musik. Gefördert wird sowohl die Konzentration als auch die Körperwahrnehmung, die Kreativität und die Disziplin.“
Gerade vonseiten der Politik fehle der nötige Rückenwind, kritisiert Birk. Zwar habe Kultusministerin Susanne Eisenmann schriftlich erklärt, dass Ballettschulen zu den Schulen für Künstlerischen Tanz und somit auch zum Bereich „Bildung und Kunst“gehörten. Umso ärgerlicher sei es, dass eine neueste Corona-Verordnung bei einer Inzidenz von weniger als 50 einen gemeinsamen Unterricht an Musik- und Kunstschulen für bis zu fünf Schülerinnen und Schüler erlaube, Ballettschulen in diesem Erlass aber explizit ausgenommen seien.
Ähnlich argumentiert auch Hanna Schlau. Auch sie kann auf eine langjährige Praxis als Tanz- und Ballettpädagogin zurückblicken. Die 46Jährige unterrichtet an der Volkshochschule, hat aber auch Privatschüler und betreibt darüber hinaus den „Tanzshop Body & Style“in der Meersburger Straße. Auch sie hat die
Erfahrung gemacht, dass dem digitalen Ballettunterricht „zwischen Schreibtisch und Bett“im heimischen Kinderzimmer Grenzen gesetzt sind und dass in Bezug auf Online-Angebote vermehrt eine gewisse Müdigkeit und Resignation festzustellen sei.
„Ich höre auch von vielen Kolleginnen und Kollegen, dass sie sich ungerecht behandelt und im Stich gelassen fühlen“, sagt sie. „Ballettschulen werden von der Politik nicht als notwendiges Kulturgut wahrgenommen.“Hanna Schlau beklagt Umsatzeinbußen von rund 95 Prozent. „Ohne staatliche Hilfen wäre das alles gar nicht zu bewerkstelligen“, betont sie.
Obwohl sie von ihren Schülerinnen während des Online-Unterrichts viele positive und ermutigende Rückmeldungen erhalte, flatterten auch immer wieder Kündigungen in ihren Briefkasten, berichtet Alexandra Birk und fügt hinzu, dass sie sich in ihrer beruflichen Existenz „massiv bedroht“fühle. Eine Einschätzung, die von Hanna Schlau absolut geteilt wird. „Balletttänzer sind von jung an auf Stillschweigen und Demut getrimmt. Und Künstler ertragen ihr Leid in der Regel still“, sagt sie. „Doch irgendwann ist auch unsere Geduld am Ende. Es wird nötig sein, laut zu werden, um uns Gehör zu verschaffen.“